Der Multimedia Mensch

In der Welt der Computersprache gibt es nur Nullen und Einsen. Der jeweilige Betriebszustand einer jenen Maschine ist daher einleuchtend: Die Null steht für Aus, die Eins fur An.

Die langen Finger auf der Tastatur meines PC bewegen sich im zehntelsekunden Takt; die Augen starr gerichtet auf den flimmernden Bildschirm. Ich will das hiermit gleich klarstellen: Wir befinden uns hier nicht in der gleißenden Wüste, liebe Leser, sondern vor dem allgegenwärtigen Computermonitor. Das Internetfieber hat mich gepackt wie die Schlange eine Maus und dennoch drückt die Blase. Auszeit! Das Geschäft muß erst erledigt werden, daß müssen sie mir nicht Übel nehmen, meine Damen und Herren.

Entspannt und mit leerer Blase kehre ich zurück zu diesem Ungetüm, auch wenn die aufgehende Sonne an diesem Sonntag im April, freundlich durch das Wohnzimmerfenster blickt, und zu einem herzerfrischenden Waldspaziergang einlädt. Spaziergang ade!: Die virtuelle Welt des Internets lockt. Ich zünde eine Zigarette an, die Bude qualmt schnell, die Lungen teeren sich bei jedem Atemzug und der Computer wartet auf Eingabe. Hingabe wäre schöner, aber es bleibt nur die Eingabe und dann natürlich die Ausgabe, ich spreche die Peripherie an, den Drucker natürlich. Zum Glück habe ich einen Laserdrucker, der macht nicht soviel Krach, den Ge- töse ist nicht gut für die Stimmung, sonst brauche ich wieder Anti-Depressiva; aber heute bitte nicht, stoße ich ein Gebet zum Himmel. Das Gebet wurde schon des öfteren nicht erhört, der Psychiater mußte konsultiert werden. Das Internet wurde als Schuldige schnell ausfindig gemacht. Der Psychaiter, ein Dr.Henneman, ein kleiner Kerl mit Strinansatz und Kugelbauch, der einen tieftraurigen Bamiblick offenbarte, gab Entwarnung.“ Das Psychopharmaka wird ihnen helfen.Das Internet wird sie nicht weiter belasten, ich wünsche Ihnen alles Gute“ sagte er, mit leiser Stimme, die prototypisch war für einen Seelendoktor.

Das Internet als Sucht-und Belastungssyndrom, eine Krankheit etwa, oder besser gesagt, eine Art Virus, eine Gefahr für die Menschheit?Ich denke nach: AIDS ist schlimmer, nicht wahr, verdränge das Problem aber schnell, denn meine Finger gleiten bereits wieder geschwind über die Tastatur , wie ein Pianist von Weltruhm.

Einige Internetadressen, die ich auf einen kleinen Zettel gekritzelt habe, ergeben keinen Sinn mehr; einfach unbrauchbar, nicht mehr zu entziffern. Frust macht sich breit, der auf das Gemüt schlägt.Die Pillen rufen, ich buchstabiere es leise vor mich hin: P S Y C H O P H A R M A K A. Die Rettung? Der Untergang der Titanic? Ich überlege: Das Ergebnis: Ich nehme zwei davon: eine für die Rettung und eine für den Untergang. Nach einer halben Stunde setzt die Wirkung ein, ich fühle mich wie einer im Nebel stehender, der die Sonne nur aus den Geschichtsbüchern kennt.

Bilder und nochmals Bilder überfluten meine vergiftete Psychopharmakaseele. Ein Kessel Buntes aus multimedialen Sequenzen einer globalen Welt, in der Größe eines kleinen Dorfes(Bill Gates läßt schön grüßen), schreitet durch meine Gehrinzellen wie ein Soldatenheer kurz vor einem Angriff. Wer zum Angriff bläst, der fordert den Feind heraus; das Resultat: ein furchterregender Krieg entbranndet und breitet sich aus wie eine Feuerwalze, Wo bin ich denn? Im Internet oder gar im Krieg? Ich grinse. Es ist ein gemeines Grinsen, ein hinterhältiges, ein multimediales aus der Moderne; eine neue Kreation. Ich schreie auf, höre schon die Wölfe heulen, dann Stille. Die Stille eines Bergsees im Nirgendwo, dort wo die Welt tonlos, aber grenzenlos ist, nur das glizernde Wasser spricht eine deutliche Sprache, eben die Sprache der Computer. Ich singe einen Refrain: „Computer sind doof“, und noch einmal Computer sind…“, ich muß abbrechen die Stimme versagt, der Verstand funkt an die Emotion, Funken sprühen in die Welt der abstarkten Seele. Ich schreie auf, habe nur noch einen Gedanken: Wo ist die Axt, ich habe doch irgendwo eine Axt! Schon halte ich sie in Händen, stehe wie ein Hero vor dem Computer und hole weit aus. Mein Herz schlägt im Dreivierteltakt, ungefähr so: bum, bum, bum und dann ein lauter Knall, ein schrilles Heulen: ich habe zugeschlagen wie der Blitz auf die morsche Erde. Mein kleines Dorf ist ausgelöscht, nur noch ein paar Überreste aus Schaltkreisen und Drähten. Verrückte Welt, von einem Verrückten beerbt.

Nun aber Schluß, jede Geschichte hat ein Ende, auch die meine.

(C) Wilhelm Westerkamp

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