Der Tanz (2)

Irgendwann kam aber ein brauner Vogel und baute ein Nest in der Hecke. Das Kind ließ ihn gewähren, denn das Kind wollte Frieden. Still saß es und ließ den Vogel brüten. Schließlich knackte es leise in einem der Eier und ein hässliches Vögelchen schlüpfte aus dem Ei, dann noch eins und noch eins. Sie schrien unaufhörlich aus ihren langen, dürren Hälsen heraus. Das letzte Ei knackte erst viel später. Das Vögelchen, das herauskroch, war kleiner als seine Geschwister. Die ließen ihm nur wenig Platz am Rand des Nests. Es schrie genauso verzweifelt nach Nahrung wie seine Geschwister, aber nur selten gab die Mutter ihm etwas zu essen, denn es war klein und schwach, sein Hals war nicht lang genug und es war an den Rand gedrängt. Bald war das kleine Vögelchen tot und wurde aus dem Nest geworfen. Das Kind wollte es begraben, aber die räudige rote Katze sprang herbei und trug es davon. Nur eine kleine flaumige Feder fiel zu Boden. Das Kind hob sie auf und steckte sie in seine Tasche.

Als die Vogelkinder größer wurden, begann die Vogelmutter ihnen Geschichten zu erzählen. Sie begann mit Märchen, in denen viel böser Zauber über der Welt lag. Dann erzählte sie ihnen von der wahren Welt da draußen und ihren Gefahren. Die Vogelkinder merkten sich die Geschichten. Trotzdem krochen sie irgendwann aus dem Nest und flogen davon. Das Kind hatte zu lange zugehört. Es kroch aus der Hecke heraus und hatte noch größere Angst. Es hatte sich aber die Geschichten gut gemerkt, deshalb beschloss es, groß und stark und klug zu werden. Denn es wusste nun um die Gefahren.

Das Kind wurde ein Junge, der alles aß, was man ihm hinstellte, um groß zu werden. Er ging heimlich in den Wald und trug große bemooste Steine hin und her, um stark zu werden. Die Steine wurden seine Freunde und immer brachte er sie zurück an ihren Ursprungsort. Einmal rollte ein kleiner grauer Stein unter einem großen hervor, nachdem er ihn abgelegt hatte. Der Junge dachte: Der Stein schenkt mir sein Kind. Und steckte den kleinen Stein in die Tasche.

Er lernte alles, von dem man ihm sagte, dass es wichtig sei. So wollte er klug werden. Aber tief in seinem Innern wusste er, dass dies nicht die wichtigen Dinge waren. Ab und zu lief er deshalb Tieren hinterher und einigen Menschen, er beobachtete sie und versuchte, die wichtigen Dinge zu lernen. Aber weil kein Tier und keiner der besonderen Menschen ihn bemerkte – denn er ging auf leisen Sohlen –, erklärte ihm niemand, was er wissen musste.

Manchmal griffen andere Jungen ihn an. Er war größer und stärker geworden, aber noch immer war er zu anders als die anderen. Oft wehrte er sich, er schlug und trat um sich und verletzte die anderen. Dann ließen sie ihn in Ruhe. Traurig sah er manchmal zu, wie sich die Tyrannen ein anderes Opfer suchten und es schlugen. Er  überlegte, ob er dem neuen Opfer helfen sollte, aber er wagte es nicht. Denn seine letzte Kraft hatte er aufgebraucht, um selbst zu entkommen. Voller Scham begann er wegzuschauen.

Schreibe einen Kommentar