Der verlorene Autoschlüssel

Freitagnachmittag, kurz nach 17:00 Uhr. Bepackt verließen Ali und ich eine Trafik in der Plus City. Wir hatten die Einkäufe für das Wochenende erledigt und uns in dieser Trafik noch die Raucherration für die nächsten Tage geholt. „Geschafft!“ Die Erleichterung war mir anzusehen, ich kämpfte schon den ganzen Tag mit Kreislaufproblemen und wollte mich nur mehr daheim auf die Couch werfen und meine Füße von mir strecken. Albert, mein Mann, grinste mich an und auch er schien zufrieden. “Ja, geschafft!“, gab er mir Recht. Er griff in die Jackentasche rechts, sein Gesichtsausdruck änderte sich und spiegelte Ratlosigkeit wider, und dann langte er links hinein. Plötzlich wurde Ali blass.

„Der Autoschlüssel“ Sein Blick mit den irritiert herumschweifenden Augen wirkte mit einem Mal ziemlich chaotisch. „Du Vivi, ich finde den Autoschlüssel nicht!“ Seine Ratlosigkeit umfing mich und fast mechanisch begann ich in den Sackerln zu kramen, die wir trugen. Obwohl ich instinktiv ahnte, dass sich der Schlüssel dort nicht befand. Ganz sicher nicht, das wurde mir schon bewusst, während ich noch hektisch eine Tüte nach der anderen ausleerte und den Inhalt durchwühlte. Albert sah mir nur zu, er brachte kein Wort mehr heraus und seine Enttäuschung, als ich meine Suche ohne Ergebnis beendet hatte, schlug sich auf mich nieder. Ich leckte mir mit der Zunge über meine trockenen Lippen. „Ali, wir haben ihn sicher in einem der Geschäfte liegen gelassen. Du wirst sehen, wir finden ihn. Komm!“

Albert folgte mir unsicher, wir betraten den Supermarkt, der am Beginn unserer Einkaufstour gestanden war. Albert hatte seine Starre wieder abgelegt und steuerte die Kassiererin an, bei der wir bezahlt hatten. Kurz erklärte er ihr unser Anliegen, doch die Angestellte schüttelte bedauernd den Kopf. „Leider! Ich selber habe keinen Autoschlüssel gefunden. Und bei mir ist auch keiner abgegeben worden!“ Ungläubiges Staunen spiegelte sich in Alberts Gesicht. „Sind Sie sicher? Ganz sicher?“ Leise Ironie blitzte in den Augen der Frau auf, dann schüttelte sie den Kopf. „Wirklich nicht.“ Albert wandte sich von ihr ab, er wirkte fast betäubt auf mich. Ich ging auf ihn zu und nahm ihn bei der Hand. „Dann liegt er sicher bei einem der Regale. Komm, wir sehen die Gänge durch, in denen wir eingekauft haben!“

Ali trabte mir nach, ich merkte, dass ihm hunderte Gedanken durch den Kopf gingen. Der Wagen war sein Ein und Alles, er hatte ihn seinerzeit fabrikneu gekauft und sich die Raten teilweise sehr hart vom Einkommen abgespart. Dass manche Autodiebe sehr gewieft vorgingen, und nicht nur Autoschüssel stahlen sondern auch die dazugehörenden Autos schon vorher auskundschafteten, war auch mir bewusst. Sehr nervös durchkämmte ich mit meinem Mann die Gänge des Supermarktes, aber ich wusste eigenartigerweise genau, dass wir den Schlüssel hier nicht finden würden. Logisch erklären konnte ich mir das Gefühl zwar nicht, aber ich behielt recht mit meiner Ahnung. Albert schwitzte schon und ich konnte mir vorstellen, dass er nervlich noch weit mehr angespannt war als ich.

Als wir wieder zum Ausgang kamen, sah Ali die bewusste Kassiererin böse an. „Wir haben ihn noch immer nicht gefunden!“ Fast so, als wäre die arme Frau dafür verantwortlich. Aber die nahm die Sache mit Humor. Sie grinste und zuckte die Achseln. „Dann müssen Sie weitersuchen…!“ Um zu verhindern, dass Ali mit der Kassiererin noch einen sinnlosen Disput anfing, drängte ich ihn zum Ausgang. Unsere zweite Einkaufsetappe heute war ein Baumarkt gewesen, den wir als nächstes ansteuerten. Dort lief Ali auf einen Mann zu, der eben einen Autoschlüssel aus seiner Tasche holte. „Aber das ist ja unser Schlüssel! Vivi, sieh, ich kann unseren Anhänger sogar erkennen!“ In den folgenden Minuten wäre ich vor Scham fast gestorben, denn der Schlüssel gehörte natürlich nicht Ali.

Der Anhänger sah nur ähnlich aus und ich musste mit viel Diplomatie einen Streit vermeiden. Mir war der Vorfall unsagbar peinlich, aber das war noch das geringste Übel. Denn auch in diesem Baumarkt wurden wir nicht fündig und weil ich nicht mehr wusste, was wir sonst noch tun konnten, schlug ich Ali vor, vorerst einmal sein Auto sicherzustellen. Mir war auf erschreckende Weise bewusst geworden, dass es unter Umständen längst gestohlen worden sein konnte. Aber Alis Audi stand ungerührt an seinem Platz und schien uns vorwurfsvoll anzusehen, warum wir nicht endlich wieder heimfuhren. Ich schnaufte laut hörbar und blickte um mich. Mir taten die Füße weh und ich wollte heim.

Meine Augen blieben an der Trafik hängen, vor der wir vor einer guten halben Stunde den Verlust des Schlüssels bemerkt hatten. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Der Schlüssel war noch in der Trafik, warum ich nicht früher darauf gekommen war! Und auch diesmal wusste ich genau, dass ich mich nicht irrte. Ali war skeptisch, doch als wir die Trafik betraten, drehte sich die Trafikantin sofort zu uns, obwohl sie gerade Kundschaft bediente. „Da sind Sie ja! Ich dachte mir, dass Sie noch einmal kommen würden!“ Der Autoschlüssel lag neben der Kasse und zwei Minuten später legte Ali den Gang in seinem Audi ein und mein Mann war wieder ganz der Alte. Männer pflegen eine besondere Bindung zu ihrem Auto, da kann man auch als bessere Hälfte nicht immer ganz mithalten…

© Vivienne

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