Kürzlich widmete ich, liebe Leser, einen Beitrag einem Mann in den besten Jahren, der von der Midlife Crisis gepeinigt, sein Heil in zahllosen Affären sucht und ständig sexuelle Bestätigung sucht, bei welcher Frau auch immer. Ich möchte hier sicher nicht als Moralapostel auftreten, grundsätzlich jede/r wie er/sie will, aber wenn dann auf der anderen Seite jede zweite Ehe oder eheähnliche Beziehung scheitert, erstaunt das in diesem Zusammenhang nicht länger. Wer meint, in seiner Bindung zur Wahrung seiner „Freiheitsansprüche“ auf Treue verzichten zu können, wird irgendwann das Scheitern eben dieser Bindung zur Kenntnis nehmen müssen. Weil zu viel Freiheit dieser Art Liebe tötet, und ein Mensch, der den Stellenwert von Sex in seinem Leben überbewertet, wohl auch nicht wirklich bindungsfähig ist – der definiert den Wert seines Lebens schließlich anders…
Man sollte trotzdem nicht annehmen, dass jetzt alle Leute auf dem Trip des außerehelichen Vergnügens dahinbrausen. Oder Gelegenheiten zum Seitensprung nicht ungenützt vorübergehen lassen. Birgit Hollerer zum Beispiel ist keine dieser „modernen“ Menschen, die sich im Leben Bestätigung von „außerhalb“ holen müssen, obwohl die attraktive Versicherungsagentin, die ich schon ewig kenne, im Berufsleben genügend Gelegenheiten finden würde, gezielt auf „Abenteuersuche“ zu gehen – wenn sie wollte. Birgit Hollerer ist seit zwanzig Jahren verheiratet, hat drei Kinder im Teenageralter und ihre Ehe mit ihrem Mann, Michael, ist wirklich gut. Dabei steht Frau Hollerer mit beiden Beinen im Leben, hat nach fast zehn Jahren Babypause wieder den Einstieg ins Berufsleben geschafft und ihr macht keiner so schnell ein X für ein U vor.
Vor ein paar Wochen saß ich mit ihr beisammen, weil sie und ihr Mann mit Ali und mir ins Kino gehen wollten. Wir waren eben dabei, uns einen Termin auszumachen, als mir auffiel, dass Birgit sich schweigsamer als sonst gab. Schließlich redete ich sie darauf an. „Hast du Stress in der Arbeit? Du kommst mir heute etwas still vor…“ Birgit sah mich mit einem entwaffneten Lächeln an. „Du merkst auch alles… Stress in der Arbeit ist übertrieben, Vivi. Du weißt doch, dass Stress mein Lebenselixier ist. Nein, ich hatte gestern Ärger mit einem meiner Kunden.“ Ich schenkte ihr noch etwas Kaffee nach. „Wie das? Hat er sich aufgeregt über etwas?“ Birgit schüttelte den Kopf. „Nein, nichts von alledem. Ganz anders. Der Kunde hatte mich eingeladen in seine Wohnung, damit ich ihm ein Angebot für seine Haushaltsversicherung unterbreite. Ein Routinefall.“
Birgit rührte ihren Kaffee um. „Naja, und wie ich ihm erkläre, wie er bei uns um so und so viel billiger kommt als bei seinem bisherigen Anbieter, merke ich, wie er immer näher rückt und dabei schmierig grinst. Stell dir vor! Gleich darauf hatte ich seinen Arm um die Schulter, und die andere Hand tastete sich an mein Dekollete heran. Ich dachte, ich träume! Schließlich hatte ich die Nase voll, ich hatte ohnehin viel zu lange gewartet, dann riss ich mich von dem Kerl los. Sie wollen mich doch nicht anmachen? fuhr ich ihn dann an. Ich war ziemlich aufgebracht, so etwas Extremes in der Richtung ist mir doch noch nie passiert, Vivi.“ Mit offenem Mund verfolgte ich Birgits Schilderung. „Der hat aber Nerven. Macht der das immer so: Angebot einholen und dann an die Wäsche gehen?“
Die Angesprochene zuckte die Achseln. „Ich weiß es nicht. Aber der Kerl hat mich daraufhin jedenfalls nur weiter angegrinst und gemeint: Ganz sicher mache ich dich an, ich möchte nämlich mit dir schlafen. Jetzt, sofort. Im Schlafzimmer ist der Sekt eingekühlt, was hältst du davon? Dann rückte mir der Kerl wieder an den Pelz. Das war mir dann zu viel. Ich stand abrupt auf, so dass der Typ fast vom Sessel zu Boden stürzte, weil er mich schon wieder anvisiert hatte, und knallte ihm das Angebot auf den Tisch. Prüfen Sie das Angebot und geben Sie mir dann Bescheid. Und den Sekt werden Sie wohl allein austrinken müssen, oder mit jemand anderem! Ich fühlte mich richtig ekelig in der Wohnung, diese widerliche Anmache klebte fast wie Dreck an mir, genau so kam es mir vor. Der Kunde sah mir etwas eingeschnappt zu, wie ich mich fertig machte zum Gehen. Nix für ungut, ein bisserl was geht doch eh immer bei dir, oder? Gib’s zu, ich bin einfach nicht dein Typ!“ Birgit lachte hart. „Dann habe ich ihm eine geschmiert, ich konnte nicht mehr anders. Er hat mir ganz verdattert nachgesehen, als ich aus der Wohnung gelaufen bin.“
Ich musste kurz auflachen. „In deinem Job kommst du aber auch herum… Aber ich verstehe, dass dich das mitnimmt. Das war mehr als ein harmloser Ausrutscher von dem Kerl, die Watschen hat er sich wirklich verdient.“ Ich legte ihr die Hand auf die Schulter. „Aber grüble nicht zu viel deswegen. Diese Rasse stirbt nicht aus… Die merken es einfach nicht, wenn man nicht auf sie abfährt.“ – Treue ist nicht mehr modern in dieser Welt, aber noch huldigt nicht jede/r dem Zeitgeist. Einen Menschen wirklich zu lieben heißt nämlich viel mehr als ihn sexuell anziehend zu finden. Sexuelle Zügellosigkeit macht unser Leben letztlich auch nicht lebenswerter und der Sinn unseres Daseins definiert sich nicht über die Anzahl der Orgasmen mit unterschiedlichen Partnern. Man schimpft über Fettleibige und Alkoholiker, aber die Sexualics dieser Welt sind es, die man am dringendsten entwöhnen müsste, weil die das Lieben erst wieder neu lernen müssen…
Nach einer wahren Begebenheit
© Vivienne