Stefan war ein netter Bursche, den ich vor vielen Jahren einmal gut gekannt habe – ich arbeitete damals in jenem Linzer Meinungsforschungsinstitut und Stefan war einer von vielen Studenten, die dort nebenbei jobbten. Stefan verstand es, gute Laune um sich zu verbreiten, er war ein cooler, lässiger Typ, hoch gewachsen und ziemlich dünn und einmal erschreckte er mich (und nicht nur mich) mit einem pumucklroten Haarschopf, den ihm seine Freundin, eine gelernte Friseurin, verpasst hatte. Kurz, Stefan war irgendwie so ganz anders als ich damals und deshalb faszinierte er mich vermutlich auch so. Davon bin ich heute überzeugt…
Wenn Stefan in der Firma war um Meinungsumfragen zu bearbeiten oder mit willigen Leuten von der Straße Haarshampoo-Tests durchzuführen oder Fertiggerichte zu testen, kam er vor Beginn der Arbeit gerne noch zu mir auf ein Schwätzchen und schaffte es immer schnell, mich zu erheitern. Bisweilen nahm ich mir auch die Zeit, in einer Pause mit ihm eine oder zwei Zigaretten zu rauchen, und bei diesen Gelegenheiten schwadronierte der Bursche gern ein wenig und erzählte lustige Geschichtchen. Es gab eigentlich nur eine Sache an ihm, die mich wirklich schockierte, die war aber nicht sein roter Haarschopf (daran hatte ich mich schon gewöhnt) sondern seine Einstellung zum Kauf von Fahrscheinen für die Straßenbahn oder den Bus (Stefan wohnte damals in Leonding).
„Ich kaufe mir keine Fahrscheine!“ Stefan grinste breit, als er mir wieder einmal seine Meinung kundtat. Ich war mir natürlich dessen bewusst, dass er mich damit auch aufziehen wollte, aber ich muss zugeben, ich ärgerte mich jedes mal wieder. „Wozu Geld dafür ausgeben?“ Stefan tat, als hätte er meinen ungehaltenen Gesichtsausdruck nicht bemerkt. „Weißt du, was ich mir dabei erspare? Jede Menge Geld, über eine Stange Zigaretten im Monat! Ich bin Student, ich habe nicht so viel zu verschenken!“ Mein Einwand kam wie das Amen im Gebet. „Und wenn Sie dich erwischen? Dann zahlst du 500 S. Steht das dafür? Außerdem ist es überhaupt nicht ehrlich!“
Stefan lachte auf. „Ehrlich! Pah, wenn ich das schon höre! Welcher Mensch ist schon ehrlich? Und außerdem: wenn ich erwischt werde, dann zahle ich halt die 500 S ein. Einmal, und dann ist wieder Ruhe. Aber das war das letzte Mal vor über einem Jahr – damit kann ich gut leben.“ Ich seufzte. Es hatte keinen Sinn, mit ihm zu diskutieren. Stefan war mit dieser Masche immer gut gefahren, und davon würde er nicht abweichen. Als BWL-Student hatte er sich sogar einmal die Mühe gemacht, mir zu errechnen, wie niedrig die Wahrscheinlichkeit war, einmal auf einen Kontrollor der Linzer Linien zu treffen. „Praktisch null, liebe Vivi!“ lachte er mich an. „Ich bin fast nur abends unterwegs, und da sind die meisten Kontrollore auch schon daheim.“ Er tätschelte meine Wange. „Mach dir keine Sorgen um mich, Vivi!“
Ich beruhigte mein Gemüt damit, dass das immerhin Stefans eigene Angelegenheit wäre und mich das Ganze daher auch nichts anginge. Einige Monate später allerdings kam Stefan fuchsteufelwild in die Firma. Sein Gesicht war puterrot und er grüßte mich nicht einmal, als er an meinem Schreibtisch vorbeiging. Ich reagierte verwirrt – das hatte es doch noch nie gegeben! War Stefan etwa sauer auf mich? fragte ich mich in einem akuten Anfall von Schuldkomplex. Aber Lois, ein Kollege von Stefan und zudem mit Stefans Schwester verbandelt, klärte mich auf. „Sauer auf dich, Vivi? Dass ich nicht lache, wohl eher auf die Linzer Linien! Am Wochenende haben sie ihn zweimal hintereinander beim Schwarzfahren erwischt und nun muss er eine saubere Strafe bezahlen. Das ist los!“ Lois grinste mich an. „Mach dir keinen Kopf deswegen! Hast du schnell Zeit für eine Zigarette?“
Natürlich hatte ich, und bei der Gelegenheit erfuhr ich noch ein paar weitere Details von Stefans ausgesprochenem Pech an diesem schwarzen Wochenende. Aber andererseits heißt es nicht umsonst: Der Krug geht so lange zum Brunnen bis er bricht! Ich habe Stefan auf sein Malheur nicht angesprochen und innerhalb von zwei Wochen hatte er mit einem Extraarbeitseinsatz in der Firma die Strafe wieder hereingearbeitet. Ab diesem Zeitpunkt grinste er auch wieder breit, wenn er in die Firma kam, begab sich freundlich plaudernd zu mir – und fuhr mit einer kleinen Pause auch wie gehabt wieder schwarz. „Die Wahrscheinlichkeit…“ dozierte er mir und erstickte damit jeden Einwand im Keim, „…die Wahrscheinlichkeit ist praktisch mit Null gleich zusetzen, dass die mich noch einmal zweimal hintereinander erwischen. Mach dir also keine Sorgen, Vivi, das wird nicht mehr passieren!“
Nach einer wahren Begebenheit.
© Vivienne