Frühsport

Dieter Maringer ist ein Kollege von mir, einer von der netten Sorte, die eher ruhig und trotzdem sehr hilfsbereit einen Lichtpunkt im Büro darstellen. Dieter ist etwa in meinem Alter, schon lange und auch überzeugt Single, was ich grundsätzlich gut nachvollziehen kann. In seinen Beziehungen lief es nicht so, wie er mir erzählte, und nach einem Reinfall vor etwa zwei Jahren war ihm einfach die Lust vergangen, sich wieder um eine nette Frau zu bemühen. Er lebt also seine Freiheiten als Junggeselle aus, zieht mit seinen engeren Freunden herum und lässt es sich gut gehen. Ich verstehe ihn gut, ehrlich gesagt, ich habe auch kein Problem damit, wenn er seine körperlichen Bedürfnisse, wie er mir gestand, bisweilen von einer Dame des horizontalen Gewerbes befriedigen lässt, denn: er ist ein netter Kerl und hat auf diese Weise sicher mehr vom Leben als mit der falschen Frau…

Mir war in den letzten Wochen schon öfter aufgefallen, dass Kollege Dieter morgens meist etwas unausgeschlafen wirkte. Mehr als das: er kam öfter etwas brummig und fast ruppig herüber, was bis vor kurzem normalerweise nicht der Fall gewesen war. Als ich ihn neulich kurz wegen eines Faxes beim Morgenkaffee „störte“, fuhr er mich sogar an. „Also wirklich! Muss das jetzt sein?“ Ich sah ihn daraufhin etwas überrascht an und wandte mich schließlich ab. Für mich stand nun fest: Dieter hatte mit Sicherheit ein Problem, denn so kannte ich ihn nicht, und ich begann mich zu fragen, ob diese Unfreundlichkeiten womöglich wieder mit einer neuen, fatalen Frauenbekanntschaft zusammenhängen konnten. Später an diesem Vormittag, ich hatte die Sache mit dem Fax fast schon wieder vergessen, kam Dieter verlegen auf mich zu.

„Tut mir leid!“ Er blickte verlegen zu Boden und wirkte wie ein Schulbub auf mich. „Ich wollte nicht so garstig sein, wirklich nicht.“ Ich blickte Dieter durch meine neuen Brillen hindurch intensiv an und nickte. „Schon okay, aber ehrlich: was ist los mit dir? Macht dir wieder eine Frau zu schaffen?“ Dieter stieß einen lauten Seufzer aus und verdrehte die Augen. „Nein, nein! Nicht, was du denkst Vivi!“ Er drehte sich verstohlen um, ob uns niemand beobachtete, dann nahm er mich beiseite. „Ganz was anderes. Hast du fünf Minuten Zeit? Dann erzähle ich es dir!“ Ich ging darauf hin mit Dieter zum Kaffeeautomaten, wo er mir einen Becher spendierte und sich auch einen Kaffee genehmigte. Kurz massierte er sein verspanntes Genick, dann begann mein Kollege zu erzählen…

„Wo soll ich am besten anfangen? Ich habe vor ein paar Wochen neue Wohnungsnachbarn bekommen…“ Der Satz blieb im Raum stehen, ich musterte Dieter fragend, dann begann er verlegen zu grinsen. „…es klingt so lächerlich. Dieses Pärchen weckt mich jeden Morgen auf, um drei Uhr früh.“ Hatte ich richtig verstanden? „Die zwei wecken dich auf? Aber wie denn? Drehen sie das Fernsehgerät so laut auf?“ Dieter wand sich vor Verlegenheit. „Nein, nicht so, ich meine, sie lieben sich. Sie haben Sex miteinander, ganz laut und fast eine halbe Stunde.“ Ich nahm einen Schluck vom Kaffee. „Was? Die treiben es miteinander? Um drei Uhr früh?“ Dieter erschrak, weil ich unwillkürlich meine Stimme erhoben hatte. „Nicht so laut! Ja, ja! Die beiden haben Sex miteinander, jeden Morgen um drei Uhr früh, und das lautstark! Das Bett kracht und man kann sie deutlich stöhnen hören. Ich kann sogar die Uhr nach den beiden stellen!“

Ich kicherte leise. „Das ist aber merkwürdig! Mitten in der Nacht? Haben die zwei sonst keine Zeit dafür?“ Dieter seufzte wieder. „Scheint so. Was ich gehört habe, arbeitet der Mann in einem Wachdienst und tritt schon um 5:00 Uhr morgen seinen Dienst an. Und offenbar möchte er vorher noch einmal ordentlich…“ Dieter blickte leicht verlegen zu Boden. „Du weißt schon, was ich meine! Er will halt noch einmal schlafen mit seiner Frau!“ Ich konnte mein Lachen nun nicht mehr zurückhalten. Der Gedanke hatte etwas Köstliches an sich. Als ich Dieters betroffenen Blick bemerkte, beherrschte ich mich aber wieder. „Ich verstehe, was du sagen willst. Während die beiden es miteinander treiben, kannst du nicht schlafen. Und bis du wieder einschläfst, vergeht auch einige Zeit. Und darum bist du nicht ausgeschlafen…“ Dieter nickte. „Du sagst es, Vivi. Genau so ist es. Am Anfang konnte ich gar nicht mehr einschlafen nach diesen… Orgien. Aber selbst jetzt, wo ich nach einer halben Stunde wieder einschlafe, bin ich wie gerädert, wenn um kurz nach 6:00 Uhr der Wecker läutet. So kann es nicht weitergehen!“

In so einem Fall war guter Rat teuer! Ohrenstöpsel vielleicht? Oder Kopfhörer aufsetzen und entspannende Musik hören? Ich wusste nicht Recht, was ich dem Kollegen raten sollte. Denn eines erschien mir fast offensichtlich: es war nicht nur der Lärm, der Dieter störte, da ging es um mehr. Nämlich auch darum, dass er schon seit einiger Zeit alleine lebte, und der Lärmpegel ihm auch sein emotionales Manko bewusst machte. Dieter brauchte wieder eine Frau – zum lieb haben und für Sex! das ging mir durch den Kopf, während ich ihm halb abwesend Mut zu machen versuchte. Aber wie sollte ich ihm das nur mit den richtigen Worten erklären?

Nach einer wahren Begebenheit!

© Vivienne

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