Hallo, Frau G.!

„Sehr geehrte“ wäre wohl etwas sinnentleert.
Das unterschreibe ich auch heute noch.
Ohne mit der Wimper zu zucken.
Wenn ich an Sie denke.
Fällt mir immer ein Witz ein.
Von einem jungen, engagierten Pfadfinder.
Der eine ältere Frau über den Zebrastreifen führt.
Obwohl sie lauthals schreit und sich wehrt.
Sie kam nämlich gerade von der Gegenseite…
Sie sind wie dieser Pfadfinder.
Sie sehen nicht, was wirklich los ist.
Sie sehen nur das, was Sie sehen wollen.
Und so war es auch bei mir.
Üble Nachrede.
So nennt man das, was jene Frau über mich erzählte.
Verleumdung.
Das ist ein guter Vergleich.
Und Sie sind ihr auf dem Leim gegangen.
Ihr und ihrer Redekunst.
In völliger Verkennung der Realität.
Fast ist es komisch.
Was Sie alles inszeniert haben.
Für mich.
Um mich zu retten!
Vermeintlich.
Ich hatte Ihre Hilfe nicht nötig.
Nicht eine Sekunde.
Aber das wollten Sie nicht wahrhaben.
Obwohl Sie nie Beweise hatten für das Erzählte.
Wie denn?
Es gab nichts, das ich mir vorzuwerfen hatte…
Auch im Nachhinein.
Ich war nur naiv.
Naiv genug, um an das Gute zu glauben.
Und an Gerechtigkeit.
Sie haben mich vom Gegenteil überzeugt.
Mit Ihren Aktionen.
Die heute grotesk anmuten.
Vor allem aber bizarr.
Wie von jenem Pfadfinder…
Sie sind viel zu weit gegangen in Ihrem Tun.
Mit Tunnelblick verloren Sie das Wesentliche aus den Augen.
Verrannt in eine Wahnvorstellung.
Die Ihnen jene Frau ins Gehirn gepflanzt hatte.
Stellten Sie alles Mögliche an.
Ich kann nur den Kopf schütteln.
Wenn ich mir das jetzt Vergegenwärtige.
Sie hatten ein völlig neues Leben für mich geplant.
Sogar mit einem Mann an der Seite.
So viel Aufwand.
Nur für mich!
Und ganz besonders für Ihre Selbstbeweihräucherung!

Manchmal habe ich mich gefragt.
Wie es wohl war.
Als Sie die Wahrheit endlich begriffen haben.
Und Sie erkannten, dass Sie getäuscht worden sind.
Als Ihre hehre Vision von meinem neuen Leben starb.
Wie eine Seifenblase, die platzt.
Haben Sie sich schuldig gefühlt?
Meinetwegen?
Für das, was Sie mir angetan hatten?
Für Ihre Übergriffe?
Die unentschuldbar sind?
Ich denke nicht.
Ganz im Gegenteil.
Sie dachten nur an sich.
Dass nichts von dieser unrühmlichen Geschichte bekannt werden sollte.
Abfärben durfte.
Auf Ihren ach so guten Ruf.
Und Sie setzten auf Zeit.
Dass ich vergessen würde.
Und dass ich hinnehmen müsste.
Was passiert wäre.
Weil Sie doch zu einflussreich waren.
Unantastbar…

Sie werden es noch weit bringen.
In Ihrem Opportunismus.
In Ihrer Speichelleckerei.
Aber Sie werden nie ein Mensch sein.
Dem man mit Achtung begegnen darf.
Oder mit Respekt.
Sie sind kein feiner Mensch.
Sie sind Fassade.
Sonst nichts.
Ich habe Sie gehasst.
Lange Jahre.
Aber ich habe Kraft gefunden.
In meiner Arbeit.
Im Schreiben.
In neuen Menschen.
Und in meiner Familie.
Meiner Familie.
Die Sie so verteufelt haben.

Ich bin heute was ich bin.
Ohne Ihre Hilfe.
Ich habe geschafft, was ich geschafft habe.
Ohne auf Sie angewiesen gewesen zu sein.
Oder besser gesagt.
Trotz all Ihrer Bemühungen…
Um wieder zu jenem Pfadfinder zurückzukommen.
Ich habe Sie gehasst.
Heute verachte ich Sie.
Und das, was Sie verkörpern.
Das ist vor allem Selbstgerechtigkeit.
Und Doppelmoral.
Ich habe Sie aus tiefstem Herzen gehasst.
Aber ich bin nicht zerbrochen.
Sondern daran gewachsen.
Stärker geworden.
Aber merken Sie sich.
Vergessen werde ich nie!

Vivienne

Für Fr. C.-A. G.

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