Neue Bohnen Zeitung


KRITISCH BETRACHTET
von Vivienne  –  Juli 2003



Von Besserwissern und selbst ernannten Samaritern

Sicher waren Sie auch schon öfter in einer vergleichbaren Situation: Sie befanden sich in einer Zwickmühle und überlegten, welche von zwei oder drei Möglichkeiten, die Ihnen zur Auswahl standen, am günstigsten für Sie wäre. In solchen Überlegungen wird man leider immer wieder mit Leuten konfrontiert, die sich – oftmals auch noch ungefragt – berufen fühlen, Ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, obwohl Sie im Grunde auf diese Form der „Unterstützung“ pfeifen würden. Diese seltsamen Zeitgenossen erweisen sich aber, was ihre Versuche mit Zwangsbeglückungen betrifft, oftmals als sehr hartnäckig und sie sparen dann nicht mit düsteren Visionen der Zukunft, wenn man ihren „wertvollen Ratschlag“ in den Wind schlagen sollte…

Ich selber hatte, das habe ich in einem länger zurückliegenden Beitrag schon einmal anklingen lassen, vor ein paar Jahren eine Begegnung mit einer Frau, die sehr ausgeprägt an dieser „Krankheit“ – und solches Verhalten muss man wohl als Krankheit bezeichnen – litt. Vielleicht erinnern Sie sich: die Frau war nach der Scheidung ziemlich aus der Bahn geworfen worden, lebte von Gelegenheitsjobs und fragwürdigen „Lebensberatungen“, mit denen sie sich und die Kinder über Wasser hielt. Zudem war sie immer auf der Suche, nach der „großen Liebe“ (gibt es so etwas überhaupt?), die sie in eine Zukunft voller Leidenschaft führen sollte  – und bei der sie außerdem endlich mitversichert sein würde. Mich selber belehrte sie im Zuge einer Diskussion, die wir führten, dass meine Ansichten über und Erwartungen an Männer völlig realitätsfremd wären und man könne, u.a. einem Mann unter keinen Umständen die Benutzung eines Kondoms zumuten. (Von Aids oder Syphilis hatte sie wahrscheinlich noch nie gehört…) „Legendär“ auch die Erläuterungen dieser „Männerkennerin“, in denen sie nicht mit Tipps sparte, wie man einen Mann sexuell bei Laune halte. Sie wirkte dabei immer  wie eine Mischung aus Oberlehrerin und Domina auf mich, was einen nachhaltigen, zwiespältigen wie grotesken Eindruck bei mir hinterließ.

Je länger ich sie kannte desto unglaubwürdiger erschienen mir diese Frau, die sich in ihrer Heimatgemeinde gern als „Hexe“ bezeichnen ließ, und ihre „Weisheiten“: ihr Leben spiegelte nämlich keinerlei Erfolg und damit die Bestätigung ihrer eigenen ach so wichtigen und „lebensnahen“ Thesen wider: ihre Beziehungen waren – zumindest in der Zeit, in der ich mit ihr zu tun hatte – kurz und schmerzhaft, und als ich sie das letzte Mal persönlich sah, war sie wieder einmal von einem Märchenprinzen sitzen gelassen worden – auf einem Haufen Schulden. Das hatten „unverständlicherweise“ auch die ganze Bandbreite ihrer erotischen Künste und der Verzicht auf Latex nicht verhindern können.

Verstehen Sie worauf ich hinaus will? So wie diese Frau gibt es viele Menschen, die selber glauben, sie hätten ein Patent auf Lebenstüchtigkeit, auf das G’spür, genau zu wissen, was jemand braucht oder nötig hat. Aber der Schatz dieser angeblichen Erfahrungen hat sie nicht davor bewahrt, selber immer wieder zu scheitern oder vom Schicksal eines auf die Mütze zu bekommen. Denn erstens ist es keine Kunst, für jemanden anderen schlau zu sein, weil man nämlich nicht in dessen Haut steckt. Und zweitens gibt es keine allgemeinen und absoluten Wahrheiten, die für jedermann richtig sind. Es gibt nur immer die Varianten davon, die für einen selber am besten passen. Anders formuliert: für den einen erweist sich in der selben Situation eben Variante

A als die bessere, der andere hat aber den meisten Nutzen, wenn er sich für Möglichkeit B entscheidet. Deshalb können gute Ratschläge von anderen Leuten, im Besonderen, wenn man sie erbeten hat, zwar interessante und wichtige Aspekte bei den eigenen Überlegungen darstellen, was aber letztlich nichts daran ändert, dass man selber die am wenigsten einschneidende Lösung in einer Zwangslage oder einer anderen schwierigen Situation finden muss. Und bisweilen ist keine der zur Wahl stehenden Varianten wirklich annehmbar…

Niemand kann einem das also abnehmen, genau so, wie man selber ja auch die Konsequenzen aus seiner Entscheidung tragen muss. Aber was veranlasst so viele Menschen andere zwangszubeglücken, wenn nötig auch mit sanfter Gewalt, sich für diese den Kopf zu zerbrechen, und mehr noch, diesen zu suggerieren, sie wüssten selber viel besser, was für die anderen gut wäre? Ja, warum ertappt man sich selber auch manchmal dabei, dass man annimmt, Freunden oder Verwandten bei wichtigen Entscheidungsfragen nachhaltig um nicht zu sagen penetrant „Hilfe leisten“ zu müssen? Leute die an dieser „Krankheit“, diesem „Besserwisser-Syndrom“ ausgeprägt leiden, versuchen oft damit ein Minderwertigkeitsgefühl zu kompensieren. Da stimmt es oft daheim nicht, auch wenn nach außen hin der Eindruck von „Trautes Heim, Glück allein“ aufrecht gehalten wird. Mir fällt auf, dass es sehr häufig frustrierte Frauen sind, die meinen, das ganze Potential in sich zu tragen, für andere Leute schlau zu sein. Sie engagieren sich ehrenamtlich viele Stunden in irgendeinem Sozialbreich,  und das Organisieren von verschiedenen Basaren und Ähnlichem für wohltätige Zwecke gehört schon zur Routine. Unter diesem Aspekt darf man die guten wie ungefragten Tipps für die Leute aus dem Umfeld nur noch als Draufgabe sehen.

Wenn man, wie ich selber, immer wieder mit solchen seltsamen Heiligen konfrontiert ist, geht einem das mit der Zeit ziemlich auf den Geist. Erstens habe ich wie jeder andere auch ein Recht auf meine Fehler und auf meine eigenen Fehlentscheidungen und zweitens fällt es mir schwer, die Unkenrufe dieser Besserwisser noch länger zu ertragen, die einem dann auch schon mal vorlabern, man werde schon sehen, was man davon habe, wenn man diese Ratschläge nicht beherzige. Ich fürchte mich jetzt  schon… Aber Spaß beiseite, solche „Schlechtreder“ braucht man im Grunde nicht wirklich ernst nehmen, man muss nur lernen, sich diese Leute vom Hals zu halten. Solche „guten“ Ratschläge braucht man nämlich so nötig wie Kuchenbrösel im Bett. Ein guter Tipp von mir: lassen Sie sich davon nicht mehr beeindrucken sondern entscheiden Sie aus dem Bauch heraus, was Sie für richtig erachten! So fahren Sie garantiert am Besten. Mir fällt dazu immer ein sehr schöner Spruch ein, den ein Nachbar in unserer Straße in großen Lettern auf die Hausfassade gemalt hat – einfach, wahr und doch so genial:

„Einen Rat lass dir von mir geben – kümmer’ dich um dein eigenes Leben!“

Ein Schutzbrief gegen ungewollte „Helfer“, meint

Vivienne

 

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