Neue Bohnen Zeitung


KRITISCH BETRACHTET
von Vivienne  –  August 2003



Er liebt mich, er liebt mich nicht,…

All unser Übel kommt daher, dass wir nicht allein sein können, reflektierte der bekannte Philosoph Arthur Schopenhauer schon vor vielen Jahren, und es trifft wirklich zu, dass der Mensch immer wieder danach strebt, Beziehungen einzugehen. Vor allem wir Frauen definieren unser Selbstwertgefühl gern darin, ob wir gerade in einer Beziehung sind oder nicht. Nicht nur wir selbst tun es also, unsere Gesellschaft beurteilt das weibliche Geschlecht ganz besonders danach, ob es „vergeben“ oder allein ist. Schon die Umschreibungen für (unfreiwillige) Single-Frauen sind oftmals bösartig und treffen die ohnedies schon geschlagenen dann noch doppelt. Am perfidesten ist meist auch noch der Spott der eigenen Geschlechtsgenossinnen, die  – obwohl selber selten in wirklich glücklichen Beziehungen – geradezu mit erhobenem Zeigefinger auf die Unglückliche zeigen: „Seht her, die kriegt keinen Mann!“

Dabei wird oft vergessen, dass Frau es nicht nötig hat, sich auf Spott auf diesem Niveau einzulassen. Besser allein, als mit dem falschen Mann zusammen, trägt eine ruhige Wahrheit in sich, die Ehefrauen, die sich immer wieder vom Gatten prügeln lassen, wenn er getrunken hat, die ruhig zusehen, wenn er sich an den Kindern vergreift oder sich einfach nur vom „Liebsten“ nach Strich und Faden einschränken und manipulieren lassen und die die eigenen Bedürfnisse hintanstellen, wohl noch nie für sich selber erkannt haben. Eine Beziehung birgt, so unglücklich sie auch immer sein mag, so etwas wie die Gefahr einer Art Sucht. Man klammert sich an den letzten Strohhalm, obwohl er (oder im umgekehrten Fall ganz sicher auch sie!) ohnedies nur mehr fremd geht und für alles Zeit und Lust hat nur nicht für den eigenen Partner oder die eigene Partnerin. Obwohl an Gefühlen und Liebe nichts retour kommt und man eigentlich schon die längste Zeit nur mehr allein lebt, obwohl man noch ein Haus, eine Wohnung und Tisch und Bett nach außen hin miteinander teilt.

Frauen tun sich also besonders schwer in ihrem Single-Dasein und gerade sie neigen dazu, sich unter dem vielfach auch selbst auferlegten Druck in Beziehungen mit unpassenden Partnern zu stürzen. Das fängt schon damit an, dass Frau eigentlich  jede noch so flüchtige Bekanntschaft schon halb bewusst, halb unbewusst checkt, ob sie als potentieller Lebensgefährte in Frage käme. Der Blick zum Ringfinger, ob sich ein Anzeichen für eine Ehe dort befindet, ist dabei nur der der Anfang. Wurde diese Hürde einmal genommen, prüft Frau auch das Äußere detaillierter und der potentielle Lebensgefährte wird kritisch in Augenschein genommen. Mann soll ja auch gefallen, Witz haben, intelligent sein und neben einem knackigen Hinternteil auch über gepflegte Hände verfügen, oder? Weil es ja nur auf das Äußerliche ankommt…

Mit den nächsten Schwierigkeiten muss sich Frau dann nach den ersten Treffen auseinandersetzten, vor allem dann, wenn er seine Lust nach „Sex“ signalisiert, aber sie im Grunde noch nicht so weit ist. Viele Frauen geben in dieser Situation dann nach, lassen sich zu einem Geschlechtsverkehr überreden, den sie eigentlich nicht wollen. Und warten dann am nächsten Tag fast verzweifelt auf seinen Anruf… Frage nicht, was los ist, wenn der ausbleibt! In solchen Situationen werden die übelsten Schuldkomplexe geboren, obwohl eine Frau sich gar nichts dabei denken sollte, wenn der angehende Traummann sich nicht mehr rührt. Dem ging es dann wirklich nur um ein flüchtiges Abenteuer, also „mann“ abhaken und aus dem Fehler lernen, etwas anderes bleibt einem als Frau gar nicht übrig. Eines weiß ich mittlerweile mit Sicherheit: ein Mann, der warten kann, meint es üblicherweise auch ernst mit der Beziehung.

Wie ist das mit der viel zitierten und viel bezweifelten Freundschaft zwischen Mann und Frau? Stimmt  es wirklich, dass „Mann und Frau nicht Freunde sein können, weil immer der Sex dazwischenkommt“? (Zitat: „Harry und Sally“). Freundschaft zwischen Mann und Frau ist durchaus möglich und kein so großes Problem, wie man allgemein annehmen möchte. Ich bin sogar davon überzeugt, dass eine Frau, die gelernt hat, einige gute Freundschaften zum anderen Geschlecht zu leben, sich auch leichter tut, Beziehungen einzugehen. Weil die sonst unvermeidbare Verkrampftheit wegfällt. Für das männliche Geschlecht gilt genau dasselbe. Aus Freundschaft kann Liebe werden, aber aus einer gescheiterten Liebe nur ganz selten eine Freundschaft…

Mir fällt dazu eine Geschichte ein, die einer guten Bekannten von mir vor fast einem Jahr passiert ist. Agnes, eine begeisterte Chatterin im Übrigen, lernte über ICQ einen jungen Mann, einen Rechtsanwalt, kennen, mit dem sie an jenem Sonntagnachmittag ungewöhnlich lange im „Gespräch“ blieb. Der Akademiker, der im Berufsleben sehr erfolgreich war, gab dabei zu, dass er noch nie eine Freundin gehabt hatte und stellte unverhohlenes Interesse an Agnes zur Schau. Aus Jux und Blind-Date-erprobt ließ sie sich wenige Tage später nach der Arbeit auf ein Treffen mit ihm ein. Bis dahin erhielt Agnes von dem Verehrer laufend SMS mit Schmeicheleien und Liebenswürdigkeiten, dass sie, wie sie mir später gestand, schon vor dem Treffen das Gefühl hatte, dass er irgendwie zu hohe Erwartungen an sie stellte.

Sie hatte sich nicht geirrt. Der junge Mann, Egon, ließ sich zwar seine Enttäuschung nicht  deutlich anmerken, man verbrachte im Grunde auch einen sehr gemütlichen Nachmittag miteinander, aber Egon ließ keinen Zweifel daran, dass sie nicht „seine Traumfrau“ sei. Wobei sich Agnes nicht zu Unrecht fragte, warum er diese unrealistische Erwartung überhaupt an sie gestellt hatte. Sie ihrerseits hatte schon in Kenntnis seines Alters, der Bekannte war Ende 20, nicht unbedingt vorausgesetzt, in dem kleinen Lokal einen potentiellen Lebenspartner zu treffen. Egon offenbar schon, aber das war ein Irrtum gewesen. Agnes sah nicht so aus, wie er sie sich vorgestellt hatte. Und er hatte sich damit selbst getäuscht… Agnes hat nach dem Treffen übrigens nichts mehr von dem Rechtsanwalt gehört, obwohl sie ihn noch einige Zeit über ICQ sah: sie war nicht seine Traumprinzessin, also was kümmerte ihn diese Frau noch!

Dabei hätte das Treffen mit Agnes der Beginn einer wunderbaren Freundschaft für Egon sein können. Einer Freundschaft, aus der durchaus mehr hätte werden können, nach ein paar Monaten, oder mehr. Was weiß man schon im Vornhinein, bevor man mit einem Menschen, den man gerade erst kennen gelernt hat, wirklich vertrauter ist! Aber selbst, wenn nicht – ist es nicht immer toll, eine neue Freundschaft begründet zu haben? Einen Menschen gefunden zu haben, mit dem man lachen oder weinen kann, der einem Halt gibt und Wärme, der einem ein offenes Ohr leiht – ohne dass man mit ihm oder ihr auch notwendiger Weise ins Bett geht? Meine Meinung zu dem jungen Rechtsanwalt ist daher eindeutig: er hat nie wirklich versucht, eine Freundschaft mit einer Frau aufzubauen, deshalb ist er auch nicht in der Lage, eine Beziehung mit einer Frau einzugehen. Er zieht schon die „Richtigen“ an, Sie wissen was ich meine…

Gerade als Frau sollte man auch lernen, dem Umfeld, den anderen Menschen zu zeigen: hier liegen meine Grenzen, bis hier her und nicht weiter! Und wenn frau am ersten Abend eines Treffens mit einem Mann nicht ins Bett gehen will oder nicht ohne Kondom, dann steht ihr das auch zu. Es geht um ihre Gefühle, um ihre Empfindungen und nicht darum, ob das andere oder eben jener Mann als „altbacken“ oder „weltfremd“ ansehen. Für sie allein muss es passen, und  solche erzwungenen Kompromisse, die man als Frau eingeht, fördern nur zusätzlichen Frust. Frau hat ohnedies das Problem anerzogen bekommen, stets gefallen, sich immer anpassen und nachgeben (und gegen andere Frauen rivalisieren) zu müssen – eine potentielle Falle gerade vor jeder neuen Beziehung: wer immer nur nachgibt und in verkannter Harmoniesucht die eigenen Bedürfnisse mehr und mehr verdrängt, gerät immer mehr in die Abhängigkeit dieser Beziehung, in der eine Frau nur unglücklich werden kann. Einem Mann werden Freiräume, auch in einer fixen Partnerschaft, viel eher zugestanden, Frau muss leider um ihre Freiräume und die Anerkennung ihrer Bedürfnisse meistens kämpfen! Wenn sie sich nicht überhaupt gleich ganz klein machen lässt…

Aber wir Frauen haben auch ein Anrecht auf all die Dinge, die wir in einer Beziehung neben einem gemeinsamen Haushalt und dem Partner für unser Glück brauchen. Einen eigenen Freundeskreis etwa, Abende, an denen wir mal ohne die bessere Hälfte unterwegs sind (er ist es doch ständig, oder?) wozu auch automatisch die Bestätigung gehört, dass wir geliebt, gebraucht, akzeptiert und toleriert werden. In einer funktionierenden Partnerschaft sollte das keine Schwierigkeit sein. Sollte, sage ich, denn fast  jede Frau muss erst lernen ihre individuellen Bedürfnisse schrittweise auszuweiten. Und dabei etwa auch lernen: „nein“ zu sagen, wenn ihr etwas gegen den Strich geht. Natürlich darf man meine Ausführungen jetzt nicht missverstehen als Anleitung für frustrierte Frauen, in einer Beziehung nur mehr den Ton anzugeben. Was nicht funktioniert, wenn Männer ihre Frauen dirigieren, funktioniert auch nicht, wenn diese nun nach der Pfeife der Gattinnen tanzen müssen. Beziehung heißt miteinander, Beziehung heißt gegenseitige Liebe, Achtung, Respekt und Fürsorge. Und ganz speziell auch gelebte Offenheit und Ehrlichkeit. Und außerdem steht Beziehung nicht mehr für 2 mal ich sondern für wir, meint

Vivienne

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