Neue Bohnen Zeitung


KRITISCH BETRACHTET
von Vivienne  –  Juni 2003



Recht und Gerechtigkeit…

Momentan boomen sie in den deutschen Privatsendern wie SAT1 oder RTL: die Gerichtssaalserien, die – zwar nach mehr oder weniger wahren Vorlagen gespielt – die TV-Zuseher einen Blick hinter die Kulissen der deutschen Gerichtsbarkeit werfen lassen sollen. Das einfach gestrickte Konzept mit echten Juristen und Schauspielern als Angeklagten, Klägern, Zeugen und Opfern geht voll auf, wie ich in der eigenen Familie mit Schmunzeln beobachten kann: Sogar meine Mutter, die eigentlich nie fern sieht, lässt die geliebte Gartenarbeit liegen und begibt sich ins Wohnzimmer, wenn das „Familiengericht“ tagt oder Richterin Ruth Herz  – nomen est omen! – einen Fall ins Visier nimmt und folgt interessiert der Handlung. Diese Art der Unterhaltung hat sich mittlerweile als Straßenfeger erwiesen und belegt auch, wie bekannte Krimis, die im Gerichtssaal spielen – von Perry Mason bis Ben Matlock – ihr begeistertes Stammpublikum finden konnten und noch immer können.

Dieser Erfolg hat bei uns auch die Frage aufgeworfen, echte Fälle li

ve aus den Gerichtssälen direkt in unsere Flimmerkisten zu übertragen. Neben dem rechtlichen Problem, dass sich dabei ergibt – schließlich wird auch die schützenswerte Privatsphäre der Betroffenen, in diesem Fall echte private Schicksale, zur Schau gestellt – habe ich so meine Zweifel, ob sich diese Form der TV-Unterhaltung durchsetzen würde. Ein normaler „Fall“ kann nicht in einer Stunde mit Werbeunterbrechungen durchgezogen werden. Zudem verläuft ein echter Prozess sehr viel trockener und mit weniger Zwischenrufen oder Streitereien, als uns die telegen aufbereiteten TV-Fälle weismachen wollen. Auch würde so manche überraschende Wendung ausbleiben. In einem Gericht geht es eben sehr viel langweiliger zu als im Fernsehen und nach anfänglichem Interesse würde die Begeisterung der Zuschauer wohl schnell abflachen.

Was mir trotzdem an der TV-Gerichtsbarkeit gefällt ist hin und wieder der mehr oder weniger deutliche Hinweis darauf, dass Recht und Gerechtigkeit nicht immer dasselbe sondern sehr oft auch zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Das ist nämlich auch das erste, was jeder Jus-Student in einem Einführungs-Seminar zu hören bekommt. Eben jene Tatsache hielt mich, die ich mit „Petrocchelli“ (einem engagierten Rechtsanwalt, der in der Nebenhandlung mit dem Hausbauen beschäftigt war *g*) aufgewachsen bin, davon ab selber Jus zu studieren: zu groß war mir die Diskrepanz zwischen dem, was meinem natürlichen Rechtsempfinden entsprach und dem, was vor Gericht wirklich praktiziert wird. „Zwei Juristen, drei Meinungen“ ist nicht umsonst ein geflügeltes Wort, dass die Zerrissenheit wie die Flexibilität einer Anwaltsseele passend beschreibt.

Zu denken gab mir auch die Geschichte, die mir ein angehender Jurist, der im zweiten Bildungsweg studierte, seinerzeit einmal erzählte hatte: Ein Kinderschänder stand in Linz vor Gericht, sein Anwalt konnte aber glaubhafte Zweifel an seiner Schuld vermitteln. Er legte sich voll ins Zeug für den Mann – von dessen Schuld er genau wusste. Diese Tatsache war übrigens im ganzen Anwaltsbüro bekannt. Trotzdem war sein Verteidiger nicht nur gezwungen, alles zu tun um den Angeklagten frei zu bringen, er musste es auch tun, obwohl er über dessen Schuld Bescheid wusste. Und im Anschluss daran stieß man in der Anwaltskanzlei mit dem Mann auch noch auf den Gewinn des Prozesses an, der mit dem Freispruch wieder auf die Öffentlichkeit losgelassen wurde. Und auf neue potentielle Opfer…

Das ist die Kehrseite der Medaille. Die österreichische Gerichtsbarkeit schützt einen Täter mehr als seine Opfer und die, die es noch werden können, weil er beim geringsten Zweifel freigesprochen werden muss. Justizia ist blind, so blind, dass eben echte Täter freigesprochen und aber auch unschuldige Leute eingesperrt werden, wie jener Oberösterreicher, den ich neulich schon in einem anderen Beitrag in einem anderen Zusammenhang erwähnt habe. So ausgeglichen kann unser Rechtssystem gar nicht geknüpft werden, dass nicht Justizirrtümer an der Tagesordnung sind. Was meinen Sie, was ist schlimmer? Wenn jemand unschuldig womöglich für Jahre im „Häf’n“ landet oder wenn jemand als Täter frei geht, weiter stehlen oder betrügen oder Kinder missbrauchen kann? Hängt immer vom Betrachter ab… Der Fall von Herrn Heidegger, der unlängst nach acht Jahren einen furchtbaren Justizirrtum, der an ihm begangen (oder besser gesagt, verbrochen) wurde, aufklären konnte, hat mich intensiv beschäftigt. Viele, vor allem die hauptverantwortlichen Leute, werden sich an ihm die Schuhe abputzen und sich darauf ausreden, dass er durch sein Geständnis selber am meisten zu seiner Verurteilung beigetragen hat. Niemand wird diese zur Räson, zur Verantwortung ziehen, nur im Fußvolk, in der Exekutive, wird der eine oder andere Kopf deswegen rollen. Wenn überhaupt.

Die größten Gauner kommen immer davon, nur die kleinen werden eingesperrt, hat der Volksmund treffend erkannt. Wenn es schon in der Gerichtsbarkeit keine Gerechtigkeit gibt, so glaube ich trotzdem im Leben selber an so etwas wie eine ausgleichende Gerechtigkeit: Gottes Mühlen mahlen langsam

, aber sehr, sehr fein, heißt es nicht umsonst. Das gilt weniger für normale Rechtsbrecher als viel mehr für jene „Gauner“, die nicht immer gleich zu erkennen sind: jene, die sich auf Kosten anderer profilieren, jene, denen Erfolg wichtiger ist als Menschlichkeit oder auch  „jene Schurken, die sich in gute Taten hüllen“ (ein Zitat Jean Luc Picard’s von der Entreprise, das mir sehr gut gefällt). Jeder von ihnen steht einmal vor den Scherben oder der Lüge seines Lebens, und dann bleibt nicht viel übrig. Und was mich selbst betrifft, ich kann das bei so manchem erwarten…

Vivienne

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