Neue Bohnen Zeitung


KRITISCH BETRACHTET
von Vivienne  –  Oktober 2003



Das schwarz-grüne Experiment

Gestern wurde in Oberösterreich politische Geschichte geschrieben. Die Grünen unter Rudi Anschober beschlossen nach einer langen nächtlichen Diskussion, mit der ÖVP eine „Vernunftehe“ einzugehen. Für Nicht-Oberöstereicher ein kurzer Rapport wie es dazu kam: Am Sonntag, den 28. September, fanden in Oberösterreich Landtagswahlen statt. Die ÖVP unter Josef Pühringer, die de facto seit Menschengedenken den Landeshauptmann stellt, konnte zwar ihren Stimmenanteil leicht erhöhen, das Gros der von der inferioren FPÖ abgewanderten Wähler, unterstützte jedoch die Sozialdemokraten, deren Erich Haider sich über geradezu sensationelle zweistellige Zuwächse freuen durfte.

Wenige Monate zuvor war gerade ihm noch Farblosigkeit und mangelndes Charisma vorgeworfen worden, nun konnte sich die Partei mit ihm über ein historisches Ergebnis freuen, wenn gleich man nicht vergessen darf: Bundeskanzler Schüssel hatte mit dem Verkauf der VOEST mitten im Wahlkampf seinen Parteigenossen keinen Gefallen getan und die Stimmen- und Mandatsverteilung bei dieser Wahl zum Nachteil der ÖVP beeinflusst. Während nun alles an eine Fortführung des schwarz-roten Paktes glaubte, der in Oberösterreich immerhin 57 Jahre hielt, pokerte Haider anscheinend doch zu hoch, die Verhandlungen scheiterten schließlich. Mangels FPÖ-Power wurden die Grünen nun zum „Meistermacher“, und was vermutlich nicht  unbedingt alle politisch Interessierten vorher erwartet hatten, traf ein: Die Grünen – vor die Wahl zwischen  Rot und Schwarz gestellt – entscheiden sich gegen Haider und die SPÖ und werden in Hinkunft die ÖVP unterstützen. Pühringer bleibt also Landeshauptmann.

In welchem Gesamtkontext darf man nun dieses kleine politische Erdbeben verstehen? Da gibt es einige Aspekte, die ich aufzeigen möchte und möglicherweise bewahrheitet sich der eine oder andere. Pühringer halt in der ÖVP so wie sein niederösterreichischer  Amtskollege Pröll immer als Verfechter einer großen Koalition, im Gegensatz zu Kanzler Schüssel, der mit seiner konsequenten Ausgrenzung der SPÖ von einer möglichen Koalition ja so etwas wie einen privaten Rachefeldzug führt: zu viel wurde ihm und der Partei ja – seiner Meinung nach – von der SPÖ in den 90er Jahren angetan. Doch mit dieser unerwarteten Rochade in Oberösterreich wurde Schüssels Anti-SPÖ-Position indirekt gestärkt und möglicherweise ein Weg angedeutet, wie Schüssels Machtposition auch in Zukunft, nach dem zu erwartenden politischen Tod der FPÖ, weitergeführt werden könnte: nämlich mit den Grünen.

Schon im letzten Winter, in den sich endlos ziehenden Koalitionsverhandlungen der Bundes-ÖVP hatte es Gespräche mit den Grünen unter Alexander van der Bellen gegeben. Zwar scheiterten diese damals noch, aber die Möglichkeit wurde zumindest erstmals ins Auge gefasst. Schwarz-Grüne Koalitionen gibt es auf Landes- oder Bundesebene in ganz Europa nicht, lediglich im Stadtsenat von Köln haben sich Konservative und Grüne schon vor ein paar Jahren zu einer Pflichtallianz zusammengerauft um die anstehenden Probleme effizient und Schulter an Schulter lösen zu können. Keine leidenschaftliche Liebe in jedem Fall, aber ein solides Arbeitsverhältnis.

Was darf sich nun Oberösterreich von Schwarz-Grün erwarten? Jedenfalls keine blitzartigen Veränderungen. Anschobers Crew muss auch erst einmal in ihre Aufgabe hineinwachsen und hat trotz beachtlichen Erfolgs bei der Wahl vor fast vier Wochen sicher nicht die Druckmittel bei der Hand, die vermeintlich Erich Haider zu haben glaubte – aus der Position des Wahlsiegers heraus. Ich jedenfalls erhoffe mir, dass die Grünen vor allem ihren brennenden ökologischen Anliegen (Das Energieressort zum Beispiel wird in Zukunft von den Grünen betreut!) mehr Gewicht verleihen können. Das wäre nicht nur wichtig sondern ein elementares Anliegen vieler Landsleute.

Was wird nun aus der SPÖ? Erich Haider dürfte stark an dieser persönlichen Niederlage zu kauen haben, hat er doch mit dem Posten des Landeshauptmanns schon geliebäugelt. Im Moment können er und seine Genossen nicht mehr tun als auf baldige Streitereien zwischen den neuen „Eheleuten“ zu hoffen. Erneut eine Niederlage für die SPÖ, die – speziell bundesweit betrachtet – nach den sieben fetten Jahren nun ein mageres Jahr nach dem anderen überwinden muss. Kein Ende abzusehen, auch wenn durch taktische Fehleinschätzungen in der Bundes-ÖVP (Beispiel Voest, Beispiel Pensionsreform), die über die Häupter der Betroffenen hinweg Reformen, die sicher in der einen oder anderen Form notwendig gewesen sind, beinhart oktruierten, verlorenes Terrain wieder aufgeholt werden konnte. Doch im Moment kann die SPÖ aus solchen Fehlern des politischen Gegners einfach nicht wirklich profitieren…

Und wie steht die ÖVP nun nach diesem einzigartigen Pakt da? Auch die eigenen Leute sind mit dieser Koalition nicht unbedingt glücklich (Wie Landesrat Fill, der der Partei unter anderem deswegen jetzt den Rücken kehrt), aber mangels passender Alternativen hat man in den sauren (grünen?) Apfel gebissen. Die Vorsätze sind sicher auf beiden Seiten die besten, und wir können nur hoffen, dass sich dieser neue Wege bewährt und nicht nur bis zur nächsten Wahl hält sondern dem Land auch den frischen Wind und die neuen Ideen bringt, die unter diesem gemeinschaftlichen Dach durchaus möglich scheinen: nicht aus politischer Räson sondern für die Leute in Oberösterreich.

Vivienne

 

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