KRITISCH BETRACHTET
von Vivienne – Mai 2003
Was sind wir uns selber Wert?
Wie wenig ist unsere Arbeit wert, wenn wir eine Gehaltserhöhung möchten, aber wie unverzichtbar ist sie, wenn wir mal dringend frei haben wollen. Dieser Bürospruch, den Sie in dieser oder ähnlicher Form sicher auch schon gelesen haben, fasst perfekt zusammen, wobei es so manchem Dienstnehmer bei einem Job für unsereins ankommt: möglichst billig und möglichst immer zu arbeiten (und am allerbesten erst kurz nach Dienstschluss sterben, damit der Chef den ganzen Tag noch von der Arbeitskraft Nutzen ziehen kann!). Das war jetzt ein wenig zynisch, aber es gibt relativ viele Dienstgeber, die von Menschlichkeit und Fairness gegenüber den Angestellten sehr wenig halten und ihm bei Gelegenheit auch schon mal vorrechnen, wie viel er bringen muss, damit das Gehalt gerechtfertigt ist. Kein Scherz sondern traurige Wahrheit.
Umgekehrt: was ist für Sie ein Kriterium, dass Sie einen Job in Erwägung ziehen? Ich, die ich in meinem momentanen Job nicht immer glücklich bin, hatte kürzlich über eine Bekannte, die ich sehr schätze, eine Information erhalten, dass im Linzer Zentrum eine kleine Firma eine Arbeitskraft für eine interessante Stelle sucht, allerdings eben nur für 30 Stunden… Ich überlegte kurz. Mit einem Teilzeitjob habe ich schlechte Erfahrungen gemacht, also war für mich klar, vor einer offiziellen Bewerbung erst einmal telefonisch einige Fakten zu klären: neben Gehalt eben auch die Arbeitszeit, fachliche Voraussetzungen und Ähnliches. Ich suchte mir die Telefonnummer aus den Superpages im Internet und rief am nächsten Tag an.
Ein sehr gestresst wirkender Mann mit kratzender Stimme hob ab. Ich fragte kurz nach, ob ich richtig sei und wies dann darauf hin, dass ich mich wegen der freien Stelle erkundigen wolle. Auf meine Frage nach dem Gehalt antwortete er kurz wie nichtssagend: Kollektivvertrag. Und was ist Kollektivvertrag? Ich hatte meine Lebenshaltungskosten durchgerechnet und ein Minimum herausgefiltert, unter dem ich auf gar keinen Fall bleiben wollte. Also drängte ich weiter. Aber der Herr mit der rauen Stimme wollte sich auf gar keinen Fall festlegen. Er wisse es nicht, das mache der Steuerberater, ich möge mich doch an die AK wenden ob mir denn nicht klar sei, dass er als Unternehmer nicht mit den jeweiligen Kollektivverträgen herumlaufen könne, für den Fall, dass jemand frage! Zudem, belehrte er mich fast angewidert, sei es nicht gerade glücklich, gleich nach dem Gehalt zu fragen wenn jemand diesen Job mache, dann sollte der oder die Interessent/in es nicht wegen des Geldes tun sondern weil er oder sie es gern mache…!
Ich glaube schon, dass Geld nicht unbedingt die allererste Voraussetzung sein sollte, eine neue Arbeit anzutreten. Es stimmt, Freude an der Arbeit ist ganz wichtig, drum sehe ich ja bei meinem jetzigen Job, dass es so nicht lange weitergehen kann. Aber von der Freude an der Arbeit allein kann man nicht leben, und solche Dinge gehören geklärt. Job zum Selbstkostenpreis läuft am Leben vorbei! Meinem Gesprächspartner neulich konnte ich diese Tatsache nicht vermitteln, es ist halt unmoralisch, wenn man, speziell in gewissen Bereichen, die einfach schlechter bezahlt werden, vor dem Arbeitsantritt nach dem Gehalt fragt. Da würde sich der künftige Chef vermutlich genieren, wenn er es zugeben muss.
Schauplatzwechsel. In der geplanten Pensionsreform der Schwarz-Blauen sollen wir Steuerzahler ziemlich gerupft werden. Vor allem wird uns nahe gelegt, selber Vorsorge für eine Privatpension zu tragen. In Deutschland trotz rot-grüner Regierung ein ähnliches Bild. Gerd Schröder drängt seine Landsleute, sich auch was die Krankenversicherung betrifft, bei privaten Anbietern umzusehen. Nette Aussichten, nicht nur, weil ich mich frage, wie er das den mehr als 4 Millionen Arbeitslosen erklären will, denen ohnedies nichts mehr zum Leben bleibt. Ich frage mich auch, welche Geisteshaltung hinter all dem steckt. Immer mehr Leuten wird gepredigt, für immer weniger Geld zu arbeiten (außer, sie gehören der privilegierten Politikerschicht an), um ihren Job zu behalten, ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Und dieses immer wenigere Geld soll dann reichen, für eine Privatpension einzuzahlen, sich zusätzlich bei einer privaten Kasse zu versichern und daneben noch eine Familie zu ernähren oder gar ein wenig zu leben… Aber der Job, der soll uns Spaß machen, das ist doch das Wichtigste. Nach Geld fragt man nicht, heißt es doch…
Bei aller Freude, die uns also die Arbeitsstelle vermitteln soll, darf man doch Einiges nicht außer Acht lassen: Man muss leben (im Sinne von genießen) können, von dem was man verdient. Sonst bringt der angenehmste Job nichts Wer nicht genießt, wird ungenießbar, sagt Konstantin Wecker treffend. Und man sollte sich auch seines Wertes bewusst sein: Ich kann was, ich habe was gelernt, unter einem gewissen Lohnniveau arbeite ich nicht, das bin ich mir selber Wert. Kompromisse werden sicher das eine oder andere Mal nötig sein, aber trotzdem muss es nicht jeder x-beliebige Job sein. Das dachte ich mir auch neulich im Gespräch mit jenem gestressten Herrn wegen der offerierten Stelle. Als er mir nämlich noch vorwarf, ich wäre wohl nicht die Richtige für die Stelle, gab ich ihm voll und ganz Recht und dachte mir: Du brauchst auf jeden Fall eine die es billiger tut als ich!
Vivienne
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