von Vivienne – März 2004
Zwischen altklugem Gerede und den harten Fakten…
Wer einen Teenager ohne Ausbildungsplatz zu versorgen hat, kennt die Problematik. Gute Ausbildungsplätze, sprich Lehrstellen, sind rar, und nicht jedes Kind mit 15 oder 16 ist gut genug für eine höhere Schule oder an einer solchen Ausbildung überhaupt interessiert. Ganz abgesehen davon, dass man nach einer weiterführenden Schule oft genau wieder am Anfang und damit vor der Frage steht: Wie krieg ich einen Job? Vitamin B kann sicher nützlich sein, aber die Zeiten sind definitiv vorbei, dass man z. Bsp. über Onkel oder Schwägerin im Amt oder einer größeren Firma sozusagen per Fingerschnipsen unterkommt. Da muss schon mehr passen
Einem kurzen Bericht in der Tageszeitung konnte ich heute entnehmen, dass man auch in der Landesregierung erkannt hat, dass die Lehrstellenproblematik vor allem Mädchen zu schaffen macht. Über 1500 Mädels im Land Oberösterreich sind ohne Lehr- oder Ausbildungsplatz. Schön, dass wir dort Leute mit Weitblick haben, ist man geneigt, zynisch zu vermerken, angesichts von Aussagen à la Mädchen versteifen sich auf die falschen Berufe: Bürokauffrau, Verkäuferin, Friseurin, etc. Die Jugendlichen sollten also mehr Mut zu technischen oder männlich besetzten Berufen aufbringen!
Tja, ganz einfach: Man schiebe den schwarzen Peter einfach den betroffenen Mädels zu. Hat sich denn keiner der zuständigen Politiker jemals Gedanken gemacht, ob es überhaupt realistisch ist, derartiges zu fordern? Welcher Chef einer Autowerkstätte etwa, der einen Mechanikerlehrling sucht, wird sich bei, sagen wir über den Daumen gepeilt, 50 Bewerbungen mit klarem männlichem Überhang für ein Mädchen entscheiden? Ganz abgesehen davon: welcher Unternehmer oder Firmenchef, der technische Ausbildungsplätze zu vergeben hat, traut einem 15jährigen Mädel die Fähigkeiten zu, auf dieser Lehrstelle zu bestehen?
Kaum einer, seien wir doch ehrlich, Ausnahmen bestätigen die Regel, auch im beginnenden 21. Jahrhundert. Dazu kommt noch, dass der eine oder andere Chef sicher auch damit argumentiert, dass er in seinem Männerbetrieb für einen einzelnen weiblichen Lehrling nicht ein extra WC bauen lässt. Und nicht wenige reden sich auch darauf aus, dass in einer männerdominierten Firma so ein heranwachsendes Mädel nur Unruhe reinbringen würde. Man kann es auch anders formulieren: Unruhe bis hin zur sexuellen Belästigung
In dem Zusammenhang fällt mir auch immer eine Geschichte ein, die einer Schulkollegin meiner Schwester, Helga, passiert ist. Vor bald 20 Jahren war es noch ungewöhnlicher als heute, dass ein Mädchen in einen eher männlich behafteten Lehrberuf drängte. Helga hatte sich entschlossen, Maler und Anstreicher zu lernen, und mit der nötigen Konsequenz auch einen Lehrplatz bekommen. Die Ausbildung geriet für das Mädchen zu einem Martyrium: Die Kollegen im Betrieb und in der Berufsschule bedrängten Helga regelmäßig, belästigten sie sexuell und missbrauchten sie auch.
Hilfe kam weder vom Chef, noch von den Lehrern in der Berufsschule oder von der AK. Als Helga den nervlichen Druck nicht mehr ertrug, schmiss sie die Lehre hin. Wer könnte das angesichts solcher Erlebnisse nicht verstehen? Wenn Sie Kinder haben: würden Sie nicht auch Zweifel haben, ihre fast erwachsene Tochter einen männlichen Beruf erlernen zu lassen? Wo sie es mit Sicherheit dreimal so schwer hat akzeptiert zu werden und wo Sie nicht abschätzen können, was ihr dort so alles widerfahren kann?
Natürlich ist es ein Armutszeugnis für unsere ach so fortgeschrittene und moderne Gesellschaft, dass zwar regelmäßig die Gleichstellung von Mann und Frau gepredigt wird aber die in der Theorie die schönen wie aalglatten Worte unserer Politiker der harten Realität nicht standhalten können. Wir machen gerade eine ordentliche Rezension durch, unsere Arbeitslosigkeit erreicht Rekordwerte, auch deshalb, weil Frauen sich ihr Anrecht auf einen Job und selbst verdientes Geld erkämpft haben. Gleiches Recht für alle! Also ganz okay, wenn es auch die nötigen Arbeitsplätze gäbe aber das ist eine andere Geschichte.
Jeder, der sich heutzutage überlegt, Kinder zu haben, stellt sich sicher auch die Frage, ob er ihnen einen geborgenen und sicheren Einstieg ins Leben bieten kann. Und natürlich werden sich viele auch überlegen: Werde ich meinem Sohn oder meiner Tochter auch einmal eine solide Ausbildung ermöglichen können? Natürlich ist es nicht wünschenswert, dass jeder Sohn einen typisch männlichen oder jedes Mädchen einen typisch weiblichen Beruf erlernt und in diesem dann auch tätig ist.
Aber Jobsuche ist etwas komplexer, als den Mädchen zu predigen: Werdet nicht Friseurin oder Sekretärin, werdet Dachdecker oder Maurer! Nicht jedes Mädel kann sich nämlich mit so einem Beruf überhaupt identifizieren, ganz abgesehen von den möglichen Schikanen, die ich weiter oben schon angeführt habe. Außerdem gibt es derartige Lehrstellen auch nicht am Fließband. Der Ansatz ist einfach der falsche! Neben einem ordentlichen Schub für unsere Wirtschaft (den wir unter dieser Regierung ganz sicher nicht bekommen werden!) gehört auch unser Schulsystem ordentlich reformiert und durchforstet.
Wenn Mädchen technische Berufe lernen oder daran Gefallen finden sollen bzw. umgekehrt auch Burschen sich für nicht so typische Männerberufe begeistern, dann müssten Interessen, Fähigkeiten und Talente individuell viel mehr gefördert werden. Das passiert klarerweise nicht von einem Tag auf den anderen, wäre aber jedenfalls eine lohnende Investition in unsere Zukunft. Das einzige wirklich Problem daran: Neben der breiten politischen Basis, die diese Neuregelung zur Umsetzung benötigt, würde wahrscheinlich in unserer Wasserkopf-Bürokratie die Ausarbeitung eines Konzepts Jahrzehnte dauern
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