Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Juni 2004



Das Arbeitsrecht mit Füßen getreten…

Dass die so genannten „fetten“ Jahre am Arbeitsmarkt vorbei sind, dürfte nun niemand mehr anzweifeln, der einigermaßen realistisch durch’s Leben geht. (außer er sitzt in einem Amt…) Arbeiten gehen können unter halbwegs erträglichen Konditionen ist fast schon ein Luxus geworden und manch einer hat’s nicht eben leicht, wenn er sich das Brot zum Leben verdienen muss. Dass die eigene Fantasie aber auch die eigenen Erlebnisse immer wieder von den realen Gegebenheiten übertrumpft werden, zeigt sich speziell im Fall jener Linzer Großhandelsfirma, in der meine jüngere Schwester und ihr Lebensgefährte beide schon seit mehr als zehn Jahren arbeiten.

In jener Filiale des österreichweit tätigen Konzerns laufen ja die praktizierten Arbeitskonditionen ohnehin schon seit Jahren am Arbeitsrecht vorbei. So manche Episode oder manches Beispiel von Auswüchsen der Geschäftsführerwillkür habe ich schon in meinen Artikeln erwähnt, ebenso die Tatsache, dass der Betriebsrat dabei achselzuckend zusieht – ist er doch selber nicht mehr als ein verlängerter Arm der Geschäftsleitung. Was sich aber in den letzen Wochen in dem Unternehmen abspielt, schlägt eigentlich alles, was man sich in seinen schlimmsten Albträumen ausmalen würde. Man versucht nämlich mittlerweile, unliebsamen Mitarbeitern Diebstähle zu unterschieben, Sie lesen richtig, um die Fristlose aussprechen zu können. Und sich außerdem geschickt vor der Zahlung der Kündigungsentschädigung und der Abfertigung drücken zu können.

Im konkreten Beispiel eines Kollegen meiner beiden lieben Verwandten sah das so aus, dass jener sich in der Firma eine Kleinigkeit kaufte und seine Rechnung mit Namen an der Kasse liegen ließ. Im Unternehmen beschaffte man sich die Rechnung (oder druckte sie einfach auch nur ein zweites Mal, auch das geht!), legte sie in ein Sackerl, in das wahllos andere Waren gelegt wurden und rief den Kollegen in die Betriebsleitung. Dort konfrontierte man ihn mit dem Sackerl, das er gar nicht kannte, und unterstellte ihm ganz offen Diebstahl. Der Mann war geistesgegenwärtig genug, um sich gegen die Anschuldigungen zu wehren und wies energisch darauf hin, dass ihm das Sackerl gar nicht gehöre, was ja auch der Wahrheit entsprach.

Da dieser Versuch nicht fruchtete, schon mangels an echter Beweiskraft, einigte man sich in der Folge mit dem Kollegen unter der Hand und schied einvernehmlich von ihm, anscheinend mit allen Rechten für den Mann. Ein anderer Mitarbeiter ließ sich hingegen in diese Falle locken und unterschrieb diese ungerechtfertigte Entlassung. Und verlor damit alle Ansprüche: denn auf den rechtlichen Anspruch auf Kündigungsentschädigung oder Abfertigung wurde mit der Unterschrift rechtskräftig verzichtet. Ich habe heute Vormittag im Zuge meiner Recherchen  in der Causa mit Frau Haudrich von der AK Linz gesprochen und sie gefragt, wie man sich als betroffener Dienstnehmer im Falle eines derart konstruierten Entlassungsversuchs verhalten soll.

Wichtig ist vor allem, weist Frau Haudrich hin, dass man sich nicht einschüchtern lassen soll und nichts unterschreiben darf, auch wenn der Schock im ersten Moment über eine derartige ungeheuerliche Behandlung sehr groß ist. Dann hat man zwei Möglichkeiten zur Auswahl, von denen letztere sicher die realistischere ist. Denn eine Anfechtung dieser Fristlosen, der ersten Variante weiter vorzugehen, macht nur für Dienstnehmer Sinn, die in einem Alter sind, in dem die Chancen, einen neuen Job zu finden, sehr unrealistisch bis aussichtslos sind. Jüngere sollten lieber vors Arbeitsgericht ziehen, um ihre Ansprüche geltend zu machen, was sicher auch mit Zeit- und Nervenaufwand verbunden ist. Aber wer schenkt schon freiwillig Geld her…

Im Falle der Linzer Großhandelsfirma, die sich schon in der Vergangenheit einen berüchtigten Namen gemacht hat, was ihre Auslegungen des Arbeitsrechts betrifft, dürfte ein derartiges Vorgehen nicht unbedingt notwendig sein, wenn man selbstbewusst auftritt und möglichst ruhig bleibt. Beispiele aus den letzen Jahren haben immer wieder gezeigt, dass man in der Geschäftsleitung dann meistens zwei Gänge zurückschaltet, wenn das auserwählte Opfer einen klaren Kopf behält bzw. im schlimmsten Fall den Gang vors Gericht anstrebt. Ein längerfristiger Rechtsstreit oder womöglich ein breiteres Echo in den Medien sind nicht im Sinne der Firmenphilosophie und schaden dem Image…

Leicht ist so eine Situation trotzdem nicht als Dienstnehmer, weil sie in einen Nervenkrieg ausarten kann. Man beginnt sich zu überlegen, womit, aus welcher Harmlosigkeit heraus, die Geschäftsleitung, die offenbar sonst nichts Wichtiges zu tun hat, einem einen Strick drehen könnte. Angesichts dessen nehmen sich die Vorstöße des Herrn Sorger von der Industriellenvereinigung in Sachen Flexibilisierung der Arbeitszeit geradezu grotesk aus. Man würde ihm und dem Herrn Minister Bartenstein, der Sorgers Überlegungen einiges abgewinnen kann, wünschen, ein paar Wochen in jener Linzer Großhandelsfirma zu arbeiten, zu jenen üblen Bedingen und zu dem lachhaften Gehalt – zur Erweiterung des eigenen Horizonts!

Vivienne

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