von Vivienne – Mai 2004
Das Recht, „nein“ zu sagen…
Schon neulich befassten sich ein paar philosophische Gedanken von mir mit diesem Thema. Fast jedem Menschen fällt es schwer, das Wörtchen nein zu gebrauchen. Je emotionaler man involviert ist, desto schwerer fällt es. Dahinter steckt, was sollte es auch anders sein, ein handfester Schuldkomplex, vielleicht auch mehrere. Solche Komplexe wurzeln meistens in der Kindheit. Ein kleines, hilfloses Geschöpf macht etwas falsch, hört nicht auf Mama und Papa oder stellt unabsichtlich etwas an. Da hat dich Mama aber nicht mehr lieb!
Ein harmloser Satz an sich, vielleicht vom jeweiligen Elternteil gar nicht so böse gemeint sondern eher als erzieherische Maßnahme gesetzt, um die Wichtigkeit zu unterstreichen. Eine mittlere Katastrophe aber für ein kleines Kind, das das Gefühl vermittelt bekommt, es sei nicht mehr liebenswert, das sich zurückgestoßen fühlt. Häufen sich derartige Vorfälle im Kleinkindalter, wächst da später mit Sicherheit ein ziemlicher Komplexler heran, mit wenig Selbstbewusstsein, harmoniesüchtig und stets bemüht, bei niemandem anzuecken.
Mit einem Wort: ein Mensch, wie Ihre Vivienne. Es hat mich viel Kraft gekostet, die Zusammenhänge zu durchschauen, es hat auch viel Selbsterkenntnis gebraucht, um zu erkennen, dass ich sehr wohl ein wertvoller Mensch bin, dass ich mit meiner Harmoniesucht alles nur schlimmer gemacht habe und ganz besonders hab ich gelernt: ich darf nein sagen wann immer mir danach ist, nein zu sagen. Unverbindlichkeit, wie sie Menschen mit wenig Selbstbewusstsein auszeichnet, mag in so mancher Situation recht hilfreich sein, sollte aber nicht davon ablenken, dass man ein Recht hat, nicht nur zu seiner Meinung zustehen sondern auch das zu tun, wonach einem gerade wirklich ist.
Zumindest im Kontext mit unseren täglichen Pflichten vom Job bis hin zum Kaufen einer Fahrkarte für die öffentlichen Verkehrsmittel etwa. Sie wissen was ich meine. Es geht mir darum, dass man sich niemandem anbiedern muss, um geliebt werden zu können, um akzeptiert zu werden, um einer Freundschaft würdig zu sein. Profil zeigen lohnt sich! Wer mit einem Rucksack voller Schuldkomplexe durchs Leben wandert und versucht, jedem gefällig zu sein, erreicht damit nur, dass ihm ein Rucksack nach dem anderen umgehängt wird. Das Leben gestaltet sich nicht leichter sondern immer unangenehmer
Sie haben sicher dieser Tage einen meiner Beiträge aus der Bunten Welt über die Mitleidstour gelesen. Ein mir bekanntes Pärchen, das ich offenbar doch zu flüchtig kannte, hatte versucht, mir mit dem Holzhammer (lachendes, spielendes Kind, schnurrender Kater und bevorzugte Behandlung), Produkte eines fragwürdigen weltweiten Vertriebsunternehmens aufzuschwatzen. Die Aktion war gut durchdacht durchgezogen worden, allerdings bei mir ergebnislos geblieben, obwohl ganz gezielt im Sinne der Unternehmenspolitik vorgegangen worden war. Einerseits versuchten die zwei, mein Mitleid mit der lieben Familie zu wecken, der man die Probleme deutlich ansah.
Andererseits sollten aber auch Schuldgefühle in mir entstehen, weil die Leute sich vermeintlich so freundlich mir gegenüber verhielten und es mir ja im Vergleich zu ihnen so gut ging. Pfui Teufel! Nicht wenige Leute an meiner Stelle hätten sich sehr unwohl in ihrer Haut gefühlt und zumindest irgendetwas gekauft, nur um ihre Schuldgefühle los zu werden. Einer der Hauptgründe für mich, warum derartige Vertriebsmethoden in meinen Augen verabscheuungswürdig sind. Dass ich selber, die ich im Grunde in meiner Jugend ein prädestiniertes Opfer für derartige Fangmethoden dargestellt hätte, hart blieb, hatte viel mit meinem in der Zwischenzeit erworbenen Wissen zu tun.
Ich wusste ja, dass ich manipuliert werden sollte, und konnte mich aus diesem Grund erfolgreich dagegen wehren. Je sicherer man empfindet, dass man sich nicht schuldig zu fühlen braucht, desto weniger lässt man sich reinlegen oder erliegt dem psychischen Druck. Oder um es mit den Worten von Engelbert, dem Betreiber meiner Liebsten Homepage gleich nach der Bohne, zu sagen: Das ist nicht Egoismus, sondern ein Zeichen von Eigenliebe. Weil man gerade in solchen Fällen auf Dauer nur draufzahlt, wenn man einem Schuldgefühl nachgibt, das künstlich erzeugt worden ist.
Der gesunde Egoismus! Wenn ich darauf schaue, dass es mir gut geht und mich dann und wann auch verwöhne, tut das meiner Persönlichkeit gut und im Speziellen meinem Selbstwert. Und daran finden nur die Leute etwas Negatives, die bemerken, dass man sich nicht mehr ausnutzen und einspannen lässt. Und auf deren Meinung darf man getrost pfeifen! Wie wichtig ein gesunder Selbstwert schon bei Kindern ist, darauf wird immer wieder im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch hingewiesen, ganz besonders wenn ein Familienmitglied oder ein guter Freund der Familie der Übeltäter ist!
Allen Eltern sollte bewusst gemacht werden, dass ein Kind, dem man ein gesundes Maß an Selbstverweigerung ermöglicht, auch leichter die Kraft hat, sich gegen Missbrauch zu wehren. Ich darf nein sagen – ein elementares Recht. Gerade pädophile Triebtäter versuchen ihren Opfern auch gerne, Schuldgefühle einzuimpfen: wenn es sich verweigern möchte, wenn es den Missbrauch mitteilen möchte. Besonders ekelhaft, aber damit haben diese gestörten Persönlichkeiten leider auch viel zu oft Erfolg.
Fehler, die bei der Erziehung vor zig Jahren gemacht worden sind, kann man nicht mehr ändern. Das heißt aber auch nicht, dass man die Gegebenheiten nun hinnehmen muss, wie sie sind. Ganz im Gegenteil. Man kann sein ganzes Leben lang an seiner Persönlichkeit arbeiten, sein Selbstbewusstseins stärken und sich selber seelische Streicheleinheiten verpassen bei jeder Gelegenheit: Ich bin okay, so wie ich bin! Ich bin mir alles Glück der Welt wert. Und ich steh auf mich! Manche Narbe wird dadurch geglättet. Einfach immer wieder vorsagen, wirkt zwar keine Wunder aber es setzt sich mit der Zeit im Gehirn fest. Eine Methode mit Langzeitwirkung, aber bei gewisser Konsequenz sicher erfolgreich
Link: Alle Beiträge von Vivienne