von Vivienne – Juni 2004
Das Recht zu wählen
Der fünfte Urnengang in diesem Jahr steht an. Mit der zweiten bundesweiten Entscheidung nach der Bundespräsidentenwahl vor wenigen Wochen können sich die wenigsten Österreicher anfreunden. Wenn man den Meinungsforschern trauen darf, wollen vielleicht an die 40 % der Wahlberechtigten zur Stimmabgabe schreiten. Dieses Kuriosum lässt sich vielfältig interpretieren. Etwa auch dahingehend, ob Kanzler Schüssel nach der zu erwartenden desaströsen Wahlbeteiligung etwa Österreichs Austritt aus der EU zumindest in den eigenen Reihen diskutieren wird.
Denn nach der ungleich höheren Beteiligung an der Bundespräsidentenwahl sprach er ja schon laut von der Abschaffung dieses Amtes, weil es zuwenig Zustimmung erhält Man könnte des Langen und Breiten darüber streiten, weswegen das Interesse der Österreicher, aktiv die Politik im eigenen Land mitzubestimmen, so stark nachgelassen hat. Die Politikverdrossenheit ist groß, kaum jemand verspricht sich noch etwas davon, wenn er sich die Mühe macht, je nach Wahl ein oder mehrere Kreuzerl zu machen: Weils eh nix bringt Diese Philosophie ist man oft genug selber geneigt zu teilen, wenn man Kanzler Schüssels Alleingänge und Durchmärsche bei der Realisierung der ihm wichtigen Ziele verfolgt.
Besonders die jungen Leute sind politisch an sich nicht uninteressiert, aber wenig überzeugt von der Bedeutung und Wichtigkeit einer persönlichen Teilnahme am Geschehen. Die Forderung hierzulande, das Wahlalter zu senken, dürfte sich in der Realität als Schuss ins Knie erweisen. Wer von der Politik im Lande nichts hält, wird auch dann nicht wählen gehen, wenn man ihm alle Wege ebnet, dem fast noch im Kindesalter nachzukommen. Fast scheint es so, als würde sich dieser Tage wieder diese No-Future-Generation reinkarnieren, die zu meinen Zeiten, teilweise im Gruftie-Look, ihr (Un-)Wesen trieb.
Verübeln kann man grundsätzlich niemandem so leicht, dass er sich, enttäuscht und desillusioniert vom politischen Tagesgeschehen und von der Kälte, die einem in jedem Bereich entgegenweht, als Konsequenz zum Ganzen in sein Schneckenhaus zurückzieht und sich die Hände in Unschuld wäscht: Sollns doch machen, was sie wollen! Lösung ist es trotzdem keine. Wenn man bedenkt, mit welcher Vehemenz und zum Teil unter Einsatz des eigenen Lebens um das Recht zu wählen vor noch nicht einmal so langer Zeit gekämpft wurde, ist es sogar fast beschämend, wie leichtfertig darauf verzichtet wird.
Es ist kein Renommee für unser Land und noch viel weniger für unsere Politiker, dass das Interesse der Wahlberechtigten, sich ernsthaft Gedanken um unser Land zu machen und das auch aktiv zu untermauern, so wenig ernst genommen wird. Aber wessen Schuld ist es nun wirklich, dass immer weniger ein wichtiges Recht in Anspruch nehmen, ein Privileg, das in so vielen Ländern der Welt alles andere als eine Selbstverständlichkeit darstellt? Wenn man bedenkt, dass in einem westlich orientierten Land wie der Schweiz, das Wahlrecht für Frauen erst vor erschreckend wenig Jahren eingeführt wurde, sollten wir in Österreich uns einmal bei der Nase fassen und uns überlegen, was wir da überhaupt so gering achten.
Natürlich, die Zeiten haben sich geändert. Als in Österreich hart auf hart um Demokratie und Wahlrecht gekämpft wurde, waren der Idealismus und die Begeisterung, sich für diese wichtige Sache einzusetzen, sehr groß. Die Leute jener Generation hatten das Gefühl, sich für eine wichtige, bedeutende Mission einzusetzen. Dieses Gefühl fehlt heute fast völlig und was damals die Massen faszinierte ist in diesen Tagen großer Resignation gewichen oder klingt nur mehr schal und leer. Wählen gehen das bringt doch nichts mehr! Nun, diese Behauptung muss man einschränken.
Wählen bringt dann nichts mehr, wenn man wirklich den Hut drauf haut. Wenn man das widerspruchslos hinnimmt, was einem die Herren und Frauen Politiker vorsetzen, auch wenn es, bildhaft gesprochen, noch so ein Fraß ist Politiker sind eine eigenen Rasse, die fast ausnahmslos von wir und uns faseln aber nur ihre eigenen Ziele verfolgen. Ich kannte vor Jahren einmal einen jungen Gemeindepolitiker aus einem Ort im Traunviertel. Wir beide arbeiteten damals bei den Oberösterreichischen Nachrichten im Telefonverkauf, er deshalb, um die Zeit nach der Matura bis zum Zivildienst zu überbrücken.
Ab und an kamen wir zum Plaudern und er erzählte öfter aus dem Alltag des Gemeinderates. Einmal ärgerte er sich sehr, weil seine Partei, die SPÖ, bei der Wahl Stimmen eingebüßt hatte und der rote Bürgermeister gegen eine konservative Mehrheit im Gemeinderat einen harten Stand hatte. Die können uns doch nicht für die Bundespolitik (damals herrschte noch ein roter Kanzler!) verantwortlich machen! Und wie sie das können, wie wir alle das können! Darin liegt die Macht von uns Wählern, da können wir ansetzen. Keine Revolution, aber steter Nadelstich wird auch lästig, kann zum Umdenken führen. Natürlich nicht gleich, aber im Laufe der Zeit.
Wir wissen, glaube ich, gar nicht wirklich, welche Macht wir bei allen Einschränkungen in der Hand haben!
Vivienne
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