von Vivienne – Juni 2004
Das Theater ums Theater
Lange kreisten unsere Verantwortlichen beim Land Oberösterreich und bei der Stadt Linz um sich über den richtigen Standort eines neuen Musiktheaters in der Landeshauptstadt zu einigen. Nach hitzigen Diskussionen und Streitgesprächen konnte gestern endlich der Startschuss erfolgen: am Blumauerplatz, am Standort des alten Unfallkrankenhauses, das ja hinunter zum AKH verlegt werden soll (die Bauarbeiten sind schon eifrig im Gang) wird in den nächsten 5 Jahren, so optimistische Schätzungen, das neue Musiktheater entstehen. Zentral gelegen und mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar wird es wohl in der Hinsicht die Ansprüche der meisten Theaterfreunde zufrieden stellen, da auch ein Parkhaus gleich in der Nähe verfügbar ist.
Im Herbst 2000 hatten sich bei einer Volksabstimmung noch etwa 60 % der Bevölkerung gegen das umstrittene Theater im Berg ausgesprochen, woran die damals noch recht starke FPÖ nicht unbeteiligt war. Ich selber gehörte damals jener Minderheit an, die mit ja votete, wobei es für mich weniger um das Theater im Berg selber ging als viel mehr um ein neues Musiktheater allgemein, dass ich grundsätzlich befürwortete. Und das wollte ich mit meiner Zustimmung auch ausdrücken. Die Frage des Standorts hab ich selber nie in meine Überlegungen einbezogen. Weder wollte ich mich parteipolitisch einwickeln lassen, noch verfüge ich über die nötigen Kenntnisse, um für und wider schlüssig abhandeln zu können. Wichtig ist, dass nun eine Entscheidung mit breitem Konsens gefallen ist, und dass der Bau sich nicht in der Folge wieder zu einer unendlichen Geschichte auswächst
Ob ich in Hinkunft nun öfter in diesem neuen Theater oder einfach im alten Landestheater zu Gast sein werde, möchte ich ehrlich gesagt trotzdem bezweifeln. Nicht dass die in der Bohne lyrisch so rührige Vivienne gänzlich uninteressiert wäre an der Kultur, an Dramen und Stücken mit klarer Botschaft. Bei weitem nicht! Zitate von Klassikern wie Goethe und Schiller runden immer wieder meine Beiträge ab, und ich liebe Shakespeares Sonetten. Dazu stehe ich auch. Es sind viel mehr die modernen Inszenierungen, mit denen man immer wieder zwangsbeglückt wird und an denen ich mich stoße. Ich war ganze zwei (!) Mal bisher im Landestheater, beide Male von der Schule aus. Einmal hab ich bei der Gelegenheit eine Operette gesehen, das andere Mal gabs ein Stück von Nestroy zu bewundern. Der berühmte Funke ist dabei nicht auf mich übergesprungen.
Woran das lag, kann ich nachträglich nicht wirklich erklären. Kritiken, die ich in den letzten Jahren über die Inszenierungen so genannter moderner Regisseure las, haben mein Interesse aber nicht gerade gesteigert. Ganz im Gegenteil. Wenn man hört oder liest, dass in einem Stück regelmäßig jeden Abend auf der Bühne ein Schauspieler sein großes Geschäft verrichtet, und sich der Gestank bis in die hintersten Zuschauerreihen verbreitet, kann ich mir gut vorstellen, dass so mancher klassische Fan den Appetit darauf verliert, in sein angestammtes Theater zugehen. Gar nicht zu reden davon, wie so mancher Regisseur klassische Dramen derart verhunzt, dass sich der Dichter selber wohl im Grabe umdrehen würde, müsste er sich sein Werk in einer modernen Inszenierung zu Gemüte führen.
Oftmals werden aktuelle politische Gegebenheiten hineininterpretiert oder der Inhalt derart verändert, dass das Stück bis zur völligen Unendlichkeit verfremdet nicht mehr für all das steht, dass der Dichter vor vielen Jahren einmal damit ausdrücken wollte, der ja auch seine eigenen Ideen und Gedanken in seinen Dramen verewigt hat. Ich persönlich empfinde es als große Unverschämtheit, wenn einer dieser modernen Möchte-gern-Künstler sich für seine teilweise verrückten bis grotesken Inszenierungen an einem Klassiker vergreifen muss, um seine Anliegen unter die Leute zu bringen. Wobei Anliegen noch hoch gegriffen ist: viele dieser angesagten Regisseure wollen eigentlich nur provozieren oder Schlagzeilen machen, und das um jeden Preis: mit nackt agierenden Akteuren, mit Fäkalkultur – wie oben schon erwähnt oder mit deftiger, derber Sprache.
Es hat sich in den letzten zwanzig Jahren einiges Getan in der Theaterwelt, und so mancher große Theaterfreund weicht deshalb gezwungenermaßen auf andere Bühnen aus, in anderen Bundesländern. Darin sehe ich auch, als mehr oder weniger Unbeteiligte, das größere Problem der Theaterverantwortlichen im Lande ob der Enns. Sie sollten daran arbeiten, eine einheitliche Theaterstruktur in unserer Bühnen zu bringen. Und im Grunde sollten sie sich auch entscheiden, ob fürs Publikum inszeniert werden soll oder sie zur Selbstdarstellung von selbsternannten Avantgardisten beitragen wollen. Skandale allein sind kein Erfolg, wenn daneben das Publikum teilweise in Scharen davon läuft. Die Ränge bleiben dann auf Dauer leer, und viel zu billig ist es, wie es nicht wenige praktizieren, die Zielgruppe dann als zu dumm oder nicht reif für moderne Aufführungen herabzuwürdigen.
Letztlich sollte das Publikum noch immer der Gradmesser für den Erfolg und auch die Qualität eines Spielplans sein und dabei die deutlichste Sprache sprechen, was gefällt und ankommt beziehungsweise welche Form der Inszenierung praktiziert wird. Natürlich muss sich auch Theater weiter entwickeln, kann sich nicht immer nur starr an den alten Normen orientieren, um neu, frisch, lebendig und aufnahmefähig bleiben zu können. Theater soll auch immer wieder eine Herausforderung sein, sich neuer Ideen und Entwicklungen anzunehmen. Sch..en auf offener Bühne und Herabwürdigung von Klassikern verstehe ich darunter aber nicht. Und dass sollten sich auch unsere Verantwortlichen durch den Kopf gehen lassen, die die Schirmherrschaft für unser neues Musiktheater übernommen haben. Ob sich nämlich die ganze Aufregung und die ganzen nötigen Ausgaben lohnen werden, wenn man das Publikum mit überzogen-progressiven Inszenierungen verscheucht!
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