Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  August 2004



Der vertauschte Embryo

Ein interessante Meldung fiel mir heute in den Nachrichten auf: eine US-Amerikanerin klagte, weil ihr von einem Ärzteteam der falsche Embryo eingepflanzt worden war. Sie und ihr Mann, die auf natürliche Weise keine Kinder bekommen konnten, hatten auf eine heutzutage sehr häufig angewendete Methode zurückgegriffen: etliche Eizellen der Frau waren mit dem Sperma des Mannes befruchtet und dann eingefroren worden. Doch bei der Entnahme des Embryos passierte dann ein Irrtum – nicht ein Embryo des besagten Paares sondern der eines anderen Paares wurde ihr eingesetzt. Die Ärzte gestanden den Fehler erst ein, als das Baby schon geboren war. Nun klagt die „falsche“ Mutter, die das von ihr Geborene nicht mehr hergeben möchte, trotzdem auf Schadenersatz während die leiblichen Eltern nun um „ihr“ Kind kämpfen… 

Eine diffizile rechtliche Situation in jedem Fall. Unsere althergebrachten Vorstellungen von Vater, Mutter, Kindern, Eltern und Familien passen nicht mehr zu den Gegebenheiten, die durch die erschreckend weit fortgeschrittene Medizin real geworden sind. Die leibliche Mutter eines Kindes muss längst nicht mehr die Frau sein, die es ausgetragen hat, und die gesetzliche Mutter braucht nicht einmal mehr mit dem Kind verwandt zu sein. Ein Kind, im Reagenzglas gezeugt, kann einer Jungfrau implantiert werden, die nie in ihrem Leben Sex mit einem Mann hatte. Diese Frau trägt es aus und wird auch noch Mutter… So hilfreich moderne Möglichkeiten für Paare sein können, die auf normale Art und Weise nicht Eltern werden können – der Streit um oder über das Kind lässt in krassen Fällen oft nicht auf sich warten.

Der Gesetzgeber ist auf die entstandenen Möglichkeiten und Varietäten nicht vorbereitet worden und agiert dementsprechend oft mehr schlecht als recht um nicht zu sagen nur hilflos. Und jedes Land sieht die Sachlage wieder anders, hier ist jenes erlaubt und dort nur dieses und in Land Nr. 3 werden gar schon – angeblich zumindest – Säuglinge geklont. Wobei sich nicht nur die Frage stellt, ob ein Kind biologische Eltern haben kann, wenn es sozusagen aus dem Erbgut einer Frau reproduziert worden ist. Und wer den „rechtlichen“ Anspruch auf so ein Kind letztlich stellen kann. Ganz abgesehen davon, dass es vielleicht ohnedies nur als „Organlieferant“ gezüchtet worden ist… Sie sehen, es kann einem schon mal schlecht werden, wenn man sich näher mit der Materie auseinandersetzt.

Natürlich ist auch offen, wo die Grenzen für all die medizinischen Indikationen liegen, die elternlosen Paaren zu Kindern verhelfen können. Wer diesen Schritt geht, wird sich auch dem nächsten nicht entziehen können, eines fügt sich nahtlos ans andere an. Was die Medizin möglich macht, muss nicht immer erstrebenswert und gut sein. Hat jemand schon an die Kinder gedacht, die die wahren Opfer des Fortschritts sind? Mir würde es keinen Spaß machen, zu wissen, ich wäre nicht beim Sex meiner Eltern miteinander sondern in einem Reagenzglas gezeugt worden. Und die Vorstellung, mein Vater wäre gar nicht mein Vater sondern ein unbekannter Samenspender, ausgewählt nach optischen Kriterien wie Haarfarbe, Augenfarbe und Körpergröße, habe mir seine Gene vererbt, löst auch nicht gerade Glücksgefühle in mir aus.

Man male sich auch noch die Situation aus, dass womöglich eines Tages eine wildfremde Frau vor einem steht und behauptet, sie wäre die leibliche Mutter – da die Eizelle, der man entstammt, von ihr zur Verfügung gestellt worden wäre. In der Tat makaber, ein Horrorszenario und der fruchtbare Boden für allerlei boshafte Witze. Von menschlichen Tragödien erst gar nicht zu reden. Der Ausblick in die Zukunft: der Patchwork-Mensch – zwei oder mehr genetische Mütter, eine rechtliche Mutter und ein paar Samenspender, aus deren Erbgut das Optimum ausgewählt wurde: Frankenstein lässt grüßen! Der Mensch maßt sich an, Gott zu spielen und wer sollte ihm auch Grenzen setzen außer ihm selber? Wir werden überrollt von Entwicklungen, die unser bisheriges Leben auf den Kopf stellen können. Normen, Werte und moralische Grenzen werden einfach nicht zur Kenntnis genommen oder umgerannt…

Kehren wir zurück zu dem Fall, den ich eingangs erwähnt habe. Ein Embryo wurde vertauscht, zwei Familien erheben Anspruch auf ein Kind und irgendwie haben beide Recht. Salomon, der weise König, müsste wohl in diesem Fall erneut zu Rate gezogen werden und ich bin mir nicht sicher, ob er nicht doch auch ordentlich an dem Fall zu kauen hätte. Ein vergleichbarer Fall passierte übrigens vor ein paar Jahren auch bei uns, aber in jenem Fall erfuhr die werdende Mutter noch während der Schwangerschaft von der fatalen Verwechslung. Sie und ihr Mann zögerten nicht, das Kind abtreiben zu lassen, weil es nicht ihr leibliches war. Obwohl lebensfähig und so weit gesund – welch eine Verschwendung von Menschenleben! Fast ein Synonym dafür, wie unwichtig werdendes Leben in unserer Gesellschaft manchmal ist. Ich hab mich damals gefragt – ich, liebe Leser, die ich nie schwanger war! – wie diese Frau wohl empfunden haben muss, als sie das werdende Leben in sich, zu dem sie ja schon eine Beziehung aufgebaut hatte, mehr oder weniger zum Abschuss frei gab. Ein Fehler ist passiert und ein winziges, hilfloses Etwas muss diesen Fehler ausbaden…

Wie weit wird der Mensch seine Anmaßung noch überstrapazieren, bis ihm endlich bewusst wird, was er da an Schuld auf sich lädt? Mir graut vor dem, was noch kommt…

Vivienne

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