von Vivienne – Juli 2004
Das fragwürdige Gebaren im öffentlichen Leben
Bundespräsident Dr. Thomas Klestil ist vergangene Nacht verstorben. Zwei Tage vor dem regulären Ende seiner Amtszeit verließen den schon Monate zuvor sichtlich angeschlagenen Staatsmann seine Kräfte, den Bemühungen eines versierten Ärzteteams im Wiener AKH waren durch ein Multiorganversagen Grenzen gesetzt. Mein persönlicher Nachruf auf einen großen Bundespräsidenten, dem ich persönlich ironischerweise zwar nie meine Stimme geschenkt habe, der mir aber dennoch immer wieder Respekt abrang, wird in den nächsten Tagen noch folgen. Heute geht es mir aber um etwas ganz anderes im Zusammenhang mit Klestils Tod: um das merkwürdige Gebaren unserer Medienwelt und um Legendenbildungen, um die Nachwelt zu täuschen und die Vergangenheit zu verklären. Lassen Sie mich einfach weiter ausholen
Vor ein paar Jahren starb George Harrison, ehemals Mitglied der legendären Beatles, einer der genialsten Bands aller Zeiten. Harrison stand lange im Schatten der Köpfe Lennon und McCartney, und war trotzdem der erste, der, nachdem die vier nicht unbedingt im Frieden auseinander gegangen waren, eine Solo-Nummer-1 feiern durfte. Richtig versöhnt haben sich die Pilzköpfe nie mehr, zu groß waren die Differenzen gewesen, die dem Split vorausgegangen waren. Trotzdem tauchten wenige Monate nach dem tragischen Krebstod Harrisons Gerüchte auf, dieser wäre in einer Wohnung seines ehemaligen Weggefährten Paul McCartney in aller Ruhe verstorben.
Ich habe diese Meldungen nicht ohne große Ironie zur Kenntnis genommen. McCartney ist, nach meinen Einschätzungen, ein altes Schlitzohr (Fans mögen mir verzeihen!) und weiß genau, wie er sich in der Öffentlichkeit verkaufen muss. Er weiß einfach, was wirkt. Seinem nach wie vor bubenhaften Charme nimmt man alles ab. Jene kleine Schlagzeile dürfte also vielmehr eine getürkte Geschichte sein, ausgestreut zur Legendenbildung. Erinnert sich noch jemand von Ihnen an den Tod John Lennons 1980? Auch damals hieß es, dieser und Paul McCartney hätten vor Lennons Ermordung noch gemeinsame Projekte geplant, sich also wieder versöhnt. Ist das nicht schön? So viele heftige wie jahrelange Streitigkeiten auf einmal beiseite geräumt, und alles war wieder in bester Ordnung!
Verzeihen Sie mir meinen Sarkasmus. Aber an diese Gegebenheiten wurde ich erinnert, als es gestern aus dem berufenen Munde unseres sehr verehrten Herrn Bundeskanzler tönte, er sei froh, dass er sich noch mit dem todkranken Bundespräsidenten zwei Tage vor dessen Herzstillstand versöhnt habe. Kurz zur Erinnerung: Klestil hatte Schüssels Erstauflage der schwarz-blauen Regierung mit steinerner Miene angelobt und damit auch ohne Worte seine Kritik an dieser Koalition zum Ausdruck gebracht. Die tiefe Kluft zwischen den beiden Politikern war ein offenes Geheimnis. Was Schüssel hier getan hat, war ein Versuch, auf Paul McCartneys Spuren zu wandeln reine Schönfärberei, Legendenbildung.
Wer kann sich ernsthaft vorstellen, dass Klestil und Schüssel vor dem letzten Montag noch großartige Gespräche geführt haben um tief liegende Differenzen beizulegen? Schüssel ist ein kluger Mann ohne Zweifel, und auch wenn er nicht über Paul McCartneys Charme und dessen (frühere) Wirkung auf Frauen verfügt, weiß er genau, was die Leute hören wollen derartige Aussprüche machen sich einfach gut. Außerdem gilt noch immer der alte Spruch: De mortibus nil nisi bene Über die Toten nichts Schlechtes sagt der Lateiner. In diesem Sinn werden alte Fehden vergessen und jeder findet lobende Worte über den auf tragische Weise Verstorbenen. So, als hätte immer eitel Wonne zwischen Hofburg und Bundeskanzleramt geherrscht
Ziel führend ist es sicher nicht, nach dem Ableben einer öffentlichen Person noch im Dreck zu wühlen. Aber zurückhalten sollten sich jene mit ölig-glatten Worten, die nie gut Freund mit ihm waren. Was auf unseren Kanzler zweifellos zutrifft. Doch das wäre wohl zu viel verlangt in einer Gesellschaft, in der Schönfärben zur Meisterschaft erhoben worden ist. Die Medien sind darin führend, und während uns im Radio heute Morgen nur eine Wolke von Trauerliedern umfängt (Was das Klestil jetzt wohl noch bringt?), mach ich mir Gedanken, wie schnell eigentlich verschiedenste Zeitungen und Ähnliches schon gestern bemüht an einem Nachruf auf Klestil arbeiteten. Fast im Wettbewerb. Zu einer Zeit also, als der Zustand des Bundespräsidenten zugegeben sehr, sehr ernst war, aber auch die Ärzte nicht hundertprozentig davon ausgehen durften, dass gar keine Rettung mehr möglich sei. Es schien mir fast schon so, man konnte es kaum erwarten, Klestil unter der Erde zu sehen
Im Grunde aber auch nichts Neues mehr in dieser (Medien-)Welt. Jacki Kennedy, Witwe von John F. Kennedy und dem griechischen Reeder Onassis, erkrankte vor einigen Jahren an Lymphdrüsenkrebs, der wenig Hoffnung auf eine Heilung ließ. Auch ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich rapide, und während in den verschiedenen Radio- und Fernsehstationen schon Nachrufe über ihr bemerkenswertes Leben liefen, nahm die berühmte Frau erst jene Medikamente um freiwillig aus dem Leben zu scheiden, weil die Schmerzen nicht mehr erträglich waren. Es muss schon sehr makaber sein, wenn man irgendwo seinen eigenen Nachruf hört, sieht oder liest, und was mag wohl Jacki Kennedy dabei empfunden haben, als sie ihre Beurteilung durch die Nachwelt mitbekommen hat
Ändern werde ich mit meiner Kritik sicher nichts an diesem merkwürdigen Gebaren, im Gegenteil, es wird immer ärger werden, vermute ich, denn dem Menschen ist nichts heilig, am allerwenigsten die Würde seiner Mitmenschen. Schon gar nicht, wenn sie sich nicht mehr wehren können. Ich für mich selber werde mich einfach weiter bemühen, offen und wach zu bleiben, und der Medienwelt, der ich ja selber im Grunde auch angehöre, kritisch und distanziert gegenüber zu stehen. Das ist mein Vorteil ich bin niemandem verpflichtet, wir alle von der Bohne nicht, und meine Meinungsfreiheit lass ich mir nicht nehmen
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