Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Juni 2004



Die g’sunde Watschen

Gewalt an Kindern ist kein Einzelfall in unserer Gesellschaft, ganz im Gegenteil. Über Jahrhunderte betrachteten Eltern, und da natürlich vor allem die Väter, Kinder als ihr Eigentum, was vor allem eines inkludierte: Das eigen Fleisch und Blut zu jeder Zeit züchtigen zu können, wann immer es nicht gehorchte, wenn immer die Erzeuger eine Bestrafung in dieser Form für notwendig hielten. Und das war praktisch ständig der Fall.

Frust, Hass oder Aggressionen, teilweise im Suff wurden und werden am Nachwuchs abreagiert, und wer sich vor Augen führt, wie oft so mancher (Stief)-Vater in völliger Überforderung ein Kleinkind zu Tode drischt, merkt man erst, dass diese Unzeiten, die ich eingangs beschrieben habe, noch immer nicht völlig der Vergangenheit angehören. Prügel sind auch immer ein Zeichen von Sprachlosigkeit, und wem die Worte fehlen, zu erläutern oder zu erklären, wer sich in Prügel flüchten muss, um sein vermeintliches Recht durchzusetzen oder auszuüben, der hat – davon kann man ausgehen – selber auch keine andere Lehre gelernt als die der Gewalt. Wenn du nicht parierst, gibt’s Hiebe!

Kein Zweifel, es ist die Spirale der Gewalt, die da von Generation zu Generation weiter getragen wird. Nur wenige ziehen aus den Schlägen, die ihre Kindheit begleiteten, die richtige Konsequenz, fangen zu denken an. Überlegen sich, was es eigentlich heißt, ein kleines Geschöpf, das völlig wehrlos ist, und das einem, wenn man so will schon durch seine Geburt zur Fürsorge anvertraut ist, zu schlagen. Warum prügeln Eltern also? Um ihre Dominanz zu demonstrieren, und vor allem, weil sie es nicht besser gelernt haben. Erst im Laufe des vergangenen Jahrhunderts hat sich die Einstellung dazu gewandelt.

Wie sich in der Vergangenheit trotzdem wiederholt gezeigt hat, muss meistens erst etwas Gröberes passieren, dass Jugendamt und Polizei gegen Gewalt an Kindern einschreiten. Dabei ist es im Grunde das natürlichste von der Welt, dass ein kleines Kind in seiner Entwicklung nicht immer gehorcht, in seinem Entdeckungsdrang oder Lernprozess Sachen ausprobiert, die es nicht sollte. Daher auch völlig unverständlich, dass Watschen oder Prügel da die einzige Alternative sein sollen. Zwei Beispiele dazu aus meinem Fundus: Meine Mutter erlaubte sich im Vorschulalter, eine Freundin auf einem anderen Bauernhof zu besuchen. Ihre Eltern, meine Großeltern, prügelten sie windelweich deswegen – sie hatte ja nicht gehorcht. Der Vorfall ereignete sich vor über 60 Jahren.

Einer Bekannten von mir ist vor etwa 20 Jahren, also gar noch nicht so lange her, noch etwas Krasseres widerfahren. Mit ihren Geschwistern spielte sie unerlaubt auf einer Wiese und unvorsichtig gerieten die Kinder in ein Erdwespennest. Die Insekten attackierten die Kinder und verletzten sie schwer, was den Vater nicht hinderte, die Kinder ordentlich für ihren Ungehorsam zu verprügeln – bevor er den Arzt rief: der Nachwuchs wäre ihm beinahe gestorben wegen der vielen Stiche. Kaum zu glauben, dass ein Vater zu so etwas fähig ist, und trotzdem sehen vielerorts Eltern Kinder noch immer als potentiellen Untertan an und verlangen absoluten Gehorsam.

Ein paar Schläge können ja nicht schaden. Dieses Märchen kursiert noch immer in der Elternwelt, läuft aber weit an der Realität vorbei. Schläge, verbale wie körperliche, können einen heran wachsenden Menschen brechen, seinem Leben eine total negative Richtung geben und können außerdem die Ursache für spätere psychische Erkrankungen sein. Von mangelndem Selbstbewusstsein, Beziehungsunfähigkeit oder Kriminalität erst gar nicht zu reden. Wer die gar nicht so gesunde Watschen propagiert, hat überhaupt keine Ahnung, was damit angerichtet werden kann.

Muss man sich deshalb von den Kindern auf der Nase herumtanzen lassen? Natürlich nicht, man kann, auch ein gemäß seiner Entwicklungsphase bockiges oder quengeliges Kind erziehen und bei Räson halten, ohne gleich mit der flachen Hand zum Beispiel ins Gesicht zu prügeln. Wer sein Kind zu verstehen versucht und sich mit seinem Heranwachsen auseinandersetzt, dem fällt es wahrscheinlich auch deutlich leichter, bei der Erziehung auf Gewalt zu verzichten. Kinder provozieren nie absichtlich bzw. bewusst. Andererseits sollte man dann in der Situation nicht ins absolute Gegenteil verfallen.

Der „Laissez-faire“-Erziehungsstil aus den 70er Jahren, vielleicht manchem von Ihnen noch in grotesker Erinnerung, räumte dem Nachwuchs in völliger Verkennung der Situation alle Freiheiten ein. Wodurch sich die Kinder natürlich weigerten, lästige Pflichten wie Schule oder Ausbildung zu absolvieren. Und außerdem verkümmerten sie charakterlich, weil ihnen niemand mehr Grenzen setzte. Kinder gehen aus ihrem Wesen heraus immer etwas zu weit um unbewusst zu orten, was alles möglich ist. Aus diesem Grund kann man es als Elternteil als wichtige Aufgabe und Notwendigkeit betrachten, dem Nachwuchs diese Grenzen manchmal zurecht zu rücken.

Zu guter Letzt noch einmal ein Beispiel: Vor einiger Zeit schon hatte ich die Thematik, die ich heute anspreche, im alten Forum der Bohnenzeitung zum Thema erkoren. Mit einem Leser geriet ich etwas in Disput, weil er die Sinnhaftigkeit einer Ohrfeige ab und an vehement verteidigte. Er berichtete in diesem Zusammenhang von seinem Vater, von dem er nur zwei Mal in seinem Leben eine Ohrfeige bekommen hätte, aber jedes Mal wäre diese verdient gewesen. Ich greife seine sinngemäßen Worte hier nur auf, um klarzulegen: Eine Watsch’n oder Ohrfeige, was weiß ich, hat sich kein Kind verdient, niemals! Strafe hingegen, in zivilisierter Form, darf und muss schon sein, und die braucht von Zeit zu Zeit jedes Kind mal.

Wer Watsch’n und Prügel aber verteidigt und nicht hinterfragt, ist schon wieder n der Gewaltspirale drinnen!

Vivienne

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