von Vivienne – August 2004
Du kostest zuviel…
Dieser Tage berichtet mir meine Schwester Brigitte, glücklich verheiratete dreifache Mutter, die voll im Berufsleben steht, dass sie ein Brieferl von der Gebietskrankenkasse bekommen hätte. Unsere GKK listete in dem Schreiben alle Arztbesuche meiner Schwester und der Kinder auf, ein dezenter Hinweis darauf, was sie heuer schon den Staat und dem Gesundheitswesen des Landes Oberösterreich gekostet hatte. Herzlichen Dank! möchte man dafür den feinfühlenden Verantwortlichen ausrichten. Fehlt nur noch der dezente Hinweis: Heuer ist nichts mehr drin! oder der sanfte Druck: Erschieß dich doch, du kostet uns zuviel! Andererseits fragt man sich dann, wozu im Fernsehen oder Radio (wie zuletzt erst) immer wieder teure Spots laufen, in denen der Staatsbürger aufgerufen wird, sich regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen zu unterziehen. Wie passt das zusammen? Auch diese Untersuchungen kosten Geld! Nach so einem Brief wie dem von letzter Woche fragt sich meine Schwester ernsthaft, ob man überhaupt noch zum Arzt gehen soll, wenn einem auf so hoch sensible Art vorgerechnet wird, was man nicht alles an teuren Leistungen in Anspruch nimmt
Ja, unser Gesundheitssystem scheint unfinanzierbar geworden zu sein. Heute konnte ich in der sonntäglichen Bezirkszeitung eine weitere Bankrotterklärung lesen. Im Lande Oberösterreich gibt es etwa 7000 Krebskranke, die natürlich regelmäßig starke wie teure Medikamente einnehmen müssen. Aus jener Zeitung durfte ich nun heute erfahren, dass die finanziellen Mittel zur Bezahlung dieser Medikamente, die ursprünglich für das ganze Jahr veranschlagt worden waren, schon mit dem Ende des dritten Quartals aufgebraucht sind. Wenn der Bund nicht zuschießt, werden schwerkranke Menschen ab Oktober ohne Medikamente dastehen, die zwar vielleicht ihr Leben nicht in jedem Fall retten aber es zumindest verlängern oder erträglich machen könnten. Ein besonders zynischer Onkologe wird in dem Zusammenhang anonym zitiert, der in einem Beispiel eines Medikamentes, das Knochenkrebskranken verschrieben wird, beschreibt, wie sinnlos die teure Verschreibung wäre, da das Karzinom ohnedies nicht heilbar sei
Aha, Leben retten darf unser Gesundheitssystem gerade noch, in unheilbaren Fällen Schmerzfreiheit oder Lebensverlängerung ermöglichen, nicht, denn das kostet zu viel Geld. Nun sind wir dort, wo wir schon vor vielen Jahren einmal waren. Nicht wenige (unheilbar krebskranke) Menschen mussten im letzten Stadium ihrer Krankheit oft lange Zeit schwere Schmerzen ertragen. Schmerzmittel wurden ihnen verweigert mit dem absurden Hinweis auf das Arzneimittelgesetz (kurzer Hinweis: bezieht sich darauf, dass diese Medikamente süchtig machen!), was angesichts des sicheren Todes schon fast lachhaft wirkte, wenn es nicht so traurig wäre. So mancher zuständige Arzt erdreistete sich, in derart hoffnungslosen Fällen darauf hinzuweisen, dass die Betroffenen die Schmerzen eben mit Fassung tragen müssten, dafür werde man nach dem Tod weniger Zeit im Fegefeuer (!) leiden müssen, weil man auf Erden schon sein Teil beigetragen hätte! Immer wieder interessant, was da an Medizinern mit kurioser Geisteshaltung auf uns wehrlose Patienten losgelassen wird
Worauf es meiner Meinung nach bald wirklich hinauslaufen könnte: Es dürfte durch die Gebietskrankenkasse auf Dauer nur mehr eine Art Grundversorgung geben. Was chronische Krankheiten oder schwerere Erkrankungen und Unfälle betrifft, darf man dann nur auf den eigenen Schutzengel hoffen, auf dass er einem Derartiges erspare, oder besser noch, den Weg zu einer günstigen Zusatzversicherung weisen möge, durch die man sich und die Familie, wahrscheinlich wie beim Auto in einer Art Bonus-Malus-System, möglichst erschwinglich durch das Leben bringen möge. – Mir ist da noch der Fall eines bekannten deutschen Adeligen in Erinnerung, der vor einiger Zeit im vorgerückten Alter, eine junge, schrille Frau ehelichte (Ich denke, die meisten werden wissen, wen ich meine!). Die Ehe war kurz, aber recht glücklich, trotz des Altersunterschiedes und in den letzten Jahren beeinträchtigt durch eine schwere Herzerkrankung des Mannes, die schließlich eine Herztransplantation notwendig machte. Der Patient war damals über 70, ein Alter, in dem normalerweise von vornherein keine Transplantation mehr vorgenommen wird. Besagter Adeliger erhielt aber nicht nur ein Herz zur Verfügung gestellt, nein, nach wenigen Tagen, als offenbar wurde, dass dieses Organ vom Körper des Siechen abgestoßen würde, sogar noch ein zweites.
Vergeblich. Der Mann starb, beweint von der Witwe und den gemeinsamen Kindern. Tragisch, aber ich frage mich halt trotzdem, ob Herr Otto Normalverbraucher in derselben Situation überhaupt ein Spenderherz zur Verfügung bekommen hätte. Vor allem als Versicherter bei einer der normalen Krankenkassen. – Ich fürchte also sicher nicht ohne triftigen Grund, dass, abgesehen von der garantierten Grundversorgung, Herr und Frau Oberösterreicher weitergehende Leistungen selber bezahlen müssen. Solange es halt geht. Wer Geld hat, wird das Krebsmedikament auch in Zukunft bekommen, wer nicht, wird sich vermutlich auf dem Schwarzmarkt Haschisch besorgen müssen, um seine Schmerzen halbwegs ertragen zu können. Verzeihen Sie meinen Zynismus! Ein interessanter Aspekt tut sich da trotzdem auf für mich: wenn man in naher oder sehr naher Zukunft seine Gesundheit privat versichern muss bzw. selber sehr viel zuzahlen muss, um gewisse Leistungen in Anspruch nehmen zu können wie viele Leute werden in diesem Fall nicht gleich auf Wunderheiler und Ähnliches ausweichen? Jene muss man auch bezahlen, keine Frage, aber dort wird man wenigstens nicht mit dem menschenverachtenden Zynismus von so manchem Ober- oder Facharzt konfrontiert
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