von Vivienne – September 2004
Eine Berufung mit Gratwanderung…
Schlagzeilen machte heute der Fall eines zweiundzwanzigjährigen Arbeiters aus Asten, dem bei einem Arbeitsunfall mit einer Kunststoffschneidemaschine die linke Hand völlig verunstaltet worden war. Laut ORF wurde dem Mann der linke Zeigefinger und der halbe Daumen abgetrennt. Mittel- und Ringfinger hingen nur mehr an Hautfetzen, die Innenfläche der Hand war samt der Gefäß-Nervenversorgung zerstört worden. Klingt grauenhaft, gerade auch für einen Laien wie mich. Doch dem Ärzteteam im Linzer AKH gelang in einer achtstündigen Operation ein halbes Wunder. Die Blutversorgung der Hand wurde mit Hilfe von Venen aus dem unverletzten Unterarm wieder hergestellt, bis auf zwei Glieder des Zeigefingers konnten alle Finger wieder angenäht werden.
Noch ist offen, wie weit der Verletzte diese Hand wieder gebrauchen können wird, trotzdem erscheint die geglückte Operation gerade zu wie ein Wunder, auch wenn man selber unbeteiligt ist. Und man meint sich gut und sicher aufgehoben in Österreichs Spitälern Aber halt, welcher Vorfall schlug erst vor ein paar Tagen Kapriolen in Österreichs Medien und polarisierte die Meinungen? Im Landeskrankenhaus von Graz war ein 73jähriger Mann nach einer falschen Krebsdiagnose de facto zu Tode operiert worden und den beteiligten Ärzten wurde letzte Woche der Prozess gemacht. Bei dem Pensionisten war es nach einer unglücklichen Kette von Fehlern zur Fehldiagnose Speiseröhrenkrebs gekommen. Aus diesem Grund sollte dem Mann, der in Wirklichkeit nur an einer Gastritis litt, in einer komplizierten Operation der gesamte Magen, die Milz und die Gallenblase entfernt und die Speiseröhre mit dem Darm verbunden werden.
Der im Grunde nicht schwer kranke Steirer überlebte diesen Eingriff aber nicht. Die fünf noch beteiligten Ärzte die Pathologin selber, die die falsche Diagnose gestellt hatte, wurde bereits im März in einem gesonderten Verfahren frei gesprochen kamen gleichfalls mit einem Freispruch davon. Das System hat versagt, nicht die Ärzte selber, so das Fazit des Prozesses, was für die Familie und die Anverwandten nur ein schwacher Trost sein dürfte. Bei mir kamen Erinnerungen an das Jahr 1993 hoch, als bittere elf Tage lang eine Lungenkrebsdiagnose an unserer Mutter wie ein Damoklesschwert über unserer Familie schwebte (Ein Tag zum Festhalten), ehe sich diese Diagnose durch eine der behandelnden ÄrztInnen als voreilig und falsch erwies. Ich bin nicht sicher ob meine Mutter damals durch Wasser in der Lunge und einen schlechten Allgemeinzustand sehr geschwächt einen Eingriff an dem vermeintlich Krebs befallenen Organ überstanden hätte.
Und dennoch, bei aller gerechtfertigter Kritik: wir alle machen Fehler in unserem Beruf. Fehler aller Art, die sich aber ausbessern lassen zumindest in den meisten Fällen. Die Folgen sind normalerweise überschaubar. Fehler sind nur menschlich auch in medizinischen Berufen. Ein Arzt oder ein Krankenpfleger hat es trotzdem schwerer. Ein Irrtum kann katastrophale Auswirkungen haben, bis hin zum Tod eines Patienten. Dass es nicht öfter zu schwerwiegenden, tödlichen Fehlern in unseren Krankenhäusern kommt, zeigt ja trotzdem auf, dass im Grunde sehr gut und sehr genau gearbeitet wird und der medizinische Standard in Österreich durchwegs auf hohem Niveau liegt. Der Unterschied zu anderen Berufen fußt auf der Tatsache, dass manche Fehler irreversibel sind: ein toter Patient kann nicht eben mehr zum Leben erweckt werden
Wer bei uns den Beruf des Arztes ergreift, tut das ohnedies nicht (ausschließlich), um das große Geld zu verdienen. Jene Vertreter dieser Zunft sind nämlich nicht die Norm. In jedem unserer Ärzte und Ärztinnen steckt schon jene Menschlichkeit, jenes natürliche Bedürfnis zu helfen, das für diese Profession eigentlich unerlässlich ist. Ein Arzt arbeitet nur dann wirklich gut und erfolgreich, wenn er in seinen Patienten Vertrauen und Hoffnung wecken kann. Trotzdem ist sein Beruf eine stete Gradwanderung. Jeden Tag müssen dutzende Diagnosen gestellt werden, oft hat der Mediziner wenig Zeit, sich einem Patienten in seiner Praxis wirklich ausführlich zu widmen und immer wieder hat er die Aufgabe, unangenehme bis tragische Diagnosen zu stellen. Um ehrlich zu sein: ich wüsste mir einen angenehmeren Beruf als diesen. Trotzdem ist es vielleicht der wichtigste Beruf überhaupt. Und wir sollten froh sein, dass es Menschen gibt, die diese Berufung auf sich nehmen allen Risiken zum Trotz!
Link: Alle Beiträge von Vivienne