Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Februar 2004



Eine Frage des Vertrauens

Heute beginnt in Kärnten ein Prozess, der eine geballte Ladung Zündstoff in sich trägt. Einem Gynäkologen aus Villach wird der Prozess gemacht, weil er über sieben Jahre die Krebsabstriche seiner Patientinnen nicht ins Labor schickte. Sechs der Frauen sind deshalb nachweislich deshalb an Krebs erkrankt, drei davon mittlerweile verstorben. Diese nüchternen Fakten muss man gerade als Frau erst einmal schlucken. Für die meisten ist es ja selbstverständlich, ein bis zwei Mal im Jahr zur Kontrolle den Frauenarzt „seines Vertrauens“ aufzusuchen, weil man gerade in jenem verletzbaren Bereich der eigenen Geschlechtlichkeit gern die Gewissheit hat, dass alles in Ordnung ist.

Können Sie sich vorstellen, was es da für eine Patientin heißt, wenn öffentlich bekannt wird, dass der Arzt, zu dem man im „schlimmsten“ Fall über Jahre regelmäßig kam, seiner obersten Pflicht, nämlich der Obsorge für seine Patientinnen nicht nachkam? Ich kann das tatsächlich, denn vor einigen Jahren gab es in Linz mit einem bekannten Gynäkologen einen ähnlichen Fall. Und wie der Zufall so spielt – es handelt sich dabei um meinen Frauenarzt. Lassen Sie mich kurz rekapitulieren: Die Ordinationshilfe des Mediziners hatte aus Mitleid mit den Patientinnen negative Befunde verschwinden lassen. Wie im Fall des Kärntner Kollegen wurden dadurch über Jahre einige tausend Frauen in einer Sicherheit gewogen, die leider nicht immer gerechtfertigt war.

Ein konkretes Opfer ist mir mit seinen Folgeschäden noch in Erinnerung: die junge Frau erkrankte durch das nicht nachvollziehbare Verhalten der Arzthilfe an Gebärmutterhalskrebs, musste sich einer dringenden Operation unterziehen und konnte danach keine Kinder mehr bekommen. Ob sie überhaupt überlebte, entzieht sich meiner Kenntnis, aber schlimm genug schon für eine Frau, die vorhatte ein eigenes Kind zu haben, dass ihr dieser Wunsch versagt bleiben wird. Ich selber hatte Glück, ich war Gott sei Dank in keinster Weise betroffen, auch wenn mich die Riesenlettern auf den Zeitungen und die ständigen Berichte schockten und ich über Tage nicht gut schlief.

Damals brandete die Diskussion auf, wie ein Facharzt eine wichtige Tätigkeit wie die Kontrolle von Laborbefunden seiner Gehilfin überlassen kann. Der hoch angesehene Gynäkologe, der bis zu diesem Fall zu den besten seines Fachs in ganz Österreich gezählt wurde, rechtfertigte sich durch die viele Arbeit, die in seiner gut gehenden Praxis anfiel. Die junge Frau selber, die diese vorsätzliche Tat zu verantworten hatte, redete sich wie oben erwähnt auf das Mitgefühl mit den Frauen aus. Offenbar war ihr der psychosoziale Stress an ihrem Arbeitsplatz einfach zu viel geworden, da in der Ordination neben Schwangerschaften und Geburten eben auch schwere Erkrankungen diagnostiziert werden. Sie kam später mit einer relativ milden Strafe davon, aber ihren Job hat sie natürlich verloren.

Zurück zu dem Villacher Kollegen meines Frauenarztes: Dem Mann wird also ab heute der Prozess gemacht wegen grob fahrlässiger Körperverletzung und Gefährdung der Sicherheit seiner Patientinnen. Peinlich berührt wird man da als Otto-Normalverbraucher, wenn man nachlesen kann, dass beim Prozess selber aber ein ganz anderer Punkt  strafrechtlich wirklich relevant ist. Der Gynäkologe hat nämlich kurioserweise für die nie eingeschickten Krebsabstriche von den Krankenkassen Geld kassiert. Konkret geht es dabei um einen Betrag von über 50.000 Euro.

Und einzig allein dafür muss der Mediziner, der mittlerweile von der Kärntner Ärztekammer in allen Ehren in den (wohl verdienten?) Ruhestand verabschiedet wurde, mit einer Strafe von bis zu 10 Jahren Haft rechnen. Darüber kann man wohl nur der Kopf schütteln, gleichgültig, ob Mann oder Frau, weil sich unser Rechtssystem einmal mehr als menschenverachtend und materiell entpuppt. Ähnlich wie im Fall von Kinderschändern: was sind schon zerstörte Kinderseelen im Vergleich zum materiellen Schaden, der einer großen Institution zugefügt wird? Den betroffenen Frauen (bzw. deren Familien), die wegen der Nachlässigkeit ihres „Vertrauensarztes“ an Krebs erkrankten, bleibt wohl nur die Möglichkeit auf dem Zivilrechtsweg Schmerzensgeld und eine gewisse Genugtuung zu erkämpfen – sofern man die empfinden kann, wenn man mit dem Tod ringt bzw. den Kampf vielleicht schon verloren hat.

Eine zusätzliche bittere Nuance stellt der Geisteszustand des Gynäkologen dar, der an einer affektiven Psychose (eine Geisteskrankheit, die wahrlich kein Pappenstiel ist) gelitten haben soll, ohne dass ihn jemand von der zuständigen Ärztekammer daran gehindert hat, eine Praxis zu eröffnen bzw. vorher ein psychologisches Gutachten von ihm zu verlangen. Wenn man  bedenkt, welche Probleme ein Depressiver haben kann wegen seiner Krankheit einen ganz normalen Job zu bekommen, lässt das nur den Rückschluss zu, dass gewisse Wertungen eben nur für das „mindere Fußvolk“ gelten aber nicht für die elitäre wie akademische Oberschicht.

Wie immer der Prozess in Kärnten ausgeht, die Frauen haben schon verloren. Es dreht sich wie gesagt bei dem Prozess nicht darum ihnen Gerechtigkeit zukommen zu lassen sondern um den Schaden, den die Krankenkassen erlitten haben. Als mündige Patientin gruselt einem bei der Überlegung, wie viele ähnliche medizinische Zeitbomben in ganz Österreich in verschiedenen Bereichen ihr Unwesen betreiben. Ein echtes Exempel an einem dieser schwarzen Schafe statuiert würde mit Sicherheit viel weiters Leid verhindern helfen…

Vivienne

Link: Alle Beiträge von Vivienne

 

Schreibe einen Kommentar