Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Jänner 2004



Vom Zusammenleben der Geschlechter, Teil 1

„Die Menschen glauben nur mehr an die Liebe auf den ersten Blick. Zu mehr nehmen sie sich nicht mehr die Zeit.“ Ernst Ferstl, ein wunderbarer Dichter, hat da sehr treffend zu Papier gebracht, was ich selber schon des Öfteren an diversen Zeitgenossen beobachten konnte. Nicht dass ich da jetzt allein vom „schnellen Sex“ spreche, von so genannten „One-Night-Stands“, flüchtigen wie oberflächlichen Abenteuern, die schon im vornherein nicht für eine längere Zeitspanne oder gar für die „Ewigkeit“ geplant sind. Es gibt genügend Menschen, Frauen wie Männer, die nach einer zerbrochenen Liebe gleich den nächsten Lebenspartner suchen, bevor die Tränen und die Freuden der vorhergehenden Beziehung zeitgerecht verarbeitet sind.

Nicht, dass ich diese Lebenseinstellung grundsätzlich verurteilen möchte, aber sie kann wohl auch auf Dauer nicht immer den gewünschten Erfolg bringen. Jeder Mensch hat seinen eigenen Charakter, seine eigenen Persönlichkeit, und man kann nicht jedem oder jeder ein und dasselbe Muster um glücklich zu werden aufdrücken. Das muss schon jeder auf seine Weise versuchen, auch wenn man sich dabei bisweilen die Nase anschlägt oder stolpert. Aber wenn ich auf Life Radio bei Constanze so manchen weiblichen oder männlichen Hörer von der neuen Liebe schwärmen höre, und dass es Liebe auf den ersten  Blick war, und ein paar Wochen später rühren sich die selben Leute wieder bei unserer „Stimme der Nacht“ und die neue Liebe ist schon wieder gelaufen, verpufft, erstaunt mich das nicht. Wie soll eine Liebe funktionieren, wenn man sich – siehe Ernst Ferstls Gedanke – in einer so jungen Beziehung nicht die Zeit nimmt, sich richtig kennen zu lernen?

Liebe ist halt doch mehr als tollen Sex miteinander zu haben, Liebe heißt einerseits, sich nicht nur körperlich sondern vor allem auch seelisch dem andern zu öffnen, ihn oder sie in sein oder ihr Leben zu lassen und Anteil nehmen zu lassen an den innersten Gedanken und Empfindungen. Das setzt voraus, dass man selber sehr vorsichtig und behutsam miteinander umgehen lernen muss, um den neuen Liebsten oder die neue Liebste nicht zu verletzen oder selber verletzt zu werden. Liebe heißt aber auch Kompromisse zu leben, seine Freiräume zu wahren aber auch dem anderen Freiräume zugestehen, das ist ganz wichtig. Je älter man wird, desto mehr muss man das Miteinander, die Zweisamkeit wieder lernen, weil man halt doch auch weniger flexibel wird und seine Eigenheiten entwickelt hat.

Zeit ist dabei der wichtigste Faktor, sich Zeit zu nehmen, die Geduld aufbringen, sich aufeinander einzustellen. Und das passiert nicht in einer Nacht, wenn man sich gerade kennen gelernt hat und Gefallen aneinander gefunden hat. Fraglos kommt es trotzdem vor, dass solcherart geschlossenen Beziehungen trotzdem länger halten, aber die Norm ist es nicht. Vielmehr gibt es neben jenen Menschen, die eher schnell und spontan Beziehungen suchen und eingehen, auch jene Spezies gibt, die frei nach Goethe „Drum prüfe, wer sich ewig bindet…“ sehr bedächtig und übervorsichtig auf der Suche nach einem neuen Lebenspartner vorgehen. Fast schon zu vorsichtig bisweilen, weil es aus einer früheren Beziehung tiefe Wunden gibt, weil man schwer enttäuscht wurde und vieles noch nicht verarbeitet hat.

Dass diese Personen aus einer gewissen Beziehungsangst so handeln, dürfte auf der Hand liegen. Ich bekenne ganz offen, aus solchen Gründen gerade zu ängstlich vor neuen Enttäuschungen allein schon meine neuen Bekanntschaften zu sondieren, ungeachtet dessen, ob es überhaupt logisch scheint, dass sich daraus einmal eine Beziehung oder eine tiefere Freundschaft entwickeln könnte. Fraglos steht aber auch für mich fest, dass die oben angeführten Vertreter der schnellen Liebe genauso von einer anders gelagerten Form der Beziehungsangst getrieben sind. Ihre Triebfeder dabei ist die Angst oder auch die Unfähigkeit, sich gänzlich, vor allem seelisch hinzugeben, weswegen diese Beziehungen so kurzlebig sind. Liebe geht einher mit gegenseitigem Vertrauen, und wer sich nicht anvertrauen kann, weist beziehungsmäßig ein großes, vielleicht unüberbrückbares Manko auf

Zwei Formen der Beziehungsangst werden also verschieden ausgelebt (oder auch nicht, je nach Betrachtungsweise) und führen doch wieder zum selben Ergebnis. Der eine bleibt allein, der andere darf ein paar flüchtige Beziehungen auskosten, glücklich ist, denke ich, keiner wirklich damit. „Wir sind nicht dazu da allein zu sein.“ Eine Beziehung mit Haut und Haaren einzugehen, heißt auch, über seinen Schatten zu springen, Ängste zurück zu lassen, und seine Breitseite dem anderen zu zeigen, schutzlos und im Wissen, auch verletzt werden zu können. Dieser Mut macht es aus, sich auf das Abenteuer Beziehung einlassen zu können…

Vivienne

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