von Vivienne – August 2004
Gruppenzwang
Dieser Tage erschütterte ein schrecklicher Verkehrsunfall alle Leser eines bekannten Kleinformates. Ein paar junge Leute waren in einem normalen PKW auf einer Disco-Tour unterwegs, als die Lenkerin, eine junge Mutter, die Herrschaft über das Fahrzeug verlor. Das schreckliche Resultat des Unfalls: in dem mit 8 Personen besetzen Auto (!) starben drei junge Menschen. Die Lenkerin, deren Freund und die Schwester. Während man nur stumm über den Sinn des Leids philosophieren kann, dass jene Familie heimgesucht hat, wirft sich natürlich die Frage auf: wie kommt es dazu, dass man derart unüberlegt ein Fahrzeug überfüllt, frei nach dem Motto: Wird schon nix passieren!
Es ist aber etwas passiert, und in diesem Fall hat eine Frau ihre beiden Töchter auf einen Schlag verloren und muss nun für die zwei Jahre alte Enkelin Sorge tragen. Ein Schicksalsschlag, mit dem man wohl nie ganz fertig wird und der die Weichen des Lebens in eine Richtung stellt, die man wohl niemandem geneigt ist zu wünschen. Dass mich diese Geschichte so berührt, hat aber nichts damit zu tun, dass ich diese Familie unter Umständen kenne. Ganz im Gegenteil, ich hatte nie etwas mit den Betroffenen zu tun, aber dieser Unfall hat mich erinnert an eine Geschichte vor einigen Jahren, als ich selber einmal nächtens mit Kolleginnen in einem weit überfüllten Auto unterwegs war.
Wir waren bei der Hochzeit einer Kollegin in die Steiermark eingeladen gewesen, der lange Tag, der Samstag, der schon sehr früh für uns mit der Fahrt in die Steiermark begonnen hatte, endete irgendwann Sonntag früh zwischen 4:30 Uhr und 5:00 Uhr morgens, als wir endlich beschlossen hatten, uns auf den Weg in unser Domizil zu machen. Verwandte des Paares boten sich an, uns dorthin zu bringen, aber wir mussten uns aufteilen. Sehr gut auf den Beinen war keine mehr von uns, selbst Ihre Vivienne hatte im Laufe der langen Nacht etliche Gspritze zu sich genommen und ich war froh, als wir in dem kleinen Auto saßen. Und das, obwohl der Fahrer selber augenscheinlich betrunken war, noch viel betrunkener als wir. Gerade aber, als wir wegfahren wollten, drängten die beiden anderen Kolleginnen noch in den Wagen.
Wie sie uns am Vormittag dann gestanden, war der andere Chauffeur mit seiner Frau in Streit geraten. Sinnlos betrunken und kaum Herr seiner Sinne, wollte er das Lenkrad nicht abgeben. Den beiden jungen Frauen wurde die Situation dann doch zu gefährlich und sie zwängten sich noch in unseren Wagen. Obwohl der sehr klein war und plötzlich schwer beladen mit sieben Personen seine Reise antrat. Obwohl auch dieser Chauffeur alles andere als verkehrstüchtig war. Diese Fahrt werde ich nie vergessen. Zu fünft (!) saßen wir hinten auf der Sitzbank, eine jüngere Kollegin lag über unsere Beine gelegt da und wurde bei jeder Kurve oder Bremsung hin und her geschaukelt. Mir wäre bei dieser Position wohl speiübel geworden, aber das Mädel stand diese Herausforderung durch.
Und wir auch Welches unglaubliche Glück wir in diesen Morgenstunden gehabt haben, ist mir erst durch diesen Unfall wieder bewusst geworden. Nicht nur, dass mein damaliger Chef unter Umständen bei einem möglichen und bei nüchterner Betrachtung gar nicht so unwahrscheinlichen Unfall eine ganze Abteilung hätte einbüßen können. Wir alle hätten unser Leben sinnlos verlieren können. Und die Frage, warum wir uns nicht einfach ein Taxi gerufen haben, dessen Kosten wir durch fünf hätten teilen können, steht für mich noch immer im Raum. Natürlich, wir waren alle mehr oder weniger beschwipst und müde und wollten natürlich so schnell wie möglich in unsere Pension um wenigstens noch ein paar Stunden vor der Heimfahrt schlafen zu können. Klarerweise haben wir die Situation nicht sehr realistisch eingeschätzt bzw. die Gefahren völlig unterschätzt. Keine von uns war so weit oder so nüchtern, sich näher damit auseinander zu setzen.
Dazu die freundlichen Wort der hilfsbereiten Hochzeitsgäste: brauchts ned, wir bringen euch eh heim. Oder in den Tod. Wir unterwarfen uns dem Gruppenzwang, so wie die jungen Leute, von denen ich eingangs erzählte. Und wie viele vor allem Jugendliche, die am Wochenende unterwegs sind und sich das Geld für ein Taxi sparen wollen. Jugendliche Dummheit und Selbstüberschätzung. Wird scho alles glatt gehen. Drei junge Menschenleben, sinnlos weggeworfen, die anderen teilweise schwer verletzt und auf jeden Fall gezeichnet fürs Leben. Weiterleben kann auch eine Prüfung sein. War es das Wert? Jedes Wochenende sterben junge und weniger junge Leute aus diesem Gruppenzwang heraus. Du wirst doch nicht is eh ned weit.
Sterben kann man schneller als man glaubt
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