von Vivienne – Oktober 2004
Muss man immer gut drauf sein?
Jeder Mensch hat das Recht auf schlechte Laune. Man sollte das in die Verfassung aufnehmen, sagt der bekannte Wiener Kabarettist Gerhard Bronner. Ich las diesen Spruch heute auf einer Seite im Web, die die Lieblingszitate der zahlreichen Besucher im Web veröffentlicht. Das Bonmot entlockte mir ein Schmunzeln, Bronner (übrigens der Vater des Standard-Herausgebers Oskar Bronner) hat damit auf sehr menschliche Art und Weise auf den Punkt gebracht, dass man eben nicht jeden Tag gleich gut gelaunt sein kann. Weil man einfach Mensch ist
In dem Zusammenhang fiel mir auch gleich wieder der tief gefallene Ex-Motivationsstar Jürgen Höller ein, den ich in meinen Beiträgen schon ein paar Mal Kritisch betrachtet habe. Der Mann gefiel sich in der Annahme (die ich hier sinngemäß wiedergebe), dass man jeden Tag gut drauf sein könne, es liege nur an einem selbst, immer betont freundlich und gut gelaunt durchs Leben zu gehen… Zumindest so lange, bis man vor lauter Lächeln schon einen Krampf im Kiefer bekommt und das Lächeln zu einer schiefen Grimasse verrutscht. Hanebüchener Unsinn! kann ich da auch im Nachhinein nur den Kopf schütteln. Was für eine irre Annahme!
Ganz abgesehen davon, dass Höller privat teilweise ein ziemliches Ekel war, Angestellte wie Fans oftmals total brüskierte, kein höfliches Grüßen kannte und mit seiner überheblichen und abgehobenen Art das komplette Gegenteil von dem, was er predigte, lebte und verkörperte. Niemand kann immer gut gelaunt sein, das ist ein völliger Trugschluss. Wenn ich den ganzen Tag Kopfschmerzen wegen des Föns habe, sollte ich mir nicht auch noch den Zwang antun müssen, ständig zu lächeln und meine Umwelt mit gefälligen Worten und liebevollen verbalen Aufmerksamkeiten zu unterhalten. Man ist ja schließlich nur Mensch, und ich denke selbst ein Heiliger hatte bisweilen Tage, an denen ihm einmal der Kragen geplatzt ist.
Dass es einem nicht gut geht, heißt ja auch noch lange nicht, dass man seinen Unmut oder auch seine Verzweiflung voll ausleben muss. Sprich: Ekel spielen muss wirklich nicht sein. Aber seiner Umwelt zu signalisieren, dass man heute lieber seine Ruhe haben möchte oder sich im Gegenteil auch einfach nur gern ausreden würde, wären gute Alternativen dazu. Zu beidem nämlich: zu dem unechten Grinsen, das uns Höller als Evangelium weismachen wollte wie zum unkontrollierten Wutausbruch, mit dem man die Kollegen etwa ständig verschreckt. Die Wahrheit liegt in der Mitte, ist nicht für jeden und in jedem Fall gleich, aber es lohnt sich, weil man sich selbst auch einen Gefallen tut damit.
Zorn und Ärger – voll ausgelebt kosten den Menschen auf Dauer sehr viel Lebensqualität. Das heißt nicht, dass man seinen Unmut immer in sich hinein fressen muss und dadurch vielleicht sogar Magengeschwüre bekommt. Aber man hat immer mehrere Möglichkeiten, Frust abzubauen. Ziehen wir ein Beispiel heran: Sie nehmen eine Mineralwasserflasche aus der Einkaufstasche. Sie perlt stark, weil sie beim Transport geschüttelt wurde. Wenn Sie den Verschluss der Flasche gleich ganz aufdrehen, wird das Wasser sprudelnd nach oben gehen und die Flasche wird wild überlaufen. Wenn Sie den Verschluss aber langsam aufdrehen, immer wieder ein Stückchen, kann das Gas zitzerlweise entweichen. Sie werden nicht nass, es läuft kein Wasser über.
Verstehen Sie was ich meine? Man kann seinen Unmut durchaus emotional loswerden ohne überzureagieren. Natürlich ist es nicht immer leicht und in der Diskussion mit einem Kollegen, mit dem Sie vielleicht normalerweise auch nie so gut ausgekommen sind, ist es schwierig bei einem vielleicht auch sehr heftigen Gegenüber Ruhe zu bewahren oder überhaupt sein Anliegen oder seinen Standpunkt durchzubringen. Aber man sollte es zumindest versuchen, nicht nur wegen der Mitmenschen sondern auch aus Rücksicht auf sich selbst. Man hat als Mensch ein Recht auf seine Gefühle, seine Tagesverfassung und seine Launen. Es kommt halt nur darauf an, wie man damit umgeht. Natürlich ist es nicht für jeden so einfach, das rechte Mittelmaß zu finden.
Wer wenig selbstbewusst ist, schluckt lieber alles. Wer über ein cholerisches Temperament verfügt, hat seine Worte wahrscheinlich selten im Zaum. Das Problem zu erkennen und daran zu arbeiten, macht den Unterschied aus. Aber wie gesagt: man darf durchaus mal schlecht gelaunt sein, man muss nicht immer die besten Manieren und das strahlendste Lächeln hervorkehren. Jeder darf zu sich stehen, zu seiner Persönlichkeit, zu seinem Naturell. Die Ratschläge von Höller und Konsorten, die wie er längst wieder von der Bildfläche verschwunden sind, kann man als verzichtbar ansehen. Der Mensch ist anders und er hat das Recht auf Individualität. Gleichförmige, stereotype Gestalten, die sich nur mehr nichts sagende Freundlichkeiten schenken, gehen für mich schon in Richtung Volksverdummung und Manipulation.
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