von Vivienne – April 2004
Ohne Gewissensbisse
Fraglos komme ich selber aus einer Branche – Telefonmarketing wo man ohne Verkaufstalent und eine gewisse Hartnäckigkeit nicht an sein Ziel kommt. Im Laufe dieser Berufstätigkeit habe ich mich selber weiterentwickelt und verändert und einiges, was mir früher nicht leicht fiel, gehört heute zu meinem Standard-Repertoire und ich wende es gut und erfolgreich an. Trotzdem gibt es Aktionen, wo ich Skrupel habe an zu setzen, ich würde zum Beispiel nie etwas unter völlig falschen Voraussetzungen verkaufen. Aber nicht alle aus dieser mehr oder weniger breit gefächerten Branche denken da wie ich.
Das wurde mir bewusst, als ich wenige Tage vor meinem Urlaub einen Schulkollegen wieder traf, der schon seit einigen Jahren in der Nachbargemeinde lebt. Roland hat dort mit seiner Freundin eine Wohnung und naturgemäß haben wir uns seit der Schulzeit völlig aus den Augen verloren. Das kurz zur Erläuterung. Roland lief also mir in einem Linzer Geschäft über den Weg und während er auf seine Freundin wartete, die von ihrer Arbeit zu ihm stoßen wollte, erzählte er mir, worüber er sich letzen Monat so ärgern hatte müssen.
Die Zahl der Anbieter in Sachen Telefonie und Internet steigt ständig, auch bei uns. Roland hat seine Eltern, die noch in unserer Siedlung in einem Reihenhaus leben, bezüglich ihrer Bedürfnisse beraten und sich für einen Anbieter entschieden, der am günstigen für die Pensionisten Rolis Vater ging mit meinem zur Schule ist. Eine Problematik, die mir vertraut ist: Menschen dieser Generation machen sich in einer Ära der umwälzenden Entwicklungen und Veränderungen gerade im technischen Bereich oftmals einiges mit, und wären bei der probaten Auswahl allein etwas überfordert.
Umso erstaunter war Roland, wie er mir berichtete, als er bei seinem Besuch bei den Eltern Anfang März von diesen um Rat gefragt wurde. Ein Schreiben eines anderen Anbieters lag vor mit der Gratulation zur Anmeldung zur Telefonie und einer CD für den Internetzugang. Außerdem bestätigte der bisherige Anbieter die Kündigung des Festnetzes, obwohl nie eine Kündigung erfolgt war. Roland war genau so verdattert wie seine Eltern. Er klemmte sich hinter die Sache und nach einer halben Stunde gelang es ihm telefonisch, den Sachverhalt zu klären und aufzulösen, allerdings nicht ohne sich nachher noch mehr zu ärgern. Ein Außendienstmitarbeiter des neuen Anbieters hatte Rolis Vater beim Garteln vor dem Haus kontaktiert, mit ihm geplaudert und ihn überrumpelt, die Anmeldung zu unterschreiben, ohne dass dieser er leidet an grünem Star und hat keine Ahnung vom Internet wusste, was er da wirklich in Gang setzte.
Dieser ehrbare Mann im Außendienst, Zierde seines Standes, hatte die ergaunerte Anmeldung weitergeleitet, worauf das typische Procedere erfolgte: Abmeldung des bisherigen Anbieters und Aktivierung des neuen beim Preselect. Roland hatte natürlich sofort alle Hebel in Bewegung gesetzt und die Kündigung der betrügerischen Firma wie die Wieder-Anmeldung der alten veranlasst. Viel Lärm um nichts, möchte man im ersten Augenblick meinen, trotzdem scheint es mir unfassbar, dass ein Mensch mit ein bisschen Rückgrad zu solchen Methoden greifen muss, um seine Verträge zu bekommen. Wie viele Senioren, gerade auch am Land, haben keinen fürsorglichen Nachwuchs, der ihnen derartige Probleme klärt bzw. Nachteile von ihnen fernhält, die durch einen solchermaßen erschlichenen Wechsel erwachsen könnten?
Pfui Teufel, kann man da nur sagen. Selber bleibt für mich das Fazit, dass derartige Unternehmen, die auf diese Weise im harten Konkurrenzkampf die Nase vorn behalten möchten, in meinem Fall bei einem möglicherweise angepeilten Wechsel irgendwann einmal sicher nie zur Diskussion stehen. Trotzdem gibt es mir zu denken, dass nicht nur Marketing-Strategen solche fast verbrecherischen Auswüchse nicht nur fördern wie man so hört, gehört es ja zum liebsten Trick zu erklären, man gehöre eh zur Telekom! sondern dass sich tatsächlich Menschen finden, die solchen Anleitungen ohne mit der Wimper zu zucken folgen.
Arbeitslosenrate hin oder her: muss das sein? Hat man das Not? Bleibt uns im Falle von Jobverlust wirklich keine andere Wahl als uns in gewisser Weise zu prostituieren auf die übelste Weise nämlich, mit der man das tun kann? Ich denke nicht. Man hat immer die Wahl, ob man bewusst in den Dreck greift oder für einige Zeit den Gürtel enger schnallt. Nämlich solange, bis sich ein seriöser, neuer Job gefunden hat. Manche Menschen haben eben ein Rückgrad, andere laufen mit einem Gummischlauch im Rücken herum, um sich bei allen gefährlichen wie abgefeimten Transaktionen wieder rausschummeln zu können.
Roland übrigens hat neulich noch zu mir gemeint, dass er schriftlich auch den Namen des Außendienstmitarbeiters eingefordert hat, um die Möglichkeit zu haben, sich den Burschen, der seine Eltern über den Tisch ziehen wollte, einmal vorknöpfen zu können. Hoffnung hat er allerdings keine drauf, weil er die Philosophie dieser üblen Firmen kennt, die sich an den Schwächsten der Gesellschaft, jenen Leuten, die aufgrund von Alter oder mangels Bildung leicht betrogen werden können, bereichern. Und das ganz gezielt. Die hüten ihre schwarzen Schafe nämlich wie teure Diamanten!
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