Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Februar 2004



Salomons Entscheidung

Letzte Woche überschlugen sich wegen des mittlerweile österreichweit bekanntesten Sorgerechtsstreites die Schlagzeilen in allen Medien. Fotos, in denen der kleine Christian von den beide Exekutoren fast weggeschleift wurde, schockten von Zeitungstitelseiten oder drückten im Fernsehen aufs Gemüt: ein 8jähriger Bub soll weg von Vater und Bruder, wo er die letzten Jahre recht glücklich verbracht hat, und ins kalte Schweden zur Mutter übersiedeln. Die Rechtslage dürfte klar sein. Der Mutter wurde das Sorgerecht zugesprochen, und ob der Bub aus einer gewohnten Umgebung gerissen wird, ist für die Justiz bei der Urteilsfindung nicht relevant.

Dem Gesetz muss genüge getan werden, und das Gesetz fragt nicht nach, ob der Bub in einem fremden Land glücklich werden kann. Der Fall rief etliche Väter, die nach der Scheidung ihre Kinder nicht oder kaum mehr sehen können, auf den Plan. Bei Constanze auf Life Radio diskutierten die Männer emotionell und schilderten ihre eigene Betroffenheit. In diesen Fällen ging  es zwar nicht um eine vergleichbare örtliche Trennung von den Kindern, aber das tiefe Leid von so manchem Vater, der seinen Nachwuchs nicht mehr sehen kann, weil der Zwist mit der Mutter und Ex-Frau offenbar so groß ist, dass kein Konsens erzielt werden kann, wurde offenbar.

Kinder leiden unter der Scheidung ihrer Eltern enorm. Sie fühlen sich schuldig und verantwortlich für den Riss zwischen Vater und Mutter und ihr seelischer Zwiespalt wird nicht leichter, wenn sie von beiden Seiten in den Streit einbezogen werden. Die Kinder können ja noch nicht überprüfen, wer von den geliebten Bezugspersonen wirklich im Recht ist (sofern man überhaupt von Recht und Unrecht sprechen kann, wenn zwei Menschen einfach nicht mehr miteinander können). Daher sind sie auch die wahren Opfer jeder Trennung, denn sie müssen es ausbaden, wenn sie von ihren Eltern als Druckmittel benutzt werden. Jeder eigennützig, jeder nur auf Rache oder Eigennutz bedacht, zumindest in gewisser Art und Weise.

Warum wird bei Scheidungen der Wunsch eines Kindes so selten berücksichtigt? Der Einwand, dass ein Kind leicht manipuliert werden kann, nämlich von beiden Seiten, hat durchaus seine Berechtigung. Die Möglichkeit, auch jüngere Kinder mitentscheiden zu lassen, die der Gesetzgeber zur Zeit nicht vorsieht, kann auch nach hinten losgehen. Im Brennpunkt der Interessen beider Eltern weiß dann ein Kind – derart unter Druck gesetzt – noch weniger, wie es sich verhalten soll, es liebt ja beide Eltern und will beide nicht verlieren, oder?

Umso tragischer, dass so manche Mutter ihr alleiniges Sorgerecht ungerechtfertigt dazu benutzt, ihrem Ex-Ehemann, mit dem sie einfach keine Basis mehr hat, die Kinder vorzuenthalten. Abgesehen davon, dass es durchaus Fälle gibt, in denen der Vater ohnedies kein Interesse an seinem Nachwuchs hat oder Fälle in denen der Erzeuger prügelt, schlägt, missbraucht oder vergewaltigt und ein Besuchsrecht im herkömmlichen Sinne gar nicht verantwortet werden kann, wäre es nicht vielmehr angebracht, in Fällen „normaler“ Scheidungen beiden Eltern weiter die Möglichkeit einzuräumen, ihre Kinder zu erziehen? In deren ureigenstem Interesse nämlich?

Wer profitiert denn am meisten, wenn, auch nach einer zweifellos schmerzhaften Trennung zweier Ehepartner, diese weiterhin in der gewohnten Form für ihre Kinder da sind? Wessen Wohl ist denn am wichtigsten, wenn nicht das derer, die am empfindlichsten, am verletzbarsten sind? Eines hat sich in der Scheidungs-Juristik offenbar noch nicht herumgesprochen: ein Kind, dass sich seelisch gesund entwickeln soll, braucht nicht nur eine Mutter sondern auch einen Vater, der für es da ist. Wenn eine Mutter (und im umgekehrten Fall ein Vater, ich weiß persönlich von so einem Fall!) also nach einer Scheidung das Beste für ihr Kind oder ihre Kinder möchte, dann muss sie (er) einen Schulterschluss mit ihrem Ex-Partner erzielen.

Das ist nicht immer leicht, umsonst trennt man sich nicht, ganz klar. Aber für seinen Nachwuchs muss man bereit sein, Opfer zu bringen. Es ist momentan nicht absehbar, wie sich der Fall des kleinen Christian in Salzburg entwickelt, und ob der Bub eine Chance erhält, dass seine Interessen berücksichtigt werden. Aber mir ist zu diesem Fall eine Geschichte aus dem Alten Testament eingefallen, fast vergessen, und ich kann sie auch nur sinngemäß rezitieren, dafür ist sie nicht weniger beeindruckend: König Salomon, der weise König, musste eines Tages zwischen zwei Frauen entscheiden, welcher das Kind gehört, um das sie stritten. Beide behaupteten nämlich, die richtige Mutter zu sein.

Salomon entschied darauf hin, dass das Baby zu teilen sei und beide Frauen je eine Hälfte zu bekommen hätten. Während die eine das Urteil ohne Widerstreben akzeptierte, widersprach die andere ganz heftig. In diesem Fall solle die Rivalin das Kind haben damit es  nicht sterben müsse. Salomon folgerte aus diesem Verhalten, dass diese die leibliche Mutter sein musste: ihr war das Leben ihres Kindes wichtiger als auf ihrem Recht zu beharren. Darum hätte sie es sogar lieber der Frau überlassen, die es ihr streitig machen wollte… eine Geschichte, ein biblisches Märchen, werden Sie, liebe Leser, vielleicht sagen.

Und doch. Für mich steckt eine sehr wichtige Botschaft drin: wer sein Kind aufrichtig liebt, würde nie bewusst etwas tun oder veranlassen wollen, was ihm schaden könnte. Es ist mir fern, die Mutter des kleinen Christian in ein gewisses negatives Licht zu stellen – dazu kenne ich die Fakten zu wenig. Trotzdem frage ich mich allgemein, ob eine Mutter den Vorteil ihres Kindes im Sinn haben kann, wenn sie im Zusammenhang mit Besuchsrecht oder Sorgerecht etwas erzwingt, was dieses unglücklich macht. Aber von Salomonischer Weisheit sind wir in unserer Rechtsprechung ohnehin Meilen weit entfernt – finden Sie nicht auch?

Vivienne

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