Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  August 2004



Schwul sein – ein Makel?

Die Geschichte der Homosexualität hat sich über viele Jahre im Verborgenen, ja, sogar im kriminellen Bereich abgespielt. Von der Kirche oder auch den Nazis als abartig verdammt, war zur Zeit der alten Römer und Griechen die gleichgeschlechtliche Liebe längst nicht so verpönt. Sehr freizügige und offene Darstellungen zeigen, dass in der Antike die Spielarten der Liebe noch toleranter ausgelegt wurden beziehungsweise betrachtet wurden. Toleranter als vor gut hundert Jahren etwa, als der bekannte englische Dichter Oscar Wilde wegen Homosexualität angeklagt und verurteilt wurde und schließlich ins Gefängnis musste. Seine Popularität wie sein Erfolg gingen aus diesem Grund den Bach hinunter. 

Während lesbische Neigungen bei Frauen immer noch eher akzeptiert wurden, weil sie trotzdem heiraten und Kinder haben konnten, hatte es ein Mann noch weit bis ins 20. Jahrhundert schwer, zu  dieser Neigung zu stehen. Pop-Legende Elton John etwa verdankte ein empfindliches Karrieretief ab Mitte der 70er Jahre vor allem in den prüden USA der Tatsache, dass er sich in einem Interview zu seiner Homosexualität bekannt hatte. Elton kam wieder, holte sich Oscar, Grammys und etliche andere Musikpreise (Lesen Sie dazu Details auch im Rocklexikon der Bohne nach!) wie Phönix aus der Asche, aber so mancher Leidensgenosse ist an dieser Neigung zerbrochen, an seinem „Anders sein“, an Ächtung durch die Gesellschaft oder der großen Angst davor. 

Stefan Zweig beschreibt in seiner Novelle „Verwirrung der Gefühle“ die Geschichte eines homosexuellen Professors, der sich in seinen Schüler verliebt. Dieses feine Stück Literatur gehört nach wie vor zu meiner Lieblingslektüre und hat mich beim ersten Lesen zu Tränen gerührt. Das Dilemma des begabten Mannes, der in eine Ehe geflüchtet ist, um sich und der der Welt etwas vorzumachen zeichnet ein sehr eindrückliches Bild der Homosexualität zu Beginn dieses Jahrhunderts. Besonders unfair empfand ich in diesem Zusammenhang immer die Haltung der Kirche, die die Ächtung der gleichgeschlechtlichen Liebe über Jahrhunderte sehr konsequent betrieb und Gottes Wort „…was ihr dem geringsten meiner Brüder tut, das habt ihr mir getan…“ völlig missachtete. 

Erst in den letzen Jahren ließ die Ächtung der Homosexuellen spürbar nach. Es kam immer wieder zu „Outings“ vieler Prominenter, die den Gang an die Öffentlichkeit wagten um sich zu ihrer Neigung zu bekennen. Ob so viel fast übertrieben Aufmerksamkeit bei einer „Privatsache“ wirklich Sinn macht, möchte ich an dieser Stelle nicht diskutieren. Es muss jeder mit sich selbst ausmachen, wie weit er in so einem Fall gehen möchte und ob er Fotographen und Reporter um sich braucht, wenn er für sich selber einsteht. Zumindest einmal wird jeder, der den Schritt wagt, nicht mehr auf Leib und Leben verfolgt, und gerade das stellt einen Fortschritt für mich dar. Liebe, das ist meine persönliche Meinung, ist nichts Schlechtes, und ich bin auch davon überzeugt, dass es für Gott selber keinen Unterschied macht, ob sich ein Mann und eine Frau oder zwei Männer bzw. zwei Frauen aufrichtig zugetan sind.

Grotesk empfinde ich es jedes Mal, wenn besonders rückschrittliche Menschen die steigende Zahl der Männer, die sich zu ihrer Homosexualität bekennt, mit der „Emanzipation der Frauen“ in Zusammenhang bringt. Frei nach dem Motto: Frauen, die sich auf ihre Rechte und auf die Verwirklichung auch ihrer eigenen Ziele und Wünsche besinnen, seien für Homosexualität verantwortlich zu machen. Über derartig Unqualifiziertes kann man nur milde lächeln, denn Schwule und Lesben hat es zu jeder Zeit gegeben. Sie hatten halt kaum eine Möglichkeit, diese Gefühle auszuleben und damit glücklich zu werden. Ein Mann wird nicht schwul, weil Frauen gegen an ihnen verübtes Unrecht aufstehen und kämpfen sondern weil es ihnen in den meisten Fällen angeboren ist oder die ersten sexuellen Erfahrungen eben mit Männern stattgefunden haben.

Im Übrigen hat jeder Mensch mehr oder weniger homophile Neigungen. Jeder Mensch könnte sich unter gewissen Voraussetzungen in jemanden seines Geschlechtes verlieben. Viele verdrängen nur diese latenten Neigungen aus Angst vor dem „Anders sein“. In unserer Gesellschaft spielt die „Zugehörigkeit“ zu einem gewissen „Rudel“ noch immer eine große Rolle. Und homosexuelle Tendenzen haben da für viele noch immer keinen Platz. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis die völlige Anerkennung und Akzeptanz der gleichgeschlechtlichen Liebe selbstverständlich geworden ist. Ob die Möglichkeit der Ehe unter „Homosexuellen“ in Deutschland zur Durchsetzung dieser Wünsche viel zur „Emanzipation der Schwulen“ beitragen wird, ist noch offen. Zu viele Gegner bekritteln diese Möglichkeit der formalen Gleichstellung zur Ehe von Heterosexuellen. Noch viel bedeutsamer wäre allerdings neben derartigen Aspekten dass sich allgemein in den Köpfen mehr Verständnis und Toleranz gegenüber Homosexualität einstellen würden. Auch ein Schwuler ist nur ein Mensch, wie jeder von uns letztlich und Liebe in jeder Form stellt etwas zutiefst Menschliches dar…

Vivienne

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