Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Juni 2004



Über die Bedeutung von Sex in unserer Gesellschaft

Es gibt immer wieder Leute, die halten mich für ziemlich weltfremd. Dazu gehören nicht nur jene, die mich zu ihrem Vorteil zu verschiedenen Dingen überreden möchten, um dann in Folge feststellen zu müssen, dass die gute Vivienne eben doch keinen Sprachfehler hat und nicht zu allem ja und amen sagt. Nicht wenige Menschen, halten auch meine Gedanken über Sex, Beziehung oder Verhütung für ziemlich altbacken. Dabei sei jedem überlassen, seine eigene Meinung zu behalten, ich will niemanden belehren. Aber ich lasse mich auch nicht belehren – ich stelle meine Gedanken und Überlegungen dazu einfach nur vor.

Sex war in unserer Gesellschaft lange Zeit ein Tabuthema, das hohe Recht des Mannes in einer Ehe – von den Bedürfnissen einer Frau war ohnedies nie die Rede. Diese waren weniger als nebensächlich. Eingezwängt in ein Korsett galt die Frau als Inbegriff der Sünde – durch Evas biblischen Flirt mit der Schlange. Im heiligsten aller Bücher festgehalten, durfte die alte Märe nicht ernsthaft angezweifelt werden. Einfacher ging es gar nicht, dem weiblichen Geschlecht die Schuld am Bösen in der Welt zuzuschanzen. Mit der sexuellen Revolution im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde die Sexualität völlig enttabuisiert, und in den folgenden Jahren mehr und mehr Bestandteil des öffentlichen Lebens! Die Entwicklung der „Pille“ spielte dabei eine große Rolle.

Wer kann sich noch erinnern? So lange ist es gar nicht her, dass jede Frau schief angesehen wurde, die ihre Sexualität ungeniert auslebte – nämlich mit wechselnden Geschlechtspartnern. Eine anständige Frau hat nur einen Mann in ihrem Leben, oder? Auch die Bedeutung der Ehe hat sukzessive im Zuge dieser Entwicklungen abgenommen. Wer die Regeln einer Ehe nicht wirklich respektiert und von Treue nichts hält, wird auf Dauer in einer derart fixierten Beziehung nicht glücklich werden. Warum man dann überhaupt heiratet, ist für mich selber auch nicht völlig geklärt. Ich selbe halte vom „Bund für’s Leben“ absolut nichts, weil es keinen Sinn hat, eine „gesetzliche“ Beziehung einzugehen, von der im Grunde ja doch beide ganz unterschiedliche Vorstellungen haben. Und das geht dann mit Sicherheit ins Auge…

Welche Bedeutung hat Sex in meinem Leben? Schwer zu sagen. Ich lebe schon sehr lange allein und kann nicht bestreiten, dass ich bestimmte Bedürfnisse habe, wie jeder andere Mensch auch. Aber wenn ich ehrlich bin, was mir wirklich fehlt, ist nicht Sex, sondern ein männliches Pendant zum lieb haben, ganz simpel formuliert. Einen Mann, mit dem ich Zärtlichkeiten, Intimität und Nähe teile, die nicht immer unmittelbar mit Sex zu tun haben müssen. Es geht mir primär um den Menschen selber, und nicht um sein Geschlecht. Der Punkt ist: eine Beziehung kann noch so super funktionieren. Von einem Tag auf den anderen kann unter Umständen einer der beiden nach einem Unfall im Rollstuhl sitzen, „normaler“ Sex vielleicht für längere Zeit unmöglich…

Wenn das Verhältnis in so einem Fall zu sehr auf gutem Sex (so wichtig er auch zweifellos ist) fußte, werden sich kurzfristig große Problem ergeben… Man ist nämlich gezwungen, sich gegenseitig und neue Gemeinsamkeiten zu entdecken, oder die Ehe geht ob kurz oder lang den Bach hinunter. Aber in unserer Gesellschaft wird Sex überhaupt eine zu große Bedeutung beigemessen. Es war nötig ihn nach vielen verstaubten Jahrhunderten zu enttabuisieren, aber war es auch zielführend, ihn zu einer öffentlichen Sache zu erklären? Sex ist in unserer Gesellschaft ein Massenprodukt geworden, erhältlich in verschiedenen Verpackungen: Telefonsex, Pornos, Zeitschriften, Filme, Werbung, Prostitution, Swingerclubs, Begleitservice,  One-Night-Stand – er hat verschiedene und vielfältige Gesichter, und nichts ist mehr verboten oder neu. Und gerade das ist so anödend.

Sex ist auch nicht mehr intim. Alles andere als das. Sex ist nichts Besonders mehr, das zwei Menschen miteinander teilen, die sich einfach lieben. Ja, ich weiß, das klingt hoffnungslos altmodisch, aber ich möchte auch nicht in einer dieser modernen, offenen Beziehungen leben, in denen alles erlaubt ist, vor allem aber auch Seitensprünge und andere sexuelle Kontakte. Wozu dann noch Ehe oder Beziehung, wenn ohnedies keine Regeln mehr gelten oder sich jeder seine Regeln selber festlegt? Die Öffentlichkeit von Sex, das vorgelebte Leben machen vielen Menschen ständig Appetit auf mehr, vor allem auf Neues. Eine einzelne Beziehung wird schnell langweilig, weil man auf einige wenige Dinge fixiert ist und den Menschen selber, mit dem man beisammen ist, nicht mehr wirklich wahrnimmt, sondern vorrangig seine Sexualität…

Schweinsbraten mit Knödeln oder Wiener Schnitzel sind bekannte österreichische Spezialitäten und geben beide ein vorzügliches Mittagessen ab. Wer jeden Tag zu einem von beiden Gerichten greift, wird schnell merken, dass es ihm nicht mehr schmeckt. Irgendwann wird er sogar einen Widerwillen dagegen entwickeln und für lange Zeit die Nase voll haben von diesem Essen. Ähnlich übersättigt ist der Mensch von Sex, und darum ist er auch immer auf der Suche nach ständig neuen Anreizen und Spielarten. Wer Sex hingegen gleich von Anfang an die gebührende Bedeutung beimisst, wird feststellen, dass auch Monogamie noch ihren Reiz hat – auch wenn man uns etwas anderes vormachen will…

Vivienne

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