von Vivienne – Juli 2004
Über die Doppelmoral der Kirche
Vielleicht haben Sie, liebe Leser, heute auch die Begräbnisfeierlichkeiten für unseren verstorbenen Bundespräsidenten, Thomas Klestil, im Fernsehen verfolgt, so wie ich. Kardinal Schönborn zelebrierte das Requiem, und neben den zahllosen großen Häuptern aus dem In- und Ausland war nicht zu übersehen, wie der Sarg mit den sterblichen Überresten des Staatsmannes eingesegnet und der Verstorbene mit allen Ehren der Kirche versehen auf seinen letzen Weg geschickt wurde. Ein sehr feierlicher Akt, bei dem Thomas Klestil noch einmal in aller Form gewürdigt wurde.
Schön Recht und gut, aber da störte mich etwas Genau: Denn als geschiedener Mann, der wiederverheiratet war, müsste Thomas Klestil doch in den Augen der katholischen Kirche automatisch exkommuniziert sein. Wer unter Ihnen selber vielleicht geschieden ist oder mit einem geschiedenen Partner wiederverheiratet ist, kennt die Problematik: Kirchenbeitrag ja: denn sonst dürfen die Kinder nicht getauft werden oder zur Kommunion gehen. Selber ist man weiterhin von allen Sakramenten ausgeschlossen (außer bei einem liberalen, lebensbejahenden Priester, und das nur unter der Hand), man darf aber fest zahlen. In meiner Verwandtschaft gibt es ein paar Leute, die unter der strikten Handhabung dieses ehernen Kirchengesetzes diese Nachteile in Kauf nehmen müssen. Gottes Segen nur für Monogame
Aber eben doch nicht ganz. Das heutige Begräbnis hat es ganz klar gezeigt. Für alle gilt dieses Gesetz nicht, Thomas Klestil war als Staatsmann und kraft seiner integren Persönlichkeit davon ausgenommen. Ich möchte hier, das sei ganz klar gesagt, nicht das heutige Begräbnis grundsätzlich an den Pranger stellen. Nicht Thomas Klestil gilt meine Kritik, sie gilt viel mehr der Katholischen Kirche vor deren Gott nicht alle Menschen gleich zu sein scheinen. Oder formulieren wir es anders: ich meinerseits bin der Überzeugung, dass Gott einen Menschen, der in einer Beziehung gescheitert ist, deshalb nicht mit Ehelosigkeit oder ewiger Verdammnis strafen würde.
Das versuchen vielmehr seine irdischen Repräsentanten, die in der Vergangenheit leben. In einer Zeit nämlich, in der außerehelicher Sex zum Beispiel noch als Sünde angesehen wurde oder die Unauflöslichkeit der Ehe so unumstößlich war wie das Amen im Gebet. Die Zeiten haben sich geändert, die Menschen ohne Zweifel auch, aber die Kirche und ihre Grundsätze nicht. Gleich geblieben ist nur, dass für hohe Herrschaften immer schon Ausnahmen gemacht wurden, auch was andere scheinbar feststehende Kirchenregeln betrifft oder betraf. Kurzer Exkurs in die Geschichte Österreichs. Kronprinz Rudolf, der einzige Sohn von Kaiser Franz Josef, verübte 1889 in Mayerling mit seiner Geliebten Selbstmord.
Auch Selbstmord galt in jener Zeit noch als unbedingter Exkommunikationsgrund, allen Selbstmördern wurde ein kirchliches Begräbnis verweigert. Allerdings nicht Rudolf, dem zwar eine Art geistige Verwirrtheit bescheinigt werden musste, der aber als Selbstmörder und Mörder seiner Freundin mit Gottes Segen beerdigt wurde. Im Besonderen auch deshalb, weil er der Sohn von Kaiser Franz Joseph war Natürlich wird auf Dauer die Kirche mit Ungerechtigkeiten dieser und ähnlicher Art mehr als unglaubwürdig. Mittlerweile hat diese zumindest im Falle von Selbstmördern einen Gang zurückgeschaltet, und seit etlichen Jahren wird unter dem Aspekt der verminderten Zurechnungsfähigkeit jeder Mensch, der freiwillig aus dem Leben scheidet, auch ganz normal kirchlich begraben.
Doch zurück zu jenen Menschen, deren Ehe zerbrochen ist (und jedes Jahr scheitern etwas über 40 % (!) der Ehen). Sind das Verbrecher? Sind das nicht vielmehr Menschen wie du und ich? Wenn ich bedenke, dass kein Mörder oder Kinderschänder zum Beispiel je von der Katholischen Kirche ausgeschlossen worden ist – alles Leute, die doch viel Ärgeres auf sich geladen haben schreit es da nicht zum Himmel angesichts solcher Falschheit? Der Mörder darf zur Kommunion und mit Gottes Segen heiraten, der unbescholtene Mann, der seine Ehe nicht mehr retten konnte und wieder verheiratet ist, darf nicht? Diese indiskutable Haltung ist kein ehernes Gesetz Gottes, an dem nicht gerüttelt werden darf, das ist vielmehr eine auf Erden geübte und ins Groteske ausgewachsene Praxis der Katholischen Kirche, die am Leben vorbeiläuft. Und an den Menschen denn wer versteht das noch? Wo ist da der Sinn?
Vielleicht ändert die Katholische Kirche doch in den kommenden Jahrzehnten (zu optimistisch darf man nicht sein!) noch einiges an solchen Kirchengesetzen, die vielleicht einmal einen verborgenen Sinn hatten, der aber jetzt verloren gegangen ist. Wir leben einfach in einer anderen Zeit als Mooses und sein Volk oder Christus und seine Jünger. Mit höherer Lebenserwartung und sehr wechselvollen Veränderungen. Der richtige Papst zur richtigen Zeit könnte die Kirche wieder öffnen für alle Menschen, die sich nicht auf den Arm genommen fühlen wollen von Geboten, die die Schar der Gläubigen mit zweierlei Maß messen
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