Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Oktober 2004



Zivilcourage

In unserer Gesellschaft sind die Regeln klar verteilt. Arbeitslose etwa sind in der Hierarchie ganz unten angesiedelt, sie haben keine Lobby, und seitdem ein bekanntes Kleinformat in regelmäßigen Abständen Serien veröffentlicht, in denen Arbeitslose generell als organisierte Sozialschmarotzer dargestellt werden, wird jeder auf Jobsuche schief angesehen und ganz klar in einer Schublade abgelegt: tiefer geht’s nicht, denn jeder der eine Arbeit wirklich sucht, der findet auch eine. Ein trauriges Kapitel, trotzdem möchte ich mich heute nicht mit dieser Materie auseinandersetzen. Bekannterweise sind ja besonders Frauen  – siehe Verdienst – auch sehr weit unten in der Hierarchie unserer noblen Gesellschaft angesiedelt, vor allem, wenn sie im Supermarkt ihren stressigen wie schlecht bezahlten Job als Kassiererin tun.

Heute wurde ich nämlich Zeugin einer denkwürdigen Szene in einem Supermarkt nahe meiner Arbeit im Zentrum von Linz. Direkt vor mir legte ein älterer, weißhaariger Mann bei der Kasse seine Waren auf das Band. Eigentlich müsste man ja sagen ein Herr: wohl gewandet in edler, dunkler Jacke, das schlohweiße Haar des Übersiebzigjährigen fein säuberlich nach hinten gekämmt. Eine ewig lange Schlange zog sich an der einzigen geöffneten Kasse und der jungen Kassiererin passierte just bei dem noblen Herrn ein Fehler beim Herausgeben des Wechselgeldes. Der Mann, der sich betont Zeit ließ an der Kasse um die Rechnung zu prüfen, schnauzte die junge Frau mit dem ausländischem Akzent unfein an: „Na, haben Sie sich da nicht verrechnet beim Wechselgeld?“

Die Kassiererin reagierte etwas hektisch, begriff nicht gleich, worauf der Herr hinauswollte und schließlich korrigierte sie ihren Fehler und entschuldigte sich. Doch der feine Mann beruhigte sich nicht. „Ich entschuldige gar nichts!“ gab er seinen harten Standpunkt lautstark weiter. „:..denn so was hat nicht zu passieren!“ Die junge Kassiererin wies noch einmal darauf hin, dass ihr auch einmal ein Fehler passieren könne. Worauf der noble Herr – ein pensionierter Akademiker? – nach dem Filialleiter verlangte. Obwohl im Grunde nichts passiert war. Das war dann der Moment, wo Ihre Vivienne in die einseitige Diskussion eingriff. „Sind Sie nicht ein wenig ungerecht?“ wies ich den Mann zurecht. 

Hätte ich wohl besser nicht tun soll, denn nun richtete sich der ganze Zorn des dunkel gewandeten Herrn auf mich. „Sie sind doch viel zu blöd um zu begreifen, dass so etwas nicht geht. Hätte ich nicht die Rechnung überprüft, wäre ich um das Geld gekommen!“ Daraufhin ergriff die junge Kassiererin das Wort. „…aber Sie haben Ihr Geld doch bekommen. Was wollen Sie noch?“ „Die Polizei!“ antwortete allen Ernstes der Herr, der Widerspruch anscheinend nicht gewohnt war. Dann bekam ich wieder mein Fett ab. „Wenn ich Sie nur sehe, vergeht mir so wie so alles!“ Ich konterte ungeniert wie unüberhörbar, dass der noblige Herr auch kein Anblick für Götter sei. „Es ist außerdem unglaublich, dass Sie wegen einer derartigen Lappalie derart aufdrehen. Sie selber würden wohl an der Kasse schon nach einer Stunde versagen!“

Der feine Herr drehte sich um und ergriff die Flucht. Fast wie ein Hund mit eingeklemmtem Schwanz. Die Kassiererin bedankte sich und klagte leise ihr Manko. „…wir dürfen bei so was nichts sagen. Sie verstehen…“ Aber ich muss nicht schweigen, nein. Vielleicht wirklich zu banal das Ganze, vielleicht, aber auch ein Zeichen, wie dekadent unsere Gesellschaft schon beisammen ist. Wenn sich ein „Besserer“ de facto als Angehöriger einer Herrenrasse deklariert um einer jungen wie nervösen Person seine Überlegenheit zu demonstrieren, kann man das nicht akzeptieren. Auch wenn der Mann vielleicht einfach Streit mit seiner Frau hatte oder nicht ganz gesund war. In solchen Situationen zeigt sich der Charakter eines Menschen – nämlich in Konfrontation mit einem Schwächeren oder Untergeordneten.

Ich bin mir sicher, hätte ich nicht eingegriffen, die ausländische Kassiererin hätte sich noch manches anhören müssen. Vielleicht hätte der Mann tatsächlich darauf bestanden, dass der Filialleiter kommt und das Mädchen hätte Schwierigkeiten bekommen können. Und das war mir mein Eingreifen wert, auch wenn ich dabei vielleicht lauter geworden bin, als nötig gewesen wäre. Vielleicht ist es bequemer solche Situationen des Alltags zu ignorieren. Zivilcourage ist oft verfemt, Feigheit und Wegschauen werden propagiert bei uns. „Nur ned einmischen!“ heißt die Devise wenn Kinder geprügelt, Frauen geschlagen oder dunkle Gestalten im Haus ihr Unwesen treiben. Einen Schande für unsere ach so zivilisierte Welt!

Vivienne

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