Neue Bohnen Zeitung


Die bunte Welt von Vivienne
von Vivienne  –  August 2001


Versteh‘ einer die Frauen …
Teil 3

Die Zahl der Single-Haushalte steigt beständig. Immer mehr Ehen werden geschieden. Trotzdem oder gerade deswegen hält’s weder man und noch frau alleine, ohne einander aus. Zumindest nur für kurze Zeit. Es wird sich weder die Zeit genommen, die gescheiterte Beziehung auf zu arbeiten noch der Versuch unternommen, sich selbst eine „Auszeit“ vor einer neuen Lebensgemeinschaft zu gönnen. Allein bist du nix… denken sich vorwiegend auch Frauen. Und holen sich ein A…loch nach dem anderen zur Brust, im wahrsten Sinn des Wortes. „Welche Frau hat einen guten Mann, der sieht man’s am Gesicht wohl an“, wusste Goethe schon vor mehr als 250 Jahren. Der große Dichter und Philosoph kannte sich speziell mit Frauen aus. Ich habe Goethes Worte für mich so uminterpretiert, dass man es einer Frau mit Sicherheit auch am Gesicht ansieht, wenn sie keinen guten Mann hat – „blaue Augen“ sprechen Bände!

Vor ein paar Monaten war ich mit Vicky, der „besten Busenfreundin von allen“ wieder im Kino. Wir gönnten uns Mel Gibson und obwohl mit diesem Prachtstück von einem Mann ein Kinoabend gar nicht verloren sein kann, merkte ich, dass Vicky nicht wirklich bei der Sache war. Als wir uns anschließend zum Italiener verzogen (Ich liebe italienisch!), fiel es mir dann deutlich auf. Es gab mir einen Stich. Ich dachte an ihre damalige Flamme Paul – Sie wissen schon, der mit Carola! – und machte mich mit leisem Bauchweh wieder auf eine endlose Litanei wegen dieses Typen gefasst. Da Viktoria keine Anstalten machte, das „Trauerspiel“ zu eröffnen, räusperte ich mich gottergeben und fragte in eine längere Gesprächspause hinein: „Na, Vicky, was ist mit Paul?“

Vicky schreckte zusammen und sah mich ein wenig überrascht an. „Was soll sein? Ich sagte dir doch, sein Vater liegt wieder in der Klinik, ich habe Paul die ganze Woche nicht gesehen.“ Nun war es an mir, etwas verdattert zu schauen… „Äh, ich dachte mir nur schon die ganze Zeit, dass was mit dir nicht stimmt“, versuchte ich mich zu erklären. „Da glaubte ich halt, dass du wieder Kummer wegen Paul hast.“ Vicky warf mir einen kurzen aber stechenden Blick zu. „Liebe Vivienne, Paul ist nicht der Mittelpunkt meines Lebens“, erläuterte sie. Tatsächlich? Stellte ich diese Aussage in Gedanken mehr als nur in Frage. Laut holte ich zur Gegenfrage aus: „Aber was ist denn dann los, Mädel? Du siehst nicht aus, als hättest du einen Film mit dem geilsten Burschen aller Zeiten hinter dir!“

Ich sah Vicky unmissverständlich an. Ich wollte das jetzt wissen. Vicky seufzte, senkte kurz den Blick und presste die Lippen aufeinander. Dann sah sie wieder auf. „Es ist wegen Grete.“ Typisch Vicky. Mit dieser Aussage konnte ich wieder sehr viel anfangen. Aber ich ließ nicht mehr locker. Und so erfuhr ich im Verlauf der nächsten Stunden, was Vicky einen Mann wie Mel Gibson vernachlässigen ließ.

Grete ist eine Kollegin von Vicky. Nicht eine von jenen, die mit Vicky auch privat viel herum zog. Dazu sind die beiden Frauen wohl zu verschieden: Vicky ist eine lebendige, extrovertierte, spontane Frau, die viel redet, viel erzählt und die deshalb Menschen um sich braucht. Grete ist eine Vertreterin der ruhigen Sorte, die eher unauffällig und still wirken und die neben Frauen wie eben Vicky ein wenig „untergehen“. Vicky arbeitete schon etliche Jahre mit ihr. Sie sei eine verlässliche und praktische Kollegin. Privat, soviel wusste meine Freundin, klappte es bei Grete nicht so richtig. Seit einigen Jahren geschieden sucht die Enddreißigerin noch einen passenden Partner, mit dem sie die nächsten Jahre verbringen kann. Es klappte nämlich nicht wirklich mit den Männern, die sie in der Zeit nach der Trennung von ihrem Mann kennengelernt hatte.

„Sie lebt jetzt mit einem Burschen zusammen, der fast zehn Jahre jünger ist“, fuhr Vicky fort, während ihre Finger die Serviette zerknüllten. „Ich habe ihn bei der Feier zum 20-jährigen Firmenbestehen das erste Mal gesehen. Groß, ungeschlacht, ein wenig plump – so hat er auf mich gewirkt. Ich glaube, es war Grete ein bissel peinlich, weil er augenscheinlich so viel jünger ist als sie. Das war aber das Wenigste. Peinlich war viel mehr, dass er eine große Klappe führte und von seinen fantastischen Geschäften erzählte. Je lauter, je mehr er getrunken hatte.“ Der Kellner schenkte uns den Wein ein und servierte die Caneloni. Vicky und ich nahmen einen Schluck vom Wein und befanden ihn für gut. Schweigend nahmen wir die ersten Bissen zu uns. Vicky sah ein Loch neben mir in die  Luft, dann nahm sie den Faden wieder auf.

„Ich kann mich erinnern, dass die beiden dann nach der Feier eine Diskussion hatten. Ihr Freund wollte, obwohl augenscheinlich stark alkoholisiert, unbedingt mit dem Auto fahren während Grete schon ein Taxi gerufen hatte. Da habe ich dann zufällig gesehen, dass er sie draußen schlug: er gab ihr ein paar Ohrfeigen. Dann stieg er ins Auto, während sie auf das Taxi wartete.“ Ich begann zu verstehen. Schwenkte den Wein im Glas, nahm einen Schluck. „Ich nehme an, bei diesen Ohrfeigen blieb es nicht“, spielte ich den Ball zurück an Vicky.

Viktoria nickt kurz. „Die Argumente dieses Typen scheinen sich auf Schläge, Ohrfeigen, Tritte, etc. zu beschränken. Vor allem, wenn er betrunken ist, und das ist er anscheinend oft. Kurz danach kam Grete dann mit einem blauen Auge in die Arbeit. Sie erzählte, dass sie in Gedanken in die geschlossene Wohnzimmertür gelaufen sei. Mir kam das ein wenig merkwürdig vor. Ich sagte aber nichts. Zumittag tauchte dann ihr Typ mit einem dicken Blumenstrauß im Büro auf. Da brauchte ich dann nur eins und eins zusammenzählen. Keine Frage, er holte sie dann nach der Arbeit auch ab. Ganz zuvorkommend, ganz Gentleman….“

In die Pause hinein fragte der Kellner, ob wir noch einen Wunsch hätten. Ich bestellte einen Eiskaffee, Vicky entschied sich für ein Früchtesorbet. Sie zündete sich eine Zigarette an und reichte mir das Feuerzeug. Während Vicky die Asche abstreifte, begann sie weiter zu erzählen. „Es blieb auch nicht dabei. Nur dass er dann nicht mehr jedesmal mit Blumen aufkreuzte. Manchmal rief er auch nur an. Grete war das unsagbar peinlich. Sie wusste natürlich, dass wir längst durchschauten, dass sie nicht in die Tür gelaufen oder die Stiege hinuntergefallen war oder was auch immer. Ich habe ein paar Mal versucht mit ihr zureden… Keine Chance. Mit hochrotem Gesicht wies sie meinen Verdacht von sich – wie käme ich denn überhaupt dazu so Ungeheuerliches anzunehmen! Außerdem möge ich doch vor meiner eigenen Tür kehren! – Sei ehrlich – was willst du da machen?“

Ich schlürfte den Eiskaffee und ließ mir das alles durch den Kopf gehen. Eine sehr typische Situation: Mann schlägt Frau, die ihn trotzdem liebt und deckt, vielleicht auch eingeschüchtert wird. Sie allein kann den „Gordischen Knoten“ durchschlagen, sonst niemand und bevor sie das nicht tut, wird er sie weiterschlagen, wird sich nichts ändern. „Wie ist der momentane Stand der Dinge?“ fragte ich Vicky. Vicky legte den Löffel neben die Schale, verschränkte die Hände und grinste mich resignierend an. „Neulich abend – in der Woche warst du bei deiner Schwester – stand sie plötzlich vor meiner Wohnungstür: verheult, blaue Flecken, etc. Er hatte sich wieder an ihr abreagiert. Ich ließ sie rein, gab ihr ein Glas Wasser zu trinken und beruhigte sie. Dann versuchte ich ihr klar zu machen, dass sie den Typen rauschmeißen muss,… du weißt ja, all das Zeug, dass einem der Verstand sagt. Auf jeden Fall zur Polizei gehen, wenn er sie weiter bedroht. Sie dachte nicht einmal im Traum daran. Er brauche sie, sie allein habe es in der Hand ihn vom  Alkohol wegzubringen. Er sei kein schlechter Mensch, habe nur viel mitgemacht – das übliche Gewäsch halt. Bevor ich ihr aber erklären konnte, was das für ein Unsinn sei, stand er plötzlich selber vor der Wohnungstür. Rannte mich beinahe um, als er in die Wohnung stürmte. Grete bekam gleich wieder ein paar saftige Ohrfeigen ab, dann begann er mich zu beschimpfen. Bevor er aber mir auch auf den Pelz rücken konnte, zückte ich das Handy und rief die Polizei. Den Kerl traf deswegen fast der Schlag. Dann packte er Grete bei der Hand und verschwand mit ihr aus meiner Wohnung.“

Ich lächelte amüsiert und lehnte mich im Stuhl zurück. Vicky zündete sich die x-te Zigarette an und blies mir den Rauch ins Gesicht. „Als die „Freunde und Helfer“ auftauchten, waren die beiden nicht mehr zu sehen. Beim Protokoll gab ich den Sachverhalt an, ein paar Nachbarn konnten dazu bestätigen, dass sie durch den Lärm, den Gretes Freund gemacht hatte, gestört oder aufgeweckt worden waren, es war ja schon fast 23 Uhr gewesen. Am lustigsten war, dass sich ein paar Tage danach noch das Gerücht hielt, es sei einer meiner Verflossenen gewesen, der mir eine Szene gemacht hätte… wie auch immer.“

„Und?“ fragte ich interessiert zurück. Vicky nahm einen tiefen Zug von der Zigarette während sie mit der rechten Hand mit dem Feuerzeug spielte. „Einen Tag später in der Arbeit bekniete mich Grete, diese Aussage zurückzunehmen. Ihrem Freund täte es leid, er werde sich ändern. Er habe es versprochen. Aber er würde Schwierigkeiten mit seinem neuen Chef bekommen, wenn ich auf dieser Anzeige beharren würde. Glaub‘ mir, ich habe da schon überlegt.“ Vicky blickte gedankenverloren nach oben als  wollte sie die Anzahl der Platten an der Decke zählen. „Aber ich sagte ihr dann ziemlich direkt, dass es ihre Sache sei, wenn sie sich von ihrem Freund prügeln lassen und dafür Entschuldigungen finden würde. Aber dadurch, dass mich ihr Freund bedroht hätte, was im übrigen ein Teil der Nachbarn bestätigen könne, sei ich nun mal in die Sache involviert. Und ich sei eben nicht gewillt, dieses Verhalten ihres Freundes zu tolerieren. Das hätte er sich früher überlegen sollen. Sie sah mich daraufhin ziemlich wütend an. Da setzte ich dann noch drauf, dass ich  – für den Fall dass ihr Freund auf den Gedanken kommen sollte, mich mit seiner für ihn typischen „nonverbalen Argumentation“ zu überreden, meine Aussage zurückzuziehen, würde noch zusätzlich eine Anzeige wegen Körperverletzung dazukommen…“

„Hört, hört!“ applaudierte ich. „Ein Pyrrhus-Sieg“, erwiderte Vicky und griff wieder nach der Zigarettenschachtel. „Grete begreift nicht, dass sie in einer Sackgasse geht. Je länger sie wartet bevor sie umkehrt, desto schmerzhafter wird es, im wahrsten Sinn des Wortes. Grotesk ist halt, dass ich die Böse bin, die ihrem Freund Schwierigkeiten macht. Dabei macht er sich alle Schwierigkeiten selbst. Grete ist total sauer auf mich, das Klima in der Arbeit momentan total versch… Natürlich habe ich die ganze Schuld, eh klar. Ich schmeiß ja ihrem Freund Prügel zwischen die Füße, die er nie und nimmer verdient hat, das liebe Bürschchen.“

Wir zahlten. Auf dem Weg zum Parkplatz hingen wir beide unseren Gedanken nach. Die Frühsommernacht war angenehm warm und lau. Ich sperrte das Auto auf. Vicky verabschiedete sich, ließ den Motor an und fuhr weg. Ich setzte mich in den Wagen, parkte aus. Die Musik im Radio lief  total an mir vorbei. Ich dachte an Vickys Kollegin. Und an Fehler, die ich selber schon gemacht hatte… Eine Beziehung funktioniert nicht ohne Kompromisse, aber Dinge wie diese sind nicht tolerierbar. Mit dem Gedanken schlief ich in dieser Nacht ein.

Schlimm. Als Frau ohne Mann – das ist wohl der größte Makel von allen. Wie hatte ein Bekannter neulich ja auch zu mir gesagt, angesichts meiner Arbeitslosigkeit: „Du bist ja nicht hässlich – warum suchst dir den keinen, der dich aushält?“ Ganz abgesehen davon, dass ich nicht der Typ bin, der sich aushalten  lässt, habe ich für mich selber längst erkannt, dass es besser ist, einmal eine Zeit allein zu sein als mit dem falschen Mann zu leben: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet…“

Besser allein als Prügel. Besser allein als ausgenutzt, finanziell oder sonstwie. Besser allein als abhängig, sexuell, finanziell, wie auch immer. Besser allein als unglücklich. Besser allein als einsam in einer Beziehung. Besser allein als benutzt. Nur wer in der Lage ist allein zu leben, qualifiziert sich erst für eine Beziehung. Der Grund für die hohe Anzahl der Scheidungen liegt oft nur darin, dass viel zu viele Beziehungen auf heißer Luft aufgebaut sind. Das natürliche Bedürfnis nach Wärme, Zärtlichkeit, Geborgenheit oder Sexualität wird mit Liebe verwechselt. Und gerade als Frau bist ja gesellschaftlich ohne Mann ziemlich bedient….

So viele Frauen lassen sich schlagen, sehen zu, wie ihre Kinder missbraucht werden und schweigen – „im Namen der Liebe“, um das Statussymbol „Mann“ nicht zu verlieren. Aber seien Sie doch ehrlich – steht das dafür? Ein Mann, der einmal zuschlägt, wird immer zuschlagen. Ein Mann, der im Suff rabiat wird, ändert sich nur, wenn er sein Alkoholproblem in den Griff bekommt. Ein Mann, der sich an den (Stief-)Kindern vergreift, ist das letzte. Stimmt schon, der Mensch ist nicht dafür geschaffen, auf Dauer allein zu leben. Aber der erstbeste muss es deswegen trotzdem nicht sein….

 

Vivienne

PS: Falls es Sie interessiert: Vickys Kollegin lebt noch immer mit diesem rabiaten Burschen. Und die Anzahl der blauen Flecken ist nicht weniger geworden, ganz im Gegenteil….

 

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