Neue Bohnen Zeitung


DIE BUNTE WELT VON VIVIENNE
von Vivienne  –  Februar 2002



Im Krieg und in der Liebe …

„Zeige mir deine Freunde, und ich sage dir, wer du bist.“ Diese Weisheit kommt mir immer in den Sinn, wenn ich die letzten fünf bis sechs Jahre Revue passieren lasse. In diesem Zeitraum wurde ich immer wieder ein wenig gerupft vom Schicksal, wenn man das so ausdrücken kann. Neben wenigen wirklich wertvollen Freundschaften – wie etwa der guten, alten Viktoria oder der astrologisch so versierten und lebenserfahrenen Friederike (zu ihr an anderer Stelle mehr!) – blieb wenig in meinem Leben, was wirklich Bestand hat. Ich durfte aber auch erkennen, wie viel Wert und Unterstützung meine oft so komplizierte und chaotische Familie in Tagen bewies, an denen ich das Gefühl hatte, es geht nur mehr bergab. Albert war in gewisser Weise eine Cäsur in meinem Leben. Unser zufälliges – oder vorherbestimmtes? – Treffen letzten Sommer am Attersee zeigte mir, dass es auch anders geht, und dass das Leben sich oft auch von der Art und Weise der Gedanken, sprich: wie schwer oder leichthin man gewisse Ereignisse nimmt, gestalten lässt. Durch Albert und seine gar nicht mehr erwartete Liebe zu mir relativierte sich viel in meinem Leben. Und ich entwickelte wieder ein gesünderes Gespür für die Dinge und die Leute, die mich umgeben oder mit denen ich zu tun hatte. Ich gab mich nicht mehr dem Selbstmitleid hin sondern mehr noch: ich erfand eigene Strategien, von denen ich gar nicht ahnte, dass sie in mir stecken…

Wenn Sie meine Kolumne regelmäßig lesen, ist Ihnen vielleicht Hanna noch ein Begriff. Hanna war eine frühere Arbeitskollegin, mit der ich ein paar Monate in dem chaos-überfluteten Reisebüro einer „„Möchte-gern-Unternehmerin“ gearbeitet hatte. Möglicherweise erinnern Sie sich auch, dass mich Hanna zeitweilig als künftige Schwägerin auserkoren hatte, da ihr Zwillingsbruder Clemens, ein Jungbauer, Schwierigkeiten hatte, eine Gefährtin für Bett und Stall zu finden. Dass ich mich dieser Verkupplung widersetzt hatte, war an unserer Freundschaft nicht spurlos vorübergegangen und nach meinem Abgang aus der Firma hatte ich sie eine Weile aus den Augen verloren. Doch Weihnachten vor einem Jahr liefen wir uns wieder über den Weg, und es schien, als würden wir wieder an diese fraglos schönen Zeiten im Sommer 2000 anknüpfen können.

Aber wie gesagt, es schien nur so. Hanna begann mich bald regelmäßig mit überlangen Emails zu sekkieren. Sie breitete ihre komplizierte, freundschaftliche Beziehung zu ihrer Chefin, für die ja auch ich einige Zeit gearbeitet hatte, in epischer Länge vor mir aus, was mich zusehends Nerven kostete. Ich wollte freundlich sein, verständnisvoll, tröstend – im Übrigen meine größten Fehler! – und wurde wie ein Mülleimer mit dem Abfall dieses merkwürdigen Verhältnisses zugeschüttet. Hanna, das muss ich dazu sagen, hatte einen Narren an dieser merkwürdigen Frau, der Gattin eines Bürgermeisters in einer Provinzhauptstadt, gefressen. Das war für mich immer schwer nachvollziehbar gewesen, ich hatte es aber akzeptiert und für mich mit der Tatsache erklärt, dass beide Zwillinge, einen Jungen und ein Mädchen haben, und beide ein ausgeprägtes Faible für Cabrios an den Tag legen. Da die gute Unternehmersfrau letztes Jahr finanziell in ziemliche Troubles geriet, wurde trotz der guten Freundschaft auch Hanna gekündigt, und das auf nicht gerade feine Art und Weise.

Es war für mich schon in diesem Fall schwer nachvollziehbar, dass sich Hanna von ihrer Ex-Chefin nicht zurückzog sondern weiterhin enge private Kontakte pflegte. Als aber dann eine andere frühere Kollegin, Maria Anna, nach der Kündigung um die ihr zustehenden 50.000 Schilling geprellt wurde, fragte ich mich ernsthaft, wie schizophren die gute Hanna eigentlich sein musste, weil sich angesichts solcher Aktionen bei mir eigentlich alles aufhörte. Überhaupt zeigte sich Hanna mir gegenüber vermehrt von einer Seite, die ich am Anfang unserer Freundschaft nicht wahrgenommen hatte oder einfach nicht sehen wollte. Stimmte ich ihrer Meinung nicht zu – ob es nun um Muttertag, Leben auf dem Bauernhof oder Politisches ging – dann überschwemmte sie mich mit ihrer  Empörung: ich hatte – ihrer Ansicht nach – keine Ahnung, durfte nicht mitreden, kurz: es fand sich immer eine Grund, der meine Meinung inakzeptabel oder falsch machte.

Eine Zeitlang ließ ich mir das gefallen, weil es für mich – als oftmals viel zu gutmütigen Menschen – nicht so wichtig erschien, als dass ich deswegen einen Konflikt riskiert hätte. Trotzdem begann ich mich aber schrittweise von ihr zurückzuziehen. Am Anfang war es mir gar nicht so wirklich bewusst, dass ich ihre Einladungen ausschlug oder nur sehr kurz und einsilbig auf ihre Emails reagierte. Vor meinem Urlaub am Attersee war unser Kontakt schon längere Zeit unterbrochen. Attersee brachte dann Albert, meinen Ali, wie ich ihn nannte, zurück in mein Leben. Ich schrieb Hanna dann überschwenglich von den beiden wundervollen Wochen dort und mich traf fast der Schlag, als ich ihre Antwort bekam. Zu Ali und unserer Liebe äußerte sie sich gar nicht, aber sie schrieb über fast eine Seite von ihrem tollen Türkei-Urlaub mit Mann und den Zwillingen im 5-Sterne-Hotel all inclusive: drei Wochen am Traumstrand. Ich war ein wenig angewidert: mir kam das vor wie in der Schule, wenn unreife Teenager sich mit ihren Urlaubserlebnissen übertrumpfen.

Albert lachte, als er mich sah. „Weißt, du was, Viv, du siehst aus wie eure Katze, wenn sie vom Kater eine mit der Pfote bekommen hat.“ Ohne es zu wollen musste ich grinsen. Albert nahm mich in den Arm, sah mich mit leicht geneigtem Kopf an, und schlug mir vor: „Vergiss die Fuffi! Was ärgerst du dich eigentlich? Du wirst dir doch von der nicht den Abend verderben lassen? Na?“ Albert hatte natürlich vollkommen recht, und ich schob den Unmut beiseite. Je weniger ich mich mit dieser Frau abgab, desto weniger konnte sie mich wirklich treffen. Doch kurz nach meinem Geburtstag fand ich wieder eine Email von ihr im Posteingang. Hanna beklagte sich wieder lautstark und auf drei Seiten: ihr Arbeitslosenbezug nach der Kündigung durch ihre “Busenfreundin“ (wie ich boshafterweise für mich selbst formulierte) war ausgelaufen, ihr Antrag auf Notstandshilfe war aber wegen des guten Einkommens ihres Mannes abgelehnt worden.

Oh, wie ungerecht, wie gemein, wie unfair! Da war der teure Türkeiurlaub gewesen, da war der geplante 15.000 Schilling teure Astrologiekurs in Salzburg (eine hirnrissige Idee, wie ich für mich dachte: ausgerechnet nach Salzburg, in diese sündteure, überkandierte Stadt, und dort auch noch Astrologie!! Ich schüttelte den Kopf.), den sie unbedingt machen wollte, da war das Cabrio, von dem sie schon so lange träumte und das jetzt wieder in weite Ferne gerückt war,… Ich hörte sie förmlich zetern und schreien, und vor meinem geistigen Auge flatterte sie wie ein halbgerupfter Racheengel vor mir hin und her. Was für ein verrücktes Huhn, dachte ich mir. Sie kam mir vor wie die Frau des Fischers in diesem Märchen, die einfach nicht genug kriegen kann. Hanna, beschwor ich sie mit meiner inneren Stimme, was willst du eigentlich?

Das schrieb ich ihr dann auch, und noch viel mehr. Albert amüsierte sich königlich, während er mir über die Schulter blickte und mitlas. Um es kurz zu machen: ich hielt ihr einen Spiegel vor, wies sie hin, welches Glück sie eigentlich habe, dass sie einen liebenden Mann und zwei gesunde Kinder habe, dazu ein eigenes Haus, ein eigenes Auto und praktisch schuldenfrei sei. Viele Ehepaare und Eltern seien nicht in der glücklichen Situation, dass sie problemlos mit dem Einkommen des Mannes die Ausgaben bestreiten könnten, und denen gehöre mein Mitgefühl, nicht ihr. Jammern nach dem teuren Urlaub und wegen dieses geplanten, sinnlosen „Salzburg-Abenteuers“ sei für mich nicht nachvollziehbar. Und legte die Freundschaft auf Eis. Das Kapitel Hanna war für mich abgeschlossen. „Na, hast du dich abreagieren können?“ fragte Albert ein wenig sarkastisch, und obwohl ich fand, dass dieses Schreiben notwendig gewesen sei, gab mir Albert trotzdem das Gefühl, dass ich der Sache zuviel Raum gegeben hatte. Die Frau war letztlich bedeutungslos für mich, und Albert hatte völlig Recht.

Wenn Sie aber glauben, dass das alles war, dann irren Sie sich. Es gingen zwar einige Monate ins Land ohne ein Lebenszeichen von Hanna, aber kurz nach Neujahr hatte ich plötzlich Post von ihr im Briefkasten. Ein Brief, der mit „Liebe Vivienne“ begann, aber sonst nicht mehr als eine Schimpftirade auf knapp einer Seite war. Hanna warf mir auf unterstem Niveau vor, dass ich ihren Geburtstag vergessen hatte (was im übrigen nicht stimmte: ich hatte ihn bewusst ignoriert!), dass ich ein kleinkarierter, neidiger Mensch sei, weil ich ihr nicht zustimmen wollte, welche Gemeinheit es sei, dass sie keine Notstandshilfe erhalte. Natürlich habe das mit dem Urlaub oder dem Astrologiekurs (oder dass sie, wie ich es für mich auf den Punkt gebracht hätte, nicht mit Geld umgehen kann!) gar nichts zu tun, und überhaupt kenne sie mein Horoskop, meinte sie schicksalsschwer… Sie habe so viele Freundinnen, die ihr nicht die nötige mentale Unterstützung vewehrten! Ich konnte über diesen verbalen „Unrat“ nur Bauklötze staunen. Einmal mehr hatte ich das Gefühl, es nicht mit einer erwachsenen Frau sondern mit einer Pubertierenden zu tun zu haben, einem unreifen „Mensch“, dem was gegen den Strich läuft und das deshalb aufbegehrt.

In diesem Fall war auch Ali kurz schmähstad. „Mit was für Leuten gibst du dich eigentlich ab?“ fragte er nach einer Weile nachdenklich. „Altlasten“, erwiderte ich. „Eine von der Sorte Weiber, die glauben, sie können mir beliebig auf den Schädel sch… Aber die wird mich kennen lernen.“ Ich setzte mich an den PC und brachte ein herrlich zynisches Schreiben zu Papier: Natürlich wisse ich genau, wie recht sie, Hanna, habe, und welch minderwertige, neidige Kreatur ich sei, ich, die ich nicht wert sei, ihre Freundin zu sein. Saturn halte eine schwere Hand auf mich, gab ich zu, er werde mich strafen für mein schweres, unverzeihliches Vergehen. Andererseits seien ja die acht Quadrate in ihrem Geburtshoroskop auch nicht von schlechten Eltern, und es würde mich interessieren, wofür der gute Saturn eigentlich sie, die Edle, strafe? Im Übrigen triebe ich ohnedies einem schweren Schicksal entgegen, Alkohol sei mein ständiger Begleiter, und sie möge mir doch eine Flasche Wodka schicken, als letzten Freundschaftsdienst. Weh mir die Götter! schloss ich pathetisch.

Albert grinste, und meinte mehr zu sich selbst, er wisse nicht ganz, wem das was bringen sollte. Aber ich hatte schon gemerkt, dass ihm mein Brief gefallen hatte. Und außerdem waren wir im Kriegszustand, punktum. Hannas Antwort kam postwendend und diesmal via Email. Eine Kaskade an Beschimpfungen, die ihre “Neid-Theorie“ unterstrich und darin gipfelte, mir eine Therapie wegen meines Wahns zu empfehlen. Ich war nicht faul und mailte zurück, kurz und präzise. Nach einer Stunde eine SMS wie eine Pistolenschuss: „Bist wieder auf Drogen? An deiner Stelle würde ich mich aufhängen!“ Ich hielt mir den Bauch vor Lachen. Albert fand das Ganze weniger amüsant. “Was hast du ihr denn da geschrieben?“ wollte er wissen. „Oh, nicht viel“, sagte ich mit unschuldiger Miene und wollte aus dem Zimmer gehen. „Nichts da“, schob Albert meiner Absicht einen Riegel vor, legte seine Hände von hinten an meine Schultern und drehte mich zu sich um. Auge in Auge standen wir da. Mir blitzte der Schalk in den Augen. Albert kämpfte mit dem Lachen, ich merkte es, aber dann zog er mich an der Hand zum PC: „Zeig‘ mir’s! Komm, ziehr‘ dich nicht so!“

Albert war der Stärkere, und ich ließ ihn an den Computer, aber eigentlich war es mir ja ganz recht, dass er meine geniale Email las. Albert bekam große Augen, lachte laut auf, drehte sich zu mir und blickte mich etwas überrascht an: „So kenn’ ich dich ja gar nicht.“ Dann stand er auf, zog mich an sich und wiederholte: „So kenn‘ ich dich ja gar nicht.“ Er lachte wieder, mit leuchtenden Augen, und nickte anerkennend. “Du kannst ja richtig böse sein.“ Und gab mir einen „dicken“ Kuss.

Ich weiß, sie wollen jetzt sicher wissen, was ich Hanna schrieb. Also spann ich sie nicht mehr länger auf die Folter. Lesen Sie selbst:

IHRE NACHRICHT WURDE VOM EMPFÄNGER GELÖSCHT.
IHRE EMAILADRESSE WURDE DER LISTE DER BLOCKIERTEN ABSENDER BEIGEFÜGT.
SOLLTE DAS PROBLEM WEITERBESTEHEN, WENDEN SIE SICH AN IHREN PROVIDER.

IHR MAILSERVER

Ob Sie es nun auch genial finden oder nicht: bei Hanna hat es gewirkt, ich habe nichts mehr von ihr gehört.

Vivienne 

 

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