DIE BUNTE WELT VON VIVIENNE
von Vivienne – August 2002
Von der Verlogenheit unserer Gesellschaft, Teil 1
…hat es für beide noch lange nicht dieselbe Auswirkung. Schon Oscar Wilde sagte mit spitzer Zunge: Von allen Posen ist die moralische die unanständigste und traf damit den Nagel auf den Kopf. Dieses Zitat kam mir neulich wieder zu Bewusstsein, als Albert und ich bei Bea und Louis eingeladen waren. Es war Zufall, dass Bea erwähnte, dass unser Bürgermeister, Herr Buchegger, jetzt wieder Direktor der Hauptschule war, die auch wir in unseren Jugendtagen besucht hatten. Ich war einigermaßen überrascht. Seit wann? Jetzt war doch, wie hieß er noch gleich, richtig, der Wanninger, so viele Jahre Hauptschuldirektor! Was ist denn mit dem geworden? Bea schenkte mir noch eine Tasse Kaffee ein. Pension! Renée, unsere liebe Schwester, hat es mir vor ein paar Wochen erzählt. Er muss auch schon über 60 Jahre alt sein!
Tatsächlich? dachte ich mir. Und sein jüngster Sohn ist dann mit Sicherheit auch schon 20 Jahre alt… dieses Kind der Sünde, wenn es nach ein paar Moralisten in unserer Gemeinde ging. Mein Gehirn begann zu arbeiten, ich blätterte meine Erinnerungen zurück in meine eigene Hauptschulzeit Ende der 70er Jahre… Lehrer Franz Wanninger war ein mittelgroßer Mann, mit rötlichen Haaren, der sich als Deutsch- und Englischlehrer unter den Schülern mit seiner ungewöhnlich harten Art schnell Respekt verschaffte. Ich erinnere mich, wie er einen Schulkollegen, der als Streich das neue Fahrrad einer Kollegin benutzt und irgendwo liegen gelassen hatte, gemaßregelt hatte: Wanninger zwang ihn, durch alle Klassen zu gehen, und zu gestehen, dass er ein Dieb sei. Ja, teilweise war er sicher gefürchtet, der Wanninger. Charakteristisch für ihn war auch, dass er die Schüler immer mit Familiennamen anredete, die Mädels dazu mit der Endung -in, lange bevor z.Bsp. die verpflichtende Unterscheidung Magister/Magistra ein Thema in unserer ach so modernen Gesellschaft wurde. Keine Ahnung, ob er ein guter Pädagoge war, ich denke, nicht, ich hatte aber Gott sei Dank wenig zu tun mit ihm und es gab viel schlimmere Lehrer bei uns, kein Frage.
Wanninger war verheiratet und hatte zwei Kinder, eine Tochter und einen Sohn. Seine Frau habe ich nie kennen gelernt, die Kinder kannte ich nur vom Sehen, hatte aber keinen großen Kontakt zu ihnen. Unter den Lehrerkollegen war da noch die Frau Mörtenböck, eine eher unscheinbare, kleingewachsene Frau mit längeren, dunklen Haaren und Brillen. Sie unterrichtete Bildnerische Erziehung und Leibesübungen, fallweise Musik. Sie hatte mit ihrer viel zu sanften Art oft unter den Kindern zu leiden und wurde von ihnen immer wieder sekkiert um ein Beispiel zu geben: als sie einmal in einer Klasse erwähnte, dass sie das Rascheln gewisser Plastiksackerl nicht ausstehen könne, tauchten bei der nächsten gemeinsamen Stunde die Schüler unisono mit ebensolchen Plastiksackerl auf, in dem sie das Bastelmaterial für den Unterricht mitbrachten. So ein Typ war sie also… Auch Frau Mörtenböck war verheiratet und hatte eine Tochter im Vorschulalter. Bekannt war schon zu meiner aktiven Schulzeit, dass die Mörtenböck und der Wanninger eng befreundet waren, obwohl sie zwei so gegensätzliche Charaktere waren.
Getuschelt wurde immer viel, aber da beide verheiratet waren, nahm das keiner wirklich ernst. Ich kann mich noch gut an so manche Episode erinnern. Zur Vorweihnachtszeit ließ uns die Mörtenböck, die ich einige Jahre in Zeichnen bzw. Basteln hatte, mit einer Bastelarbeit allein. Ich hatte schon einige Strohsterne zusammengeklebt, und mir war fad, weil die Mörtenböck nicht und nicht auftauchte. Wissts was, sagte ich zu einer Schulkollegin, jetzt nehm ich die Strohsterne und geh rüber zu ihr ins Konferenzzimmer. Soll sich das einmal anschauen, was ich da so mache. Da kriegst ja graue Haare! Meine Kollegen lachten und meinten, ich möge das doch bleiben lassen. Aber ich stand auf, nahm vorsichtig den Weihnachtsbehang und ging vom Zeichensaal ins Konferenzzimmer. Welch eine Überraschung! Ich fand unsere Lehrerin im trauten Gespräch mit Franz Wanninger, der offenbar gerade eine Freistunde hatte. Ungeniert, ich ließ mir meine Überraschung nicht anmerken, breitete ich die Strohsterne vor beiden aus und fragte, ob diese schon in Ordnung wären… Den beiden war die Situation spürbar peinlich, das merkte ich, auch wenn mir als 11jährigem Mädel nicht ganz klar war, warum, aber Wanninger lenkte mich mit ein paar Bemerkungen ab und schickte mich wieder retour.
Mit meiner ausführlichen Erzählung, dass die Mörtenböck gerade ein Rendez-vous mit dem Wanninger im Konferenzzimmer hatte, erntete ich großes Hallo und Gelächter in der Klasse. Wir redeten nur mehr durcheinander und machten vergleichsweise naive Scherze zur Geschichte. Geglaubt hat trotzdem niemand von uns, dass die beiden wirklich ein Verhältnis hätten. Wie gesagt, beide waren verheiratet, ganz gut sogar, was man so annehmen hatte können. Aber trotzdem muss in den Ehen der beiden schon länger etwas nicht gestimmt haben. Diese enge Freundschaft der zwei Lehrer war geraume Zeit rein platonisch gewesen, aber irgendwann auf wessen Initiative auch immer überschritten die beiden die Grenze und begannen ein außereheliches Verhältnis miteinander. Schwer zu sagen, wie lange sie dieses verbergen konnten, aber das konnten die beiden nicht auf Dauer. Ein paar Schüler erwischten die beiden in flagranti und der Ehebruch wurde zum Talk of the town, Tagesgespräch an der Hauptschule, in der Gemeinde und den angrenzenden Orten. Unsere Heimatgemeinde hatte einen handfesten Skandal!
Als dieser handfeste Skandal ruchbar wurde, ging ich gerade in die erste Klasse der AHS und meine jüngeren Geschwister berichteten täglich life von den neuen Ereignissen. Zwei Ehen, die schon lange nicht mehr gut gewesen waren, zerbrachen endgültig. Wanninger und Mörtenböck zogen offiziell in eine gemeinsame Wohnung, beider Ehen wurden relativ rasch geschieden. Was auch nötig wurde die Mörtenböck erwartete ein Kind, wie sich herausstellte, und ihr Ex-Mann war mit Sicherheit nicht der Vater. Schneller als irgendjemand mitbekam, waren die beiden auch miteinander verheiratet. Der Volkszorn entlud sich weniger auf Wanninger als viel mehr auf der Mörtenböck, die Spott, Häme aber auch wüste Beschimpfungen ertragen musste. Als bei einem Schulfest die Mörtenböck mit einer Klasse eine Vitrine gestaltet hatte, kritzelten ein paar offensichtlich durch ihre Eltern aufgestachelten Schüler ein kleines Schild mit den Worten Mörtenböck, die Hure und klebten sie oben und für jedermann sichtbar fest. Die Gemeinde hatte getagt und die Mörtenböck für schuldig befunden obwohl zu einem Ehebruch zwei Leute gehören. Obwohl mit Sicherheit Wanninger nicht von ihr in den Ehebruch getrieben oder gar genötigt worden war…
Eine Weile hielt sich noch hartnäckig das Gerücht, dass die Mörtenböck auch an die Schule einer anderen Gemeinde versetzt werden müsse was wohl nur dem Wunschbild einiger besonders moralischer Mitbürger entsprach. Denn die Mörtenbeck blieb an unserer Hauptschule, auch nach ihrer Karenz kehrte sie wieder zurück obwohl die Anfeindungen gerade in den die ersten Jahren nach dem Skandal für sie nicht leicht gewesen sein dürften. Wanninger wurde zumindest offen nicht angegriffen kraft seiner Persönlichkeit, musste aber hinnehmen, dass nach der Pensionierung des alten Hauptschuldirektors Bauchinger nicht mehr er der Spitzenkandidat als Nachfolger war sondern der jüngere Kollege Egon Haupt vorgezogen wurde. Erst als der ans Land wechselte um Landesschulrat zu werden, war der Weg wieder frei für Wanninger… Da war dann genügend Gras über die Sache gewachsen.
Mir fiel auf, dass allgemein bei einem Ehebruch die Schuld, wenn man davon überhaupt reden kann, gern der Frau zugeschoben wird. Männern wird eher zugestanden, sich die Freiheit für einen Seitensprung nehmen zu können… und diese Situation war auch vor mehr als 20 Jahren in unserer Gemeinde eingetreten. Frau Mörtenböck hatte in den Augen von einigen Pharisäern zwei Ehen zerstört in Wirklichkeit waren aber beide gleich schuldig am Verlauf der Situation. Gelegenheit macht Liebe, und nicht umsonst entstehen am Arbeitsplatz die meisten Pantscherl, Gspusi und auch Beziehungen. Die Moral der Menschen ist eben doppelbödig, keine Frage wenn zwei dasselbe tun,… verhindert oft schon das Geschlecht, dass fair über beide geurteilt wird… Diese Gedanken gingen durch meinen Kopf als mir Albert den Arm um die Schulter legte und mich spitzbübisch anlächelte: Na, an wen denkst du da? Muss ich mir Sorgen um unsere Beziehung machen? Eine halbe Stunde kein Wort von dir! Ich schrak zusammen und kehrte langsam aus der Vergangenheit in die Realität zurück. Nein, wie kommst du nur auf den Gedanken,… Ich musste unwillkürlich lachen. Mir sind nur ein paar Dinge durch den Kopf gegangen… Ich sah ihn an. Wie erklärte ich ihm das jetzt? Weißt du, gerade noch war ich mehr als 20 Jahre jünger…! Aber sicher! antwortete Albert. Trink lieber deinen Kaffee aus, damit du wach wirst!
Vivienne
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