DIE BUNTE WELT VON VIVIENNE
von Vivienne – Jänner 2003
Auf frischer Tat ertappt…
Vielleicht, liebe Leser, haben Sie sich schon gefragt, wie ich, Vivienne, deren Beiträge Sie nun seit mehr als 1½ Jahren in der Bohne mit mehr (oder weniger?) großem Vergnügen lesen, zum Schreiben gekommen bin. Ich bin zwar im Grunde ein Quereinsteiger in diese Branche, man kann aber nicht sagen, dass ich wie die Jungfrau zum Kind in dieses Metier gestoßen bin. Wenn ich genau darüber nachdenke: schon in der Volksschule, in meiner provinziellen Heimatgemeinde, konnte ich ein paar Lehrer mit meinen kindlichen Geschichten nicht nur erfreuen sondern ich erregte geradezu die Aufmerksamkeit dieser Pädagogen. Da ich schon früh die Lesebücher meiner älteren Brüder las, hatte ich nämlich einen ganz anderen Sprachschatz als meine Alterskollegen.
Auch in der Hauptschule bekam ich auf meine Aufsätze immer gute Noten. An eine Episode aus der Zeit kann ich mich noch besonders gut erinnern. In der 4. Klasse, kurz vor Ende meiner Pflichtschulzeit, hatte uns die gestrenge Deutschlehrerin unter anderem die Inhaltsangabe eines Buches, das wir zuvor gemeinsam gelesen hatten, als Thema angekündigt. In der Folge versorgte ich ein paar schwächere Schulkollegen in einer Blitzaktion mit kompakten Inhaltsangaben der Geschichte, die ich alle ein wenig unterschiedlich gestaltet hatte. Damit es niemandem auffällt. Die hantige Lehrerin hat also nie etwas bemerkt, aber sie war mit dem Ausgang der Schularbeit mehr als zufrieden. Ausgestattet mit einem guten Zeugnis und einem dementsprechenden Selbstbewusstsein wechselte ich nach Linz in die Oberstufe.
Dort kämpfte ich die ersten Jahre nur ums Überleben. Auch wenn ich in Deutsch selber noch die wenigsten Probleme hatte, blitzte mein Talent dort eher sporadisch auf, so sehr forderte mich der Umstieg. Ich war, um es mit einem Wort zu formulieren, eine schlechte Schülerin, die erst mit dem Wiederholen der 7. Klasse in diesem Schultyp Fuß fassen konnte. Der Lehrerwechsel tat mir wirklich gut, mein Notendurchschnitt stieg merklich, und schließlich konnte ich doch noch meine Eltern mit der bestandenen Matura überraschen. Ein Erfolg, mit dem ich ein paar Jahre zuvor gar nicht mehr gerechnet hatte.
Nach Wanderjahren in Salzburg, meiner Rückkehr und dem Einstieg ins Berufsleben, hatte ich meine hochtrabenden Karrierepläne aus der Hauptschulzeit längst aufgegeben. Ich schrieb überhaupt nichts, bis ich nach einer beruflichen Krise die Idee zu einer längeren Kindergeschichte entwickelte, spontan, und initiiert von meiner Nichte Daniela, die in ihrer selbstbewussten Art eine Geschichte von mir forderte die sie dann auch bekam. In einem Frauenprojekt in meinem Bezirk konnte ich neben den Erfahrungen mit den unsäglichen Intrigen meiner Geschlechtsgenossinnen untereinander auch erste Kontakte zu verschiedenen Medien knüpfen. Ich begann für eine Vereinszeitung in Gallneukirchen zu schreiben und moderierte etwa ein ¾ Jahr auch eine eigene Radiosendung beim Linzer Sender FRO, die über das Projekt lief.
Man kann seiner Bestimmung halt nicht entkommen. Im April/Mai 2001 kam ich durch einen Aufruf des allseits bekannten und beliebten Klezi alias Werner Klement bei Life Radio zur Bohne und angespornt durch erste kleine Erfolge bemühte ich mich um ein Praktikum in meiner Bezirkshauptstadt, bei einer Wochenzeitung. An diesen Monat in der Redaktion habe ich vor allem positive Erinnerungen. Ich wurde im Team sehr entgegenkommen aufgenommen und verfasste am Fließband Beiträge. Natürlich sind mir auch Schnitzer passiert, wie etwa, als ich in einem Interview die Vizebürgermeisterin in einer Nachbargemeinde verärgerte. Aber aus Fehlern lernt man, und ich hatte bei der Zeitung das Gefühl, das meine Arbeit gewürdigt und anerkannt wird. Wenn es die Zeit erlaubt, verfasse ich nach wie vor als Freie Beiträge für diese Bezirkszeitung.
In diesem Monat Praktikum hatte ich auch ein paar denkwürdige Erlebnisse, etwa ein längeres telefonisches Interview mit dem Katsdorfer Didi aus Taxi Orange. Aber auch mit weniger prominenten Gesprächspartnern kann man interessante Erfahrungen machen. Ich saß eines Morgens in der Redaktion und machte mir Gedanken zu ein paar Themen. Uli, die Redakteurin, hatte mir vorgeschlagen, zum Thema Zeugnisangst zu recherchieren und ich telefonierte mit ein paar Ämtern bzgl. Anlaufstellen für Familien, wenn vom Nachwuchs das Schulziel nicht erreicht worden war. Ich erhielt schließlich den Tipp, mich an den Psychologen Mag. Hermann Ott zu wenden, der ein Fachmann auf diesem Gebiet sei. Super! meinte Uli. Kenn ich, ich hatte vor Jahren wegen eines Schülerselbstmordes im Bezirk mit ihm zu tun. Ein umgänglicher Mensch. Schau, dass du dran bleibst.
Das war nicht ganz leicht, aber nach drei oder vier Anrufen hatte ich den Schulpsychologen endlich in der Leitung. Zum Thema Zeugnisangst? Aber gerne. Kommen Sie übermorgen doch gegen 8:30 Uhr. Eine halbe Stunde habe ich gerne für Sie Zeit. Mehr wollte ich gar nicht. Als ich auflegte nickte Uli anerkennend. Du, der Ott wird dir sicher eine Menge Brauchbares erzählen können. Und außerdem wird er dir von der Sekretärin eine Tasse grünen Tee servieren lassen. Vergiss aber nicht, er muss dir ein Foto von sich geben, das brauchen wir für den Vierspalter.
Ich war mit mir selbst sehr zufrieden, als ich zwei Tage später mein Auto um etwa 8:00 Uhr in Urfahr abstellte und mich zu Fuß auf dem Weg in die Behörde machte. In Gedanken formulierte ich schon ein paar Fragen, ein paar Stichworte hatte ich in meinem Notizheft stehen. Und ich freute mich auf eine Tasse grünen Tee. Mit dem Lift fuhr ich dann in den 2. Stock, wo mir zunächst einmal jede Orientierung fehlte. Ein Herr am Gang schickte mich dann in die richtige Richtung. Zimmer 221, erster Gang rechts, dann geradeaus. Aber bitte vorher anmelden, Zimmer 220. Wenige Minuten später stand ich dann vor der Tür. Und daneben das Sekretariat: Christa Böck, las ich. Ich sah auf die Uhr. Ein paar Minuten hatte ich noch Zeit, also nahm ich im Wartebereich Platz und blätterte ein paar Broschüren durch, die auf dem Tisch lagen.
Punkt 8:30 Uhr. Ich stand auf, räusperte mich, und klopfte an die Tür von Frau Böck. Nun spürte ich doch ein wenig Nervosität. Mein erstes Interview für die Zeitung. Dann drückte ich auf die Türklinke, aber es war abgesperrt. Ich blickte auf die Uhr. 8:31 Uhr. Hatte ich mich etwa geirrt? Bevor ich aber nachdenken konnte, hörte ich hinter der Tür schon jemanden aufspringen, ich schnappte hektische Wortfetzen auf, jemand hastete ins andere Büro, das Büro des Herrn Ott. Ich wusste im ersten Moment nicht, was ich davon halten sollte. Es dauerte etwa gute zwei Minuten, dann wurde der Schlüssel im Schloss umgedreht und die Tür geöffnet.
Eine gut aussehende Brünette Anfang Dreißig stand vor mir. Ihr Haar, das fiel mir sofort auf, war etwas verdrückt und sie wirkte leicht nervös auf mich. Während sie mich mit fragendem Blick grüßte, glitt mein Blick an ihrer Kleidung entlang. Sie trug einen kurzen Rock und eine pastellfarbene Bluse, an der mir etwas auffiel: der mittlere Knopf war offen. Überhaupt wirkte es so auf mich, als hätte sie sich die leicht verrutschte Bluse gerade erst angezogen… In meinen Überlegungen spürte ich plötzlich die Augen der Sekretärin auf mich gerichtet. Sie wartete offenbar auf meine Antwort. Rasch nannte ich meinen Namen und die Wochenzeitung. Vor zwei Tagen habe ich mit dem Herrn Mag. Ott einen Termin vereinbart, heute um 8:30 Uhr. Ist er zu sprechen?
Während ich noch mit ihr redete, warf ich einen Blick in das Innere des Büros. Und die Tür zum Nebenzimmer, dem Büro des Herrn Schulpsychologen, war tatsächlich offen. Während Frau Böck versprach, mich sofort dem Herrn Mag Ott zu melden, bemühte ich mich schon, ein Schmunzeln zu unterdrücken. Zu offensichtlich, wo ich hier reingeplatzt war, vielleicht im schönsten Moment…. Ich nahm wieder im Wartebereich Platz, wo ich mich königlich amüsierte. Über die Frau Böck und ihre Hektik, über den Herr Magister, der wahrscheinlich noch mit dem Anziehen beschäftigt war, während ich in der Tür mit der Sekretärin geredet hatte.
Ich schreckte aus den Gedanken hoch, als Frau Böck wieder vor mir stand. Folgen Sie mir bitte ins Büro vom Herrn Mag. Ott. Der Schulpsychologe kam mir schon mit ausgestreckter Hand entgegen. Er war mittelgroß, leicht korpulent und trug einen grauen Anzug. Seine leicht angegrauten Schläfen und die Geheimratsecken verliehen ihm jene Anziehungskraft, die Männer besonders in seiner Position auf einen bestimmten Typ Frau ausüben. Das Hemd war übrigens vorschriftsmäßig zugeknüpft und die Krawatte saß, wie ich mich schnell überzeugen konnte. Ich drückte seine Hand, als er mich schon mit Bedauern darauf aufmerksam machte, dass er unglücklicherweise den Termin mit mir übersehen hätte. Ich bedaure das sehr, gnädige Frau. Leider habe ich im Moment einige wichtige Dinge zu erledigen… ich warf einen eindeutigen Seitenblick auf Frau Böck, die noch vor der offen Bürotür wartete …aber mein Kollege, Herr Hofbauer, hat in diesem Bereich eine fast eben so große Erfahrung wie ich. Ich habe gerade mit ihm gesprochen, er wird Ihnen gerne seine Zeit zur Verfügung stellen.
Ich schenkte dem Herrn Schulpsychologen ein warmes Lächeln, hatte natürlich vollstes Verständnis für seine unaufschiebbaren Geschäfte und ließ mich von ihm in das Büro von Herrn Hofbauer geleiten. Mit Herrn Hofbauer plauderte ich dann noch eine ganze Weile, aber alles in allem war das Gespräch nicht außergewöhnlich. Sein Foto, versprach er mir noch, werde er uns per Email zukommen lassen. Ich packte Kugelschreiber, und Notizheft ein, verabschiedete mich von Herrn Hofbauer und schloss die Tür hinter mir zu. Beinahe hätte ich wieder die Orientierung in diesem großen Gebäudekomplex verloren. Ich überlegte gerade, ob ich vielleicht doch wieder jemanden nach dem Weg zum Ausgang fragen sollte, als ich plötzlich Frau Böck einige Meter vor mir sah. Sie stand am Kopiergerät gerade in jenem Gang, in dem sich auch ihr Büro und das ihres Chefs befanden. Dann kannte ich mich wieder aus.
Ich ging an Frau Böck vorbei. Sie sah auf und hatte dabei den Ansatz eines Lächelns im Gesicht stehen. Einen Moment schauten wir uns in die Augen und in eben diesem Moment tauschten wir blitzartig die Information aus, dass erstens ich mit meiner Vermutung völlig richtig gelegen war und sie zweitens genau wusste, dass ich die Umstände durchschaut hatte. Dann war ich auch schon wieder vorbei am Kopiergerät. Mit einem neugierigen Seitenblick hatte ich noch schnell registriert, dass der Blusenknopf wieder geschlossen war. Kein Wunder, diesmal hatte die Frau Böck ja auch ausreichend Zeit dafür gehabt, ihre Kleidung anzuziehen und dabei auf einen korrekten Sitz zu achten. Kein grüner Tee bei Herrn Mag. Ott, aber das machte nichts. Diese Geschichte war auch nicht schlecht. Auf keinen Fall.
Vivienne
Link: Alle Beiträge von Vivienne