DIE BUNTE WELT VON VIVIENNE
von Vivienne – August 2003
…kommt selten was Besseres nach
Wenn Sie, liebe Leser, meine Beiträge regelmäßig verfolgen, ist Ihnen sicher aufgefallen, dass ich zuletzt oft die Problematik des Loslassen zum Mittelpunkt meiner Geschichten gemacht habe. Vor allem (aber nicht nur) wenn eine Beziehung zu Ende gegangen ist, soll sich jede/r die Zeit nehmen, diese gescheiterte Partnerschaft zu verarbeiten und abzuschließen, mit einem gewissen Schwerpunkt auf den positiven Ereignissen, die man einmal geteilt oder durch gestanden hat. Nicht Blick zurück im Zorn sondern eher nach dem Motto …einmal war es doch schön…. Ähnlich liegen die Dinge, wenn es um einen Jobwechsel geht, bevor man an einem Arbeitsplatz einfach unglücklich nach Schema F weitermacht, sollte man die Konsequenzen ziehen und sich nach etwas anderem umsehen. Wo auch immer bei einem selber der Schwerpunkt liegt, es empfiehlt sich, sich bei der Wahl oder der Suche nach etwas Neuem in jedem Fall Zeit zu lassen, damit man nicht vom Regen in die Traufe gerät…
Ende April letzten Jahres starb unsere Großmutter im gesegneten Alter von 94 Jahren. Meine Tante rief abends, als ich gerade von einem Besuch beim Urfahraner Markt heimgekommen war, an und informierte mich. Wenn ein Mensch in so einem biblischen Alter aus dem Leben scheidet, kommt der Tod nicht mehr völlig unerwartet, trotzdem hätte es mich nicht erstaunt, wenn sie, die kleine, zähe Frau, die in ihrem Leben so viel durch gemacht hatte, auch das 100. Lebensjahr erreicht hätte. Ich ging nach dem Telefonat ein wenig in mich und setzte mich schließlich mit Bea in Verbindung. Jetzt also doch! war ihre erste, etwas trockene Reaktion. Ich verstand, was sie damit sagen wollte. Oma war in den 60er Jahren schwer an Krebs erkrankt und hatte etliche Male die letzte Ölung erhalten und überlebt.
Weißt du schon, wann das Begräbnis sein wird? wollte Bea schließlich, nachdem wir ein paar persönliche Erinnerungen ausgetauscht hatten, wissen. Keine Ahnung. Tante Kerstin hat sich kurz gehalten. Das musst du auch verstehen. Aber ich sag dir Bescheid, sobald ich was weiß. Fünf Tage später saßen wir schließlich nach der Beerdigung beisammen. Nur wenige Verwandte waren der Einladung zum Kondukt gefolgt. Wir saßen an einem Ecktisch am Rande, hatten die Getränke gerade serviert bekommen und warteten auf das Essen. Ich selber hatte das traurige Ereignis schon wieder abgehakt und temperamentvoll das Wort an mich gerissen. In der heftig gestikulierenden Hand hielt ich den Parte-Zettel. …schauts euch das an, heute Morgen erst, haben wir den Parte-Zettel zugestellt bekommen. Am Tag des Begräbnisses! Und wisst ihr, was Tante Kerstin erzählt hat? Am Freitag, ich betone, am Freitag, hat sie diese Postsendung verschickt!
Keine Frage, ich war ganz in meinem Element. Es fehlte nicht der Vergleich mit der Schneckenpost, und auch die abgedroschene Liedzeile aus der Operette Der Vogelhändler …denn bei der Post gehts nicht so schnell war mir nicht zu blöd um sie zu zitieren. Genau weiß ich im Grunde auch nicht mehr, warum ich mich gar so ereiferte. Vielleicht war es einfach die unterdrückte Trauer um die Verstorbene, die sich in dieser Banalität ein Ventil suchte. Bea hatte mir eine ganze Weile aufmerksam zugehört und nicht ein Wort verloren. In eine kleine Redepause von mir wagte sie aber dann ruhig einen Einwurf. Du meinst also allen Ernstes, dass wir mit privaten Zustelldiensten besser fahren würden? Ich zog meine Augenbrauen hoch, weil ich merkte, dass sie mich mit einer gewissen Ironie betrachtete. Nun, begann ich, meine Worte sorgfältig abwägend. Ich würde die Post nicht abschaffen, aber ich bin der Überzeugung, dass etwas private Konkurrenz diesem Großunternehmen sicher gut tun würde. Damit man sich wieder auf die Kundschaften besinnt und echtes Service bietet.
Bea antwortete nicht gleich. Sie holte langsam und mit Bedacht ihre Zigaretten aus der Tasche und zündete sich eine an, um gleich darauf genüsslich daran anzuziehen. Erinnerst du dich nicht mehr? fuhr sie schließlich fort. So was hatten wir vor ein paar Jahren schon einmal, zumindest teilweise. Bei den Zustellungen des Versandhandels. Und wenn ich mir diese Monate ins Gedächtnis rufe, so muss ich feststellen, dass die Post im Vergleich zu einigen privaten Zustelldiensten geradezu mustergültig arbeitet. Ich schwieg, denn ein paar Gedankensplitter in meinem Kopf brachten mir eine leise Ahnung zu ein paar Vorfällen, die schon sieben oder acht Jahre zurücklagen. Nachdenklich nahm ich einen Schluck von meinem Verlängerten. Ich glaub, dir ist schon ein Licht aufgegangen, lächelte mich Bea an, während sie die Asche von der Zigarette streifte. Das Bild meiner Erinnerung war nun völlig klar, und etwas betreten tauchte ich wieder ein in das vorweihnachtliche Linz des Jahres 19…
Bea und Louis waren nun schon das zweite Jahr beisammen. Der Stress in der Firma war groß, daneben standen ein paar Geburtstage in der Familie an, weshalb sich die beiden entschlossen, zumindest einen Teil der Geschenke nicht selber zu kaufen sondern diese über ein Versandhaus zu bestellen. Ich musste unwillkürlich lächeln, als ich mich selber etwa zu dieser Zeit vor meiner Wohnungstür stehen sah, eine große Schachtel in der Hand, eine Schachtel mit einer Winterjacke, die ich mir von einem großen Versandhaus zur Ansicht hatte schicken lassen. Meine Verwunderung war groß gewesen, denn dieses Paket war nicht bei mir persönlich abgegeben worden sondern lag einfach nur vor der Tür. Zufällig hatte ich es bemerkt, weil ich gerade den Müll in den Hof tragen wollte. Nicht die Post sondern einige private Zustelldienste betreuten damals die Versandhäuser, aber deren Mitarbeiter nahmen das Wörtchen Zustellung nicht so ernst wie der Briefträger, wenn er meine Post brachte. Und nicht auszudenken, wenn jemand vor mir das Paket bemerkt hätte und ganz einfach mit meiner neuen Jacke verschwunden wäre.
Bea schien zu ahnen woran ich gerade dachte. Siehst du? Private Zustelldienste sind auch nicht das Wahre. Die Versandhäuser haben damals geglaubt, sie könnten auf die Dienste der Post verzichten. Private Zustelldienste seien flexibler, würden auch am Wochenende und am Abend austragen und profitieren würden vor allem die Kunden, die nun nicht mehr so lange auf ihre Bestellungen warten müssten. Mitnichten! Bea dämpfte ihre Zigarette energisch aus. Sag, erinnerst du dich gar nicht mehr, was Luis und ich, bzw. meine Schwiegermutter damals mitgemacht haben, wegen ein paar Handtüchern mit eingestickte
m Monogramm? Richtig, vage kamen mir da erneut ein paar Dinge in den Sinn. Die Stirne in Falten gezogen versuchte ich die unklaren Erinnerungsfetzen zu einem vollständigen Ganzen zusammen zu fügen. Die Handtücher waren doch für Louis Eltern richtig? Und die Stickerei war ein Sonderangebot, kostenlos, wenn man bis zu einem gewissen Datum bestellte…
Ich sah in meiner Erinnerung Bea, Louis und mich an deren Wohnzimmertisch sitzen und interessiert in einem Katalog blättern. Detailliert kamen die Eindrücke zurück, ich wusste jetzt wieder, warum sich meine Schwester und ihr Mann gerade für diese Frotteehandtücher entschieden hatten. Das Problem war dann, dass diese Handtücher einfach nicht geliefert wurden, erläuterte Bea. Ich rief im Versandhaus an, dort hieß es, die Ware sei längst an diese Zustellungsfirma gegangen. Und ich möge doch bitte dort nachfragen. Bea nahm einen Schluck von ihrer Cola. Zumindest bekam ich auch die Nummer dieser Firma. Eine junge Mitarbeiterin erklärte mir dort, sie werde sich erkundigen, aber meine Sorge, etwas bezahlen zu müssen, was wir nie erhalten hätten, beschwichtig
te sie. Also wartete ich noch einen Tag ab.
Das Essen wurde serviert. Das Schnitzel sah appetitlich aus, aber im Moment war das nebensächlich für mich. Viel mehr war ich auf den Fortgang von Beas Geschichte gespannt, und was in jenem Zustelldienst schief gelaufen war. Und? erkundigte ich mich also, heftig kauend. Bea ihrerseits legte die Zigaretten beiseite. Am nächsten Vormittag wurde ich von der am Vortag noch so netten Mitarbeiterin beflegelt, die Handtücher wären längst zugestellt worden, wie ihr der zuständige Kollege berichtet hätte. Und deshalb wären sie auch zu bezahlen. Ich ließ mich mit dieser Person auf keine Diskussion ein, sondern wies nur kurz auf Rechtsmittel und den Konsumentenschutz hin. Als nächstes ließ ich mich im Versandhaus mit einem Abteilungsleiter verbinden und erzählte ihm unverblümt, was in dieser Zustell-Firma offenbar laufen würde. Ich betonte nochmals, dass wir nicht gewillt seien für nicht gelieferte Ware zu bezahlen und deswegen sicher auch an die Öffentlichkeit gehen würden.
Mittlerweile war auch die Verwandtschaft an den Nebentischen ganz Ohr. Es wurde nicht mehr gesprochen, alle Anwesenden waren irgendwie in den Bann dieser Geschichte gezogen worden. Jener Zustelldienst muss ein ganz besonders unseriöses Unternehmen gewesen sein, und der Zusteller, der offenbar erfahren hatte, dass wir nicht bereit waren, die Sache auf sich beruhen zu lassen, beging dann eine Art Verzweifelungstat. Er tauchte wenige Stunden nach meinem Gespräch mit dem Abteilungsleiter mit den Handtüchern im Haus meiner Schwiegereltern auf. Meine Schwiegermutter brachte er dann mit einer Menge Lügen und einer perfiden Verwirrungstaktik dazu, eine Art Persilschein zu unterschreiben, dass das Paket längst zugestellt worden wäre. Ihr kleiner Sohn hätte es übernommen, das wäre dann wohl Luigi gewesen, aber du weißt, Luigi ist mongoloid, der hätte nie unterschreiben dürfen.
Bea machte eine kurze Pause. Ihr Schnitzel hatte sie noch nicht angerührt. Dem Abteilungsleiter wurde dieser Persilschein dann über Fax übermittelt, und natürlich fühlte der sich im ersten Moment total an der Nase herumgeführt. Ich erinnere mich, er rief mich in der Firma an, um mir eine Standpauke zu halten. Gott sei Dank hatte mich meine Schwiegermutter nach dieser seltsamen Lieferung sofort informiert, und ich selber durchschaute das Verwirrspiel sofort und konnte mir denken, was dieser betrügerische Zusteller damit bezwecken hatte wollen. Ich war also gewappnet und ließ den Herrn Abteilungsleiter gar nicht erst richtig zu Wort kommen sondern konterte mit den Fakten, bis dahin, dass Luigi ja behindert ist. Zuerst versuchte jener noch ein paar Mal mir ins Wort zu fallen, aber je mehr ich erzählte, desto stiller wurde er. Als ich fertig war, schwieg er noch eine ganze Weile, dann meinte er, die Vorfälle täten ihm leid. Man werde die Konsequenzen aus diesem versuchten Betrug ziehen. Und relativ kurze Zeit später kamen dann die Pakete wieder von der Post…
Geschickt hatte mir Bea damit den Wind aus den Segeln genommen. Während sie sich nun ihr Schnitzel schmecken ließ, steckte ich den Partezettel wieder in meine Tasche. Zweifellos lief und läuft bei der Post nicht immer alles richtig oder so rund, wie es sein sollte. Aber die Post ist halt auch ein gewachsenes Unternehmen, mit teilweise etwas veralteten Strukturen, da passieren nun Mal auch Fehler, wie überall, wo Menschen arbeiten in einem Betrieb. Eine private Firma tut sich da sicher nicht leichter, vor allem weil sie nicht auf die jahrzehntelange Erfahrung in dem Bereich verfügt und im Übrigen auch nicht immer auf die seriösesten Mitarbeiter zurückgreifen kann. Ein Wechsel, ein
e Änderung sind nur dort sinnvoll, wo sie auch wohlüberlegt sind. Und die Auswahl sorgfältig überlegt und geprüft wurde. Nicht jeder neue Besen kehrt wirklich gut…
Vivienne
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