DIE BUNTE WELT VON VIVIENNE
von Vivienne – August 2003
Vom Loslassen können…
Loslassen ist ein fester Bestandteil unseres Lebens. Wie weh das tun kann, weiß besonders jener oder jene, der oder die vom Liebsten verlassen wurde oder jemand, dem ein nahe stehender Mensch verstorben ist. Manchmal meint man, der Schmerz zerfrisst einen und man würde nie wieder lachen können. Doch wie lange sich so eine Phase des Loslassens auch zieht selbst der ärgste Kummer versiegt einmal, auch die dunkelste Wolke weicht wieder dem vorerst noch zaghaften Sonnenschein. Dass Loslassen sich nicht nur auf Menschen bezieht sondern auch auf Materielles, ist mir nicht immer bewusst gewesen. Vor Augen geführt wurde mir das erstmals durch den bekannten wie umstrittenen Unternehmer Franz Josef Hartlauer.
Hartlauer war unter anderem wegen seiner aggressiven Werbung und seiner Preispolitik kein übermäßig beliebter Geschäftsmann in seinen Kreisen. Mit seinen Werbespots war er ständig präsent im Fernsehen, und so fiel es mir schon auf, dass vor ein paar Jahren plötzlich sein Sohn übergangslos die Position des Vaters in der Werbung einnahm. Was ich wie viele andere damals nicht wusste Hartlauer war schwer an Krebs erkrankt und hatte sozusagen noch beizeiten die Weichen für die Thronübergabe gestellt: in jeder Beziehung. Ich habe Hartlauer nie persönlich gekannt, aber diese Geste hat mir imponiert. Es gehört viel Größe dazu, rechtzeitig die Zügel aus der Hand zu geben und zu sagen: Ich vertrau dir das an. Macht, Einfluss und im weiteren Sinn auch Erfolg machen in gewisser Weise süchtig. Viele Männer (Ich gebrauche den Terminus Männer jetzt ganz bewusst, weil es in weltweit nun mal so ist, dass sich vor allem Männer in diesen Positionen in der Pole-Position befinden.) sind nämlich der Ansicht, ohne sie geht es nicht, kann es nicht gehen, darf es nicht gehen. Trotz Alter, deutlichen Zeichen von Krankheit oder Schwäche oder dem notwendigen Verlangen nach neuen Ideen….
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Walter Schmidt und seine Tischlerei das war für viele Jahre ein Garant für Qualität in meiner Gemeinde. Schmidt hatte die kleine Tischlerei seines Vaters in wenigen Jahren groß gemacht und wenn jemand bei uns ein besonderes Möbelstück brauchte oder eine Antiquität reparieren lassen wollte, dann fuhr er in Schmidts Tischlerei oder rief ihn gleich selber an. Schmidt glänzte nämlich nicht nur durch Flexibilität und die Bereitschaft auch Sonderwünsche in Sonderzeiten erfüllen: vor allem auch die Qualität seiner Arbeit bestach. Lange blieb dadurch das Privatleben des Handwerkermeisters auf der Strecke. Nicht dass Schmidt schüchtern war ganz im Gegenteil: Er war alles andere als ein Kostverächter und verstand es ein Frauenherz zu betören. Aber die Zeit für eine fixe Beziehung und mehr Ruhe in seinem Leben nahm er sich nicht.
E
inmal, erzählten mir meine Eltern, turtelte der anerkannte Tischler wieder einmal mit zwei Frauen zur gleichen Zeit. Auch das wäre nichts Neues in seinem Leben gewesen, wenn nicht ein unerwarteter Umstand eingetreten wäre: beide Frauen wurden von Schmidt schwanger. Im Abstand von 6 Wochen haben seine beiden Freundinnen entbunden, erinnerte sich meine Mutter. Und geheiratet hat er die, die ihm den Hoferben geboren hat. Ich war total schockiert, als ich diese Geschichte das erste Mal im Detail erfuhr. Nicht dass Schmidt seine Tochter vernachlässigt hätte, er versorgte Mutter und Kind vorbildlich, aber eine gewisse (Ab-)Wertung wegen des Geschlechts ließ sich durch die Wahl seiner Ehefrau zweifellos nicht bestreiten. Und so etwas schmerzt ein Kind manchmal mehr als Prügel…
Keine Frage, Walter Schmidt hat auch bei uns so manches Kastl wieder gerichtet und einen Küchentisch mit Sondermaßen für unsere Familie gebaut, der fast für die Ewigkeit bestimmt zu sein schien, so robust war er. Schmidt hat also auch meine Familie restlos überzeugt. Es mag fast drei Jahre her sein, als er eine alte Kommode aus dem Schlafzimmer meiner Eltern fast wie neu zurück brachte. Ich selber war gerade krank, so erinnere ich mich, und hatte meine Stimme verloren. Interessiert ich war nach einer Woche Krankenstand für ein wenig Abwechslung dankbar sah ich ihm zu, wie er das Möbelstück kraftvoll herein trug: seine Schläfen waren schon grau, aber Schmidt verfügte über breite Schultern und große Hände, die ordentlich zupacken konnten. Nachdem er die Kommode abgestellt hatte, setzte er sich nieder und keuchte leicht. Mein Vater zahlte, ein kleines Gespräch kam in Gang, und schließlich meinte Schmidt unerwartet leise: Leute, ihr habts es ja so gut. Ich zog die Augenbrauen hoch, während meine Mutter, der der traurige Unterton in seinen Worten verborgen geblieben war, erwiderte: Na, Herr Schmidt. Schlecht gehts Ihnen ja auch nicht. Das Geschäft floriert ja, wie man hört.
Es berührte mich unangenehm, als ich mit einem Mal dieses Flackern in Schmidts Blick bemerkte, der Ausdruck einer gequälten Seele, wie ich zu spüren glaubte. Und ich hatte mich nicht getäuscht. Schmidt begann, ohne auf die Antwort meiner Mutter einzugehen, zu erzählen, seine Stimme klang heiser, als er uns seine Krebserkrankung gestand: Prostatakrebs, vor einem guten Jahr diagnostiziert. Keine schlechten Heilungschancen an sich, aber er hätte sich für Wochen ins Spital legen müssen und anschließend auf eine langwierige Reha fahren müssen. Das geht aber nicht, erläuterte Schmidt. Unmöglich das Geschäft würde darunter leiden. Ich kann einfach nicht weg. Ich musterte Schmidt leicht verwirrt. Seine Worte weckten Widerspruch in mir, aber ich konnte ja nichts reden. Welches Geschäft ist wichtiger als das eigene Leben? formten meine Lippen tonlos.
Meine Eltern waren bemüht, ihre Betroffenheit auszudrücken. Schmidt ließ sie noch wissen, dass ihm die Ärzte ohne Operation noch ein Jahr gaben. Seit der Diagnose helfe er sich mit Schmerzmitteln und verschiedenen Medikamenten. Schmidt wirkte zwar auf den ersten Blick nicht so, aber der Tod war sein Begleiter geworden und wich ihm nicht mehr von der Seite. Schließlich verabschiedete er sich und verließ unser Haus. Während meine Eltern sich teils schockiert, teils voller Mitgefühl für den Tischlermeister unterhielten, hätte ich nicht behaupten können, vom Mitleid für Walter Schmidt überwältigt zu sein. Was ist das, das einen Mann davon abhält seine Krebserkrankung behandeln zu lassen? Aufopferung? Geschäftssinn? Nein, das alles nicht! Der Tischlermeister nahm sich selber zu wichtig, das war der Grund. Denn Schmidts Sohn war mittlerweile Mitte Zwanzig und hätte das Geschäft ohne gröbere Probleme übernehmen können: Kurt hatte in einer großen Linzer Tischlerei das Geschäft von der Pieke auf gelernt, der eigene Vater war ihm zusätzlich noch ein viel härterer Lehrer gewesen.
Trotzdem wollte ihm sein Vater die Leitung der Tischlerei nicht überlassen Walter Schmidt wollte die Zügel nicht aus der Hand geben. Er war es gewohnt, über alles und jedes in der Firma Bescheid zu wissen und er konnte nicht leben, ohne dass bei ihm die Drähte zusammenliefen. Wenn nötig um den Preis eines unnötig frühen Todes. Welch eine Vergeudung! Meine Stimme fand sich nach ein paar Tagen wieder, aber mein mangelndes Verständnis für Walter Schmidts Lebensphilosophie, für seinen Machthunger bis zum letzen Atemzug wurde nicht weniger sondern stärker. Etliche Monate nach jenem Gespräch erfuhr ich zufällig, dass Schmidt im Spital lag. Eine Operation war unumgänglich geworden und damit begann ein langer Leidensweg für den einst so robusten Mann, der für ihn nicht leichter wurde dadurch, dass er seine Firma nun doch an den Sohn übergeben musste: ein Ende seines Spitalaufenthaltes war nicht abzusehen, Komplikationen traten immer wieder auf und die Mediziner bekamen die Metastasen nicht in den Griff. Zwei Jahre zuvor wäre der Kampf gegen die bösartige Geschwulst mit Sicherheit nicht aussichtslos gewesen.
Vor ein paar Wochen erst ist Walter Schmidt seinem langen Krebsleiden erlegen. Viele Leute Freunde wie Kunden – sind bei der Beerdigung seinem Sarg gefolgt. Der Pfarrer fand beredt lobende und schöne Worte für den Mann, der sein Handwerk wie kaum ein zweiter verstanden hat. Wenn ich unseren alten Küchentisch ansehe, sehe ich immer Walter Schmidt vor meinem geistigen Auge, wie er meine jüngere Schwester in Windeln auf den neuen Tisch hob und sie mit neugierigem Blick die Küche nun mehr von oben betrachtete und vor Vergnügen krähte. Schade, Schmidt war kein schlechter Mensch. Aber seine Selbstsucht und sein Egoismus waren zu groß. Er konnte einfach nicht loslassen, weil ihm die Kontrolle über alles zu verlieren, schlimmer schien, als ein früher Tod. Bis er beides akzeptieren musste: Firmenübergabe und früher Tod war es das Wert?
Vivienne
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