Neue Bohnen Zeitung


DIE BUNTE WELT VON VIVIENNE
von Vivienne  –  Oktober 2003



Die Vivienne-Show

Als meine Leser habe ich Sie schon so manchen Blick in mein Leben, was meine Familie und mein Umfeld betrifft, tun lassen. Es tut sich was bei mir, und vielleicht ist Ihnen schon der eine oder andere Name durcheinander gekommen, aber man kann ja immer wieder nachblättern… Heute möchte ich nun jemanden ein wenig in den Mittelpunkt des Geschehens rücken, den Sie bisher nur so nebenbei registriert haben dürften: meinen Schwager Louis, Ehemann meiner lieben Schwester Bea. Zu Louis habe ich ein besonderes Verhältnis: er ist nicht nur Schwager und Freund für mich, im Laufe der Zeit ist er fast zu einem fünften Bruder von  mir geworden, der mir ans Herz gewachsen ist, und der sich auch Dinge mir gegenüber herausnehmen darf, die sich nicht jeder so einfach erlauben kann, wie sich Beatrice erst neulich wieder scherzhaft beklagte.

Louis Eltern haben – nur um es Ihnen in Erinnerung zu rufen – im Mühlviertel eine Schneiderei, Bea und Louis haben sich in der Arbeit kennen gelernt und sind mittlerweile fast fünf Jahre verheiratet. Im Spätsommer war ich mit Bea und Louis an einem Samstagvormittag unterwegs. Albert hatte sein Auto in die Werkstatt bringen müssen, der Motor hatte komische Geräusche von sich gegeben, und wir wollten uns im Laufe des Nachmittags bei Louis’ Eltern wieder treffen. Wir saßen also im Auto und wie üblich die letzte Zeit ließ ich mich gerne über meine damalige Firma aus, frustriert gingen meine Gedanken zurück an die Anfangszeit im Unternehmen. Mir fiel Margit wieder ein…

„Ein ganz armes Mädel, vielleicht ein paar Jahre jünger als ich, dunkelblond und auch ein wenig mollig.“ Bea drehte sich zu mir um. „Warum war sie arm? Nur weil sie in deiner Firma angefangen hat? Das trifft doch auch auf dich zu!“ Ihr Sarkasmus war unüberhörbar, und ich atmete langsam und tief aus und ein, weil ich mich nicht ärgern wollte. „Kannst du mich vielleicht ausreden lassen? Also Margit kapselte sich von Anfang an von den Leuten ab, sie gab immer wieder Äußerungen von sich, dass alle hier Faschistenschweine wären. Sie hat sogar zu mir gesagt, dass ich nicht besser wäre wie die anderen.“ Bea grinste vergnügt: „Die rote Vivienne, eine Faschistin? Wer hätte das gedacht? Aber in einem muss ich dieser Margit Recht geben, Faschisten gibt es in deiner Firma sicher genug.“

„Das mag sicher richtig sein!“ fiel ich meiner Schwester ins Wort. „Aber dabei blieb es nicht. Eines schönen Tages ging sie hinauf zur Geschäftsleitung und brüskierte die damalige Chefin mit Vorwürfen, die über die vergleichsweise harmlosen Spassettln, die ich dir gerade erzählt habe, weit hinausgingen. Zu weit.“ Ich machte eine Pause und nahm mir ein Zuckerl. Mittlerweile dachte ich ein wenig darüber nach, mit dem Rauchen aufzuhören. „Bea, sie sagte solchen Unsinn wie dass sie hier nur Kundschaften bearbeiten müsste, die sie alle von früher kenne und die ihr nicht wohl gesonnen wären. Sie habe die Nase voll, weil sie genau wisse, dass die Firma mit ihrem früheren Chef zusammenarbeite.“

Zum ersten Mal meldete sich Louis, der heute Fahrer spielte. Er lachte laut auf, grinste vergnügt von einem Ohrläppchen zum anderen, und hielt das Auto vor der roten Ampel. „Und? Was hat eure Chefin gemacht?“ Ich war etwas verärgert, weil beide, Louis und Bea offensichtlich nicht merkten, worum es mir ging. „Ist das so lustig, wenn ein Mensch aufgrund schlimmer früherer Erfahrungen paranoid wird? Sich Dinge einbildet, die nicht real sind sondern an den Haaren herbeigezogen?“ Ich setzte mich auf im Rücksitz und zischte Louis bissig zu: „Dass du es nur weißt, mir tut sie leid, ihr ist übel mitgespielt worden und sie hat den Boden unter den Füßen verloren. Ich wünschte, ich hätte etwas für sie tun können.“

Louis gab seelenruhig Gas und fuhr über die Kreuzung. „Ist recht bedauerlich, aber ich glaube trotzdem, dass eure Chefin nicht vor Mitleid überfloss…“, lenkte er ein und drehte sich kurz zu mir um, mit amüsiertem Lächeln. „Sie ist doch geflogen, oder?“ Ich fragte mich kopfschüttelnd, wie man so gefühllos sein konnte, eine solche Tragödie so herzlos zu kommentieren, aber offensichtlich wollte mich Louis nur aufziehen. Ich bestätigte ihm seine Annahme und ergänzte, dass Margit die Fristlose bekam und ich sie nachher nicht mehr gesehen habe. „Nimm das nicht so ernst…“, wandte sich nach einer Weile des Schweigens Bea an mich. „Solche Dinge sind schlimm, aber du hast ihr nicht helfen können. Sei froh, dass es dir nicht passiert ist, du hast Leute, mit denen du reden kannst. Diese Margit hatte sie offensichtlich nicht.“

Louis fuhr in die Garage des Hauses, das seine Eltern vor vielen Jahren gekauft haben und in dem er mit Bea das oberste Stockwerk bewohnt. Wir stiegen aus, aber ich schmollte noch. Louis’ Mutter kam mir entgegen und grüßte mich. Sie führte mich ins große Wohnzimmer, der Tisch war gedeckt und es roch verführerisch nach Pasta… Einmal holte ich mein Handy aus der Hosentasche, fast halb eins, aber Albert hatte sich noch nicht gerührt. Hoffentlich hatte das Auto nichts Gröberes… Eine halbe Stunde später servierte Louis’ Mutter den Kaffee und stellte Topfenstrudel nach Art des Hauses vor uns hin. So ließ es sich leben und ich verstand: mit einer derart guten Köchin zur Mutter ließen sich die Speckfältchen auf Louis Waschbrettbauch einfach erklären. Immerhin: auch Bea hatte zugenommen seit sie mit ihm beisammen war. Und ich selber hatte mich auch schon umgestellt: wenn ich hier eingeladen war, empfahl es sich, einige Tage vorher nicht viel zu essen. Ich habe deswegen schon meine blauen Wunder mit Jeans erlebt…

„… findet du nicht auch?“ In Gedanken versunken hatte ich kaum verstanden, was Louis da zu mir gesagt hatte. Ich hob fragend die Augenbrauen. „Bitte?“ Louis lachte vergnügt und meinte: „Ich hab mich nur gerade erinnert, als wir uns die Trueman Show im Kino angesehen haben. Deine Kollegin Margit muss sich wohl auch wie in einer Show, wie für sie gemacht gefühlt haben: alles kontrolliert, alles gesteuert, nichts dem Zufall überlassen – und ganz Amerika schaut mit!“ Natürlich, mir fiel es wieder ein. Vor ein paar Jahren war ich mit Louis im Kino gewesen und hatte mir, weil Bea bei einer lästigen Firmenfeier dabei sein hatte müssen, mit meinem Schwager den bekannten Streifen mit Jim Carrey im Kino angesehen und meine Schwester danach von der Sitzung abgeholt. Louis hatte nicht  Unrecht, so muss die Welt Paranoiden erscheinen: ein BIG BROTHER, der alles in der Hand hat und kein noch so kleines Ereignis dem Zufall überlässt…

Trotzdem widersprach ich: „Trueman hat im Film anfangs nie etwas durchschaut, es gab zwar Hinweise dann und wann, aber wirklich misstrauisch wurde er eigentlich erst sehr spät. Und paranoid ist er nicht geworden, nach und nach hat er die Zusammenhänge erkannt. Stell dir vor, Louis, du würdest auf einmal bemerken, dass sich dein Leben unter einer Glaskuppel abspielt, der Mond und die Sonne sind nicht echt und die Leute mit denen zu tun hast, sind Schauspieler!“ In Louis’ Gesicht begann es zu arbeiten, seine Mundwinkel zuckten und seine Augen leuchteten vergnügt. „Liebe Viv, mir würde das gar nicht passieren, mir würde nämlich nichts auffallen, weil ich kein misstrauischer Mensch bin. Aber..“ Er  legte den Arm auf seine Lehne und deutete mit dem Zeigefinger der anderen Hand auf mich: „Vivienne ist misstrauisch, ihr würde das sofort auffallen, auch wenn es gar nicht so wäre!“

Das saß. Bea und ihr Mann amüsierten sich königlich, die beiden hatten tatsächlich eine wunde Seite an mir getroffen, ich war und bin ungewöhnlich misstrauisch und manchmal höre ich das Gras wachsen, aber  – und das ist für mich wichtig – manchmal treffe ich auch ins Schwarze, fast blind. Trotzdem kann man nicht davon absehen, dass es bei mir zeitweise sehr lange dauert, bis ich „auftaue“, weil zu viel in meinem Leben passiert ist, als dass ich diese Geschehnisse so einfach beiseite schieben kann. Das braucht Zeit… Louis meinte das aber nicht böse, im Gegenteil, er schaffte es, meiner „Übervorsicht“ einen ironischen Ton zu verleihen. Also spann er den Gedanken weiter, er zwinkerte Bea zu und erklärte mir: „Weißt du, im Grunde sind wir ja auch nicht echt. Du bist in der Vivienne-Show, und deine Ex-Chefin, die Neumeier, führt das Zepter bzw. Regie. Wir sind nur bei dir, weil das Drehbuch es verlangt.“

Bea übernahm wie auf Kommando das Wort, legte die Hand auf meinen Unterarm und setzte fort: „Und weiß du, warum du die meisten Kleidungsstücke immer bei C & A kaufst? C & A sponsert und zahlt dafür! Aus dem Grund haben wir dich stets in dieses Geschäft gelotst, bis du von selber brav dort hingegangen bist!“ Louis setzte dem noch ein Schäuferl nach. „Aber das bleibt nicht so, Viv, denn es hat neue Verhandlungen gegeben, Don Gil hat das Rennen gemacht und wird ab dem neuen Jahr Geld investieren. Aus dem Grund ist im Drehbauch vorgeschrieben, dass du einen neuen Job bekommst und mehr verdienst. Dann ist C & A nicht mehr gut genug für dich!“ Ich musste den Einfallsreichtum der beiden ja bewundern, noch dazu so spontan, so kannte ich die beiden noch nicht so richtig, sonst war immer ich die, die über eine übergroße Fantasie verfügte. Aber ich konnte diese Gedanken, nicht lange weiterverfolgen, denn Bea und Louis waren nun in Fahrt.

„Weißt du überhaupt, warum du mit Albert beisammen bist?“ Bea ließ mir keine Zeit für eine Antwort. „Da hat es ein ewig langes Casting gegeben, darum hat man dich auch in dieses Frauenprojekt gesteckt, damit du dich nicht versehentlich wieder in jemanden verliebst, der den Leuten nicht in den Kram passt. Und das Voting der Zuseher fiel schließlich auf Albert. Der bekam eine zweite Chance, nachdem du es tatsächlich geschafft hast, ihn länger als ein Jahr links liegen zu lassen, obwohl er von Anfang an als dein neuer Freund im Drehbuch vorgesehen war. Dein Hermann war ja gar nicht geplant, aber nachdem die Leute wieder ein paar Bettszenen sehen wollten, hat man es dann akzeptiert.“ Mir schwirrte der Kopf. Doch Louis fuhr gleich rechts von mir fort. „Und weißt du warum er nicht lange geblieben ist? Er ist größenwahnsinnig geworden, hat sich für sehr wichtig gehalten und wollte schließlich zu viel Geld. Deshalb hat man ihn aus der Serie geschrieben.“

Ich musste lachen, obwohl ich es eigentlich nicht wollte. Mein Blick glitt an meinem Körper herunter, verharrte bei meinen Problemzonen und es schien mir schwer vorstellbar, dass sich Menschenmassen vor TV-Geräten anstellen würden, wie in der Trueman-Show, um mich unter der Dusche oder beim Sex zu beobachten. Und ich lachte immer lauter, es war zu komisch. Ein bisschen weit weg drang Louis an mein Ohr, der mir erläuterte, dass auch Ford sich als Sponsor eingebracht hätte. Ich würde auch meinen heiß begehrten roten Ford KA bekommen. „… bei einem Wettbewerb wirst du ihn gewinnen, wieder bei Life Radio, genau wie die Reise in die Türkei. Die Türkei war übrigens im Mühlviertel aufgebaut, auch unter einer Glaskuppel, und damit du keine Landausflüge machst, hat man die Kuppel jeden Tag auf 38 Grad geheizt, damit du nur baden gehst. Sonst hätte das Drehteam Schwierigkeiten bekommen.“

Bea setzte dem ganzen die Krone auf: „… und geflogen bist du gar nicht. Du hast ein Rauschmittel bekommen, dass dir den Hin- und den Rückflug nur vorgaukelte. In Wirklichkeit hast du geschlafen!“  Jetzt ist aber genug! dachte ich mir. Schluss mit der Vivienne-Show! Ich stand wortlos auf und ging nach draußen. Bea und Louis hinter mir ignorierte ich völlig. Mir war heiß geworden und mein Kopf tat ein wenig weh. Welch ein Glück dachte ich mir, dass ich ein völlig unbedeutender Mensch bin, dass ich nicht eine Fernsehserie lebe und dass sich niemand die Mühe und den Aufwand macht, mein Leben zum Gaudium und zur Unterhaltung einer Millionenschaft von Zusehern zu planen, weil ich viel zu unwichtig bin. Welch ein Glück, dass mein Leben noch immer nur mir gehört!

Vivienne

 

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