Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Juli 2004



Der Brandstifter

Samstagvormittag lag ich mehr als ich saß in meinem bequemen Ohrensessel, vor mir die Oberösterreichischen Nachrichten ausgebreitet, daneben eine Jumbotasse Kaffee und ein Butterbrot. Albert kaute an seiner Käsesemmel und schenkte sich die zweite Tasse unseres starken Muntermachers ein. So ein fauler Samstagvormittag ist etwas Herrliches! Ali urgierte lautstark nach dem Inserateteil der Zeitung, weil er es sich zur Angewohnheit gemacht hatte, dort nach einer passenden wie erschwinglichen Wohnung für uns zwei zu suchen. So eilig hatte ich eine Übersiedlung gar nicht, aber das war Albert egal. Erst vor einer Woche hatte er mich zum Wohnung anschauen in den Süden von Linz gelotst…

Während mir das durch den Kopf ging, fiel mir in den „Vermischten Nachrichten“ eine kleine Spalte auf. „Der wegen Brandstiftung verurteilte Heinz H. (21) aus … im Bezirk Perg wurde nach seiner Flucht aus der Strafanstalt Garsten wieder gefasst. Der Mann hatte sich nur wenige Stunden an seiner Freiheit freuen können und ließ sich widerstandslos festnehmen…“ Heinz H.! Natürlich, mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Heinz Haslinger war das, jener junge Bursch und Jungfeuerwehrmann, der vor ein paar Jahren ein paar Mühlviertler Gemeinden mit seinen Brandstiftungen in Atem gehalten hatte. Auch unsere Gemeinde war betroffen gewesen, wenn auch Gott sei Dank nicht mein Elternhaus.

Ich war schnell wach geworden, sehr schnell sogar. Ein alter Spruch fiel mir plötzlich wieder ein. „Eine Mutter – auch wenn sie schon ganz schwach und hilflos ist – hat noch immer die Kraft, ihres Kindes Glück zu schaffen.“ Frau Kerstin Haslinger, seine Mutter, eine bekannte und beliebte Gastwirtin in einer unserer Nachbargemeinden, hätte wohl alles Menschen Mögliche getan, um ihrem einzigen Kind wieder auf die Beine zu helfen, ihm zu seinem Glück zu verhelfen. Aber es sah nicht danach aus, als würde es ihr gelingen. Vielmehr ritt sich der junge Mann immer weiter in den Abgrund hinein, wie dieser vereitelte Fluchtversuch zeigte….

Als ich mich aus meinen Gedanken befreite, sah ich Albert direkt vor mir stehen, er blickte mich neugierig an und der Frage in seinem Gesicht konnte ich mich nicht entziehen. Also deutete ich auf die Zeitung. „Ich weiß nicht, ob ich dir je von dieser Brandstiftungsserie bei uns erzählt habe, vor ein paar Jahren. Der junge Mann, er war damals 16 und außerdem der Sohn einer bekannten Gastwirtin, konnte erst gefasst werden, als seine Gemeinde eingekesselt wurde, abgesperrt von der Umwelt. In seinem krankhaften Drang zu zündeln hat er schließlich sogar die Küche des Wirtshauses seiner Mutter angezündet. Aber dann gab’s kein Entkommen mehr, alle Ausreden hatten keinen Sinn.“ Ich versuchte angestrengt mich zu erinnern.

„So weit ich weiß, hatte er sogar ganz eindeutig Brandspuren an den Händen…“ Albert nahm mir die Zeitung weg. „Und wieso fällt dir das jetzt wieder ein?“ „Na, lies doch!“ antwortete ich. „Ausgebrochen ist er vor ein paar Tagen, allerdings recht glücklos. Sie haben ihn schnell wieder gefasst. Das wird wieder ein paar Monate zusätzlich zu seiner Strafe geben…“ „In eurer Nachbargemeinde?“ Albert wirkte plötzlich interessiert und machte es sich neben mir auf dem großen Ohrensessel bequem. „Kenne ich es schon? Wie heißt es?“ „Nein, ich glaube nicht, dass ich es dir schon gezeigt habe. Es liegt zwar im Zentrum, aber ich selber bin früher auch nur alle heiligen Zeiten dort gewesen.“ Mit gespielt sturem Gesicht versuchte ich, mein Revier zu behaupten und drängte Ali ein wenig zur Seite.

„Also das Wirtshaus heißt „Haslinger Stub’n…“, fuhr ich fort, nachdem Ali brav gerückt war. „Kerstin Haslinger führt das Lokal seit fast fünfzehn Jahren, aber meine Eltern wissen das sicher genauer – mir fehlt halt doch der Bezug zu unserem Bezirk.“ Ich nahm einen Schluck von meiner Jumbotasse und legte beim Nachdenken meine Stirn in dicke Falten. Ali amüsierte sich sehr, als er mich dabei beobachtete. „Heinz ist ihr einziges Kind, das macht die Sache noch tragischer, weiß du, mein Schatz? Sie hatte ihn unehelich, mit gerade 18 oder 19 Jahren, bekommen und hat ihn dann zumeist auch alleingroß gezogen. Frau Haslinger hatte kein Glück mit den Männern, oder besser gesagt selten. Der Vater des Buben hat sich auch sehr schnell aus dem Staub gemacht.“

Albert grinste, und ein leichter Zug von Ironie lag auf seinem Gesicht. „Es fasziniert mich immer wieder, wie du all die Fakten behältst…“ Als ich ein wenig verärgert die Augenbrauen hochzog, legte er schnell begütigend den Arm um mich. „…nein, wirklich, Liebes, ich meine das, wie ich es sage. Wer merkt sich denn noch was heutzutage – die Menschen sind so oberflächlich geworden…“ Blabla..! dachte ich mir, während ich demonstrativ ein paar Zentimeter wegrückte und mich wieder auf die Geschichte konzentrierte. „Heinz, den ich im Übrigen nur vom Sehen kannte, wuchs also vaterlos auf, war ziemlich introvertiert, aber sehr engagiert bei der Feuerwehr. Vor allem, als seine Mutter dann einen neuen Mann ins Haus brachte, der wirklich zu ihr zu passen schien. Der Mann arbeitete im Gasthaus mit, investierte Zeit und Geld und kümmerte sich dem Vernehmen nach wirklich um Frau Haslinger.“

„Wo lag dann das Problem?“ Albert rückte wieder zu mir heran und schien ganz Ohr zu sein. „Na, woran wohl? Was meinst du?“ stellte ich meinem Freund eine rhetorische Frage. „Heinz konnte mit seinem neuen Steifvater nicht, obwohl es kaum offene Differenzen gab, er wurde anscheinend noch introvertierter und merkwürdiger und irgendwann hat er sich ein Ventil gesucht… Ich hab es ja nicht so mitbekommen, aber meine Mutter rief dann ständig an, als sicher jeder Woche einmal die Sirenen der Feuerwehr sie und meinen Vater aus dem Bett holten…. Dann wurde der Ausnahmezustand verhängt, und schließlich ließ sich seine Täterschaft nicht mehr verbergen. Er überführte sich selbst…“

Ich musste mich an ein Fernsehinterview mit Frau Haslinger erinnern, die gut aussehende Frau, eine hervorragende Köchin im Übrigen, redete sich dabei alles Leid von der Seele. Mehrfach standen Tränen in ihren Augen… Albert schwieg, sah mich nur an und wartete geduldig, bis ich mit meiner Erzählung fort fuhr. „Der Bursch wurde verurteilt, zu einer mehrjährigen Haftstrafe, und zu einer Therapie, aber irgendwie läuft sein Leben weiter nicht rund. Weißt, bei manchen Menschen ist es so schlimm, da steht wohl schon in der Wiege, dass in ihrem Leben alles nur schief gehen wird… Dass sie gar keine wirkliche Chance haben, ihr Leben in den Griff zu bekommen und auch einmal glücklich zu werden.“

„Was ist aus dem neuen Freund der Wirtin geworden?“ Albert hatte tatsächlich aufgepasst. Ich lächelte versonnen. „Ob du es glaubst oder nicht, er ist bei ihr geblieben, sie führen das Wirtshaus nun gemeinsam. Zumindest dieses kleine Glück ist ihr geblieben, und wer gönnt ihr das nicht, außer ein paar ausgesprochenen Schlechtredern? Die Leute bei uns sind im Großen und Ganzen zu ihr gestanden, aber das war trotz allem ein schwacher Trost… aber jetzt lassen wir diese traurige Geschichte!“ Ich sprang von dem großen Sessel und goss meinen kalten Kaffee weg. „Was machen wir heute denn als erstes?“

 Vivienne

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