Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  März 2004



Der Chaot

Irgendwann kurz vor dem Ende des Faschings war ich an einem Samstagabend mit Albert in der Linzer Innenstadt unterwegs. Der Film, den wir uns ziemlich spontan anschauen hatten wollen, war ausverkauft, und uns fehlte die Lust, in die Plus-City ins Mega Plexx zu fahren, um dort noch einmal unser Glück zu versuchen. Der Grieche am Hauptplatz kam uns gerade Recht und während wir schmausten, erzählte ich Ali von meinem Blind Date mit dem Typen – wie hieß er noch? Dieter glaube ich – das so ein Reinfall geworden war. Gerade hier im selben Restaurant, vor ein paar Jahren.

Albert lachte. „Da hab ich ja Glück gehabt, das daraus nichts geworden ist. Witzig, dass dieser Dieter auch eine kleine Tochter hatte – so wie ich.“ Er nahm einen Schluck aus seinem Weinglas und sah auf die Uhr. „Stellen wir noch was an? Es ist gerade halb zehn!“ Ich wischte mit der Serviette über den Mund und zündete mir eine Zigarette an. Die erste dieses Abends. Ein Genuss… „Keine Ahnung, Schatz. Was schlägst du vor?“ In diesem Moment ging oder besser gesagt marschierte ein hoch gewachsener Mann mit dunklem, kurzen Haar an unserem Tisch vorbei. Er warf einen oberflächlichen Blick auf uns während er seine Krawatte richtete.

Mir gab’s einen Stich. Den kenne ich doch, überlegte ich, während ich in meinen Erinnerungen kramte. Herrgott, gibt’s das. Mir fiel der Name nicht ein. Das war doch, richtig, der Mann von Marlies, meiner Schulkollegin. Wie hieß der noch! Vickerl! Ludwig Holzmann! Amüsiert hatte mich Albert in der Zwischenzeit beobachtet. Er kannte mich zu gut um nicht zu wissen, was sich da in mir abspielte. In der Zwischenzeit belohnte ich mich für meine Meisterleistung mit einem tiefen Zug von meiner Zigarette. Zehn Jahre mussten Marlies und Vickerl schon wieder geschieden sein. Dass mir da sein Name noch eingefallen war!

„… Marlies ist längst wieder verheiratet. Ob sie es besser getroffen hat, wage ich zu bezweifeln“, klärte ich Albert auf. „Aber mit zwei kleinen Kindern hat man nicht viel Wahl. Dazu der Sohn mit Vickerl, Alex, der muss jetzt auch schon ein Teenager sein. Na, jetzt weißt du alles.“ „Weiß ich nicht“, widersprach Albert, der sich seinerseits eine Zigarette angezündet hatte. „Warum hattest du plötzlich so ein Grinsen in deinem Gesicht, ich würde sagen höchst amüsiert?“ Mein Freund lehnte sich über den Tisch zu mir und flüsterte geheimnisvoll. „War da etwa mal etwas? So ein kleines erotisches Abenteuer? Na?“

Ich musste lauthals lachen. Fast erstickte ich an diesem Lachen, weil ich gerade an meiner Zigarette gezogen hatte. Wie sollte das Albert auch wissen! Von meinen ständigen kleinen Sticheleien zwischen Vickerl und mir, weil wir uns absolut nicht riechen konnten. „Ob du es mir glaubst oder nicht, Ali: eine zeitlang hab ich Marlies nur besucht, wenn ich wusste, das Vickerl nicht daheim war“, erklärte ich meinem Freund. „Antipathie auf den ersten Blick. Oder…“ Ich dachte angestrengt nach. „…tja, so wie Hund und Katz halt. Oder wie Tom und Jerry. Tweetie und Silvester.“ Albert schmunzelte. „Genügt schon! Aber warum dann dieses amüsierte Grinsen bei dir? Komm, mein Herz, erklär dich! Das kommt doch nicht von nichts.“

Unwillkürlich  musste ich  bei der Erinnerung lächeln. Ja, damals war ich wirklich noch jung gewesen. Und der Abend war in der Tat bemerkenswert gewesen. Ich sah Albert an. „Na, wenn du meinst, dann erzähl ich dir, was war…“ In Wirklichkeit brannte ich darauf, diese Erinnerung mit Albert zu teilen. Wir bestellten uns beide noch ein Glas Rotwein, und während ich am Glas nippte, tauchte ich ein in jenen Spätsommertag vor etwa dreizehn Jahren. Marlies und Ludwig waren stolze Eltern ihres Sohnes und Vickerl hatte nach langen Überlegungen beschlossen, seinen Job als Fernfahrer aufzugeben um mit seinem besten Freund Simon eine original-italienische Eisdiele aufzumachen. „,,, sein Italienurlaub ein paar Wochen zuvor, die nachgeholte Hochzeitsreise mit Marlies, hatte ihn dazu inspiriert, Ali.“

Albert zog die Brauen hoch. „Eine Eisdiele? Das ist aber ein schlechter Scherz, oder? Und was wollte er im Winter machen?“ Ich räusperte. „Ja, Ali, das ist eben Vickerl. So war er immer schon. Jede Menge Ideen, jede Menge Einfälle. Oft gar nicht schlecht, aber zu wenig durchdacht teilweise.“ „Und was hattest du damit zu tun? Solltest du Serviererin werden?“ Ali zwinkerte mir zu. „Beinahe!“ ging ich auf den Scherz  Alis ein. „Nein es ging um die Eiskarte. Du weißt ja, dass ich einmal ziemlich gut italienisch konnte. Und Vickerl hatte mich gebeten, die Eiskarte zu gestalten, mit original italienischen Vokabeln und Ausdrücken. Das hatte ihn in Italien so beeindruckt…“

„Aha.“ Albert verzog den Mund fast zu einem Fragezeichen. „Und was war daran so bemerkenswert?“ „Daran nichts. Das konnte ich Vickerl relativ unkompliziert erledigen. Aber Vickerl wollte sich revanchieren in dem er mich zum Essen einlud. Wir planten groß auszugehen und uns danach noch in die Altstadt zu begeben um den Abend ausklingen zu lassen.“ Meine Erinnerung war nun wieder glasklar. Ich zündete mir noch eine Zigarette an und nebelte Albert ein. „Alles war genau geplant. Zu viert, also Vickerl, Marlies, Simon und ich. Auf den Sohn von den beiden, Alex, der damals ein gutes Jahr alt gewesen sein muss, passte die Fünfzehnjährige Nachbarstochter auf.“

Albert sagte nichts. Er musterte nur mein Gesicht, das vor Vergnügen schon strahlte. Was ahnte Albert schon, was kommen würde! „Was soll ich dir lange erzählen, Ali? Der Abend endete feucht fröhlich in einer Altstadtbar, frag mich nicht, wo, dann riefen wir uns ein Taxi. Ganz vernünftig ließ Vickerl seinen Opel am Parkplatz. Und dann standen wir vor der Haustür der beiden. Und das Mädel, das auf Alex aufgepasst hatte, hatte vergessen, den Schlüssel wie vereinbart unter die Fußmatte zu legen.“ Ich machte eine Pause um die Spannung zu erhöhen, für den Übergag, der jetzt noch kam. „Und stell dir vor, Vickerl hatte den Reserveschlüssel in seinem Auto vergessen, das irgendwo in der Innenstadt parkte.“

Obwohl ich mich so zusammennehmen wollte, konnte ich nicht verhindern, dass ich leise zu prusten begann. Nein, es war zu komisch, so gar noch nach so vielen Jahren. Albert verzog keine Miene, aber der Schalk blitzte ihm aus den Augen. „Und?“ Es war schwierig weiter zu sprechen, aber unter dem „gestrengen“ Blick Alis konnte ich dann doch weiterreden. „Naja, Vickerl hat alles versucht, dass wir reinkommen. Wir läuteten wie die Bösen, wir klopften ans Fenster. Das Mädchen hat uns nicht gehört. Sie war nämlich bei laufendem TV-Gerät eingeschlafen. Und der Bub schlief. Nach etwa einer dreiviertel Stunde schaffte es Vickerl schließlich, das gekippte Fenster im Flur zu öffnen. Er kletterte hinein, und damit war es geschafft. Um vier Uhr früh.“

Albert lachte haltlos. Zwei, drei Minuten. Dann fing er sich wieder. „Ich nehme an, du bist Jerry“, war das erste, was er sagte. Ich begriff nicht. „Was meinst du?“ „Na, wie du dein Verhältnis zu Vickerl beschrieben hast: Tom und Jerry! Vickerl ist Tom, du bis Jerry. Verstehst du, was ich meine?“ Ich .gab ihm Recht. „Wenn du meinst. So hab ich es nie gesehen.“ Ich legte meine Hand auf Alberts Arm. „Aber das ist auch so egal. Hast du vorhin bemerkt? Vickerl hat mich gar nicht wieder erkannt… spielt alles keine Rolle! Aber weißt du was? Ich hätte jetzt Lust auf eine Altstadt-Tour!“

Vivienne

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