von Vivienne – August 2004
Der direkte Weg ist immer der Beste…
Die menschliche Sprache ist voller Missverständnisse. Zwei Menschen reden scheinbar von ein und derselben Sache und meinen doch etwas völlig anderes. Missverständnisse verärgern die Leute gegenseitig, und während so mancher noch schmollt, wird völlig außer Acht gelassen, dass man nur etwas falsch interpretiert hat oder falsch interpretiert wurde. Schön, wenn sich solche Missverständnisse oft klären, aber es kommt doch immer wieder vor, dass eine solche Sache für immer zwischen zwei Menschen hängen bleibt. Und dabei ihr Leben entscheidend beeinflusst
Vor wenigen Wochen heiratete meine liebste Busenfreundin Vicky ihren Bert und selbstverständlich durften Albert und ich dabei nicht fehlen. Die relativ große Hochzeit Bert konnte, was ich lange nicht vermutet hätte, auf eine große Verwandtschaft zählen und ließ mich unter all den Gesichtern rasch den Überblick verlieren. Ali verfolgte den Trubel mit scheinbarer Gleichmut und ließ sich nicht irritieren. Wir saßen im Standesamt ganz hinten und ließen uns von der feierlichen Zeremonie berieseln, die ein Schulfreund von Bert zelebrierte. Ein Schulfreund, den das Schicksal auf das Standesamt von Berts Heimatstadt Enns verschlagen hatte
Ehrlich gesagt freute ich mich schon auf das Essen im nahe gelegenen Gasthaus. Meine (neuen) Schuhe drückten, ich war bei dem heißen Wetter sehr durstig geworden und sicherte Ali und mir einen wunderschönen Fensterplatz mit Blick auf die Enns. Als ich mein Mineralwasser schlürfte, war die Welt für mich wieder in Ordnung, während Ali um einen Verlängerten bat und sich schließlich eine Zigarette anzündete die erste des Tages Gerade als ich noch überlegte, ob ich lieber ein Kotelett oder doch einen Schweinsbraten wählen sollte, nahm ein Mann etwa Mitte dreißig neben mir Platz. Ich warf Ali einen Seitenblick zu. Mein Freund zog die Augenbrauen hoch, er kannte den Mann, der nach einem kurzen Gruß seine Brille zurechtrückte und die Getränkekarte studierte, genau so wenig. Ich zog meine Stirn in Falten, meine Neugier war geweckt und es wäre doch gelacht, ging mir durch den Kopf, ob sich nicht eruieren ließ, wer der gute Mann war
Sind Sie auch aus Enns? begann ich ein belangloses Gespräch. Der Unbekannte reagierte zuerst gar nicht. Aus dem einfachen Grund, weil er gar nicht auf den Gedanken gekommen war, dass ich ihn gemeint haben könnte. Erst beim zweiten Anlauf begriff er, räusperte sich verlegen und legte die Karte beiseite. Nein. Wieder rückte er seine Brille zurecht. Ich bin aus Vöcklabruck! Dann sind Sie sicher ein Verwandter von Bert! ergriff ich erneut die Initiative. Ali neben mir schüttelte schon den Kopf und zeigte mir halb verborgen einen Vogel. Ich ließ mich nicht irritieren. Nein. Kurz und einsilbig erneut die Antwort. Ich habe Bert erst neulich das erste Mal kennen gelernt. Fast prallte ich zurück. Sind Sie vielleicht der Fotograph? ließ ich trotzdem nicht locker. Nein. Beinahe wäre ich nun schon explodiert bei diesem heiteren Personenraten. Was machte dieser Mann bei der Trauung von Vicky und Bert?
Wissen Sie , erklärte der unscheinbare Brillenträger nun von sich aus, …ich bin ein alter Freund von Vicky. Seine Stimme klang fast als wollte er sich entschuldigen. Albert zerkugelte sich neben mir fast während die Servierkraft bei uns auftauchte und ich mich geistesabwesend für das Kotelett entschied. Ein alter Freund von Vicky? Nicht nur, dass ich ihn nicht im Geringsten kannte, und ich hatte doch immer geglaubt, im Lauf der Zeit alle Männer kennen gelernt zu haben, die eine Rolle in Vickys Leben gespielt hatten. Was machte so eine Verflossener bei Vickys Hochzeit? Hatte er sich womöglich eingeschlichen, um irgendetwas anzustellen? Du bist unverbesserlich! stellte Albert grinsend fest, als unser Sitznachbar kurz auf die Toilette musste. ist es nicht egal, wer das ist? Oder , Ali feixte mich breit an. gefällt er dir etwa? Ich stieß meinen Freund an. Kindskopf! Aber da erschien auch schon der Mann aus Vickys Vergangenheit wieder und wir verhielten uns still.
In diesem Moment tauchten Vicky und Bert bei uns auf. Vicky trug ein helles Kostüm und Bert eine dunkle Hose und ein dunkles Sakko. Vicky küsste mich und strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Dann fiel ihr Blick aber auf den Brillenträger neben uns. Stefan, schön, dass du kommen konntest! Man umarmte sich. Vivi und ihren Freund kennst du ja schon. Fühlst du dich wohl? Ali und ich blickten uns an. Da war sicher Erklärungsnotstand, aber das schien Vicky selber zu begreifen. Etwa zwei Stunden später, unser Sitznachbar hatte sich schon verabschiedet und war gegangen, setzte sich Vicky wie zufällig neben mich und ich musste gar nicht erst lange fragen, welche Rolle dieser Mann einmal in ihrem Leben gespielt hatte.
Stefan Mittmannsgruber. Ich bin mit ihm zur Schule gegangen. Vor zwanzig Jahren sind wir nach der Hauptschule einfach verschiedene Wege gegangen. Er machte eine Lehre als Automechaniker, ich ging in die Handelsschule weiter. Vicky machte eine Pause. ich hab ihn immer gern gehabt, er war so ein netter unauffälliger Bursch und ehrlich gesagt, ich war einmal sehr verliebt in ihn. Aber ich hab mich nie getraut mich ihm gegenüber zu öffnen. Und als er wegen einer anderen Firma wegzog, haben wir uns aus den Augen verloren Vickys Augen blickten leicht träumerisch in die Runde, in der lebhaft geredet wurde. na ja, das wars. Und weißt du was? Neulich waren wir in St. Pölten, wegen einer beruflichen Sache vom Bertl, und während ich auf ihn warte, kommt er, Stefan, auf mich zu und fragt mich, ob ich nicht die Viktoria bin. So ein Zugfall. Wir haben uns dann in ein Kaffeehaus gesetzt und geredet, ich hätte beinahe die Zeit übersehen. Und weißt du, was er mir bei der Gelegenheit gestanden hat? Er war auch immer in mich verliebt gewesen, die ganze Zeit. Und hat sich einfach nicht getraut darüber zu reden
Ich schwieg. Kurios, in der Tat. So was passierte tatsächlich. Vicky nahm den Faden wieder auf. Wer weiß, wie viel anders mein Leben verlaufen wäre, wenn einer von uns damals den Mut gehabt hätte, über seinen Schatten zu springen Vickys Stirn glättete sich wieder. Aber ich bin nicht unzufrieden, wie es nun mal gekommen ist, weißt du. Bertl ist der Mann meines Lebens, und Stefan hat mit seiner Freundin jetzt auch einen dreijährigen Sohn . Meine Einladung an ihn war einfach spontan, vielleicht ist das ja der Beginn einer wunderbaren Freundschaft Ich ließ mir ihre Worte durch den Kopf gehen während Albert, der wortlos zugehört hatte, mich interessiert musterte. Was denkst du, mein Schatz? Ich sah ihn zärtlich an. Was ich mir gedacht habe? Nun, ich denke mir, dass der direkte Weg oft einfach auch der beste ist, weißt du. Einfach um Missverständnissen vorzubeugen… Zu oft verrennt man sich nämlich in Dinge, die man nur annimmt aber nicht sicher weiß. Ein offenes Wort aber kann einem den Weg zum Glück ebnen Meine Philosophin! schmunzelte Albert und nahm ich in seine Arme. Ich hab nie etwas anders angenommen.
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