von Vivienne – September 2004
Der erste Schultag
Tausende Taferlklassler lernen dieser Tage wieder den so genannten Ernst des Lebens kennen. Auch meine kleine Nichte Lisa befindet sich unter ihnen. Ausgerüstet mit den berühmten Schultüten und – vorwiegend Markenschultaschen werden diese Kinder in den kommenden Jahren für die Schule lernen aber auch für das Leben. Aber letzteres merkt man immer erst später, dann, wenn man über den Dingen steht. Obwohl bei mir selber dieser erste Schultag mittlerweile über dreißig Jahre zurückliegt im September 1972 kann ich mich noch recht gut daran erinnern. In der Nacht zuvor schlief ich schlecht, ich war nervös und außerdem ging ein heftiges Gewitter nieder. Ich fürchtete mich sehr, das weiß ich noch genau und damals war noch nichts davon zu erkennen, welche Faszination Donner und Blitz über zwanzig Jahre später auf mich auszuüben begannen.
Ich war in der Früh also unausgeschlafen. Für den Schulbeginn hatte ich ein hübsches lila Kleid bekommen, mit dunkleren Ärmeln und aufgenähten Taschen in derselben Farbe. Gekauft hatten es meine Eltern im einzigen Geschäft in der Siedlung, das mittlerweile mangels Rentabilität geschlossen worden ist. An meine erste Schultasche kann ich mich nur dunkel erinnern, ich weiß leider nicht mehr, welche Farbe sie hatte. Besser kann ich mich an meine Buntstifte in der Federschachtel erinnern, ich habe tatsächlich einmal gern gemalt. Mein Vater war es, der mich an jenem Tag zur Schule brachte und über lange Zeit hatte ich überhaupt eine sehr innige Bindung zu meinen Vater.
Dieser ließ mich einen Teil des Weges schon allein gehen, weil ich die Strecke schon ein paar Tage zuvor kennen gelernt hatte. Aber er war immer in der Nähe um ein Auge auf mich zu haben. Doch alles ging glatt, auch an der Kreuzung passierte nichts. Der Tag war eher dunkel und trüb, was nach dem nächtlichen Gewitter nicht verwunderlich war. Meine Erinnerung setzt leider ziemlich aus, wenn es darum geht, wie ich das erste Mal in die Schule ging oder später ins Klassenzimmer. Hauptschule und Volksschule waren damals noch in einem Gebäude und es herrschte ein riesiges Chaos. Aber dass eine Kollegin von mir, Karin, das selbe Kleid trug wie ich, dass blieb bei mir haften. Schultüten hatten übrigens nur ein paar der Kinder, die waren damals erst in Begriff in Mode zu kommen und gehörten noch nicht zur Pflichtausstattung jedes Erstklasslers.
Natürlich gab es auch ein paar Angeber in der Klasse, ein gewisser Werner tat sich da besonders hervor und schon bald war offensichtlich, dass er unsere Kollegin Gerda anhimmelte. Natürlich hatte ich damals auch bald einen Schwarm, über den ich aber nicht redete. Er hieß Hannes, war fast ein dreiviertel Jahr jünger als ich (unerhört, was?) und hatte wunderschöne tiefdunkle braune Augen und schwarzes Haar. Der Neigung zu diesem Typ der holden Männlichkeit bin ich irgendwie fast immer treu geblieben in der Vergangenheit, und es ist noch gar nicht so lange her, dass mir das wieder bewusst geworden ist. Ich denke dieser Hannes hatte nie die geringste Ahnung, was ich in meiner ersten kindlichen Liebe für ihn empfand.
In der Klasse machte ich mit meinen langen roten Zöpfen nicht wenig Eindruck. Es gab durchaus Leute, die mich deswegen nicht mochten, aber ich war stolz drauf, auf mein Statussymbol, und ich verschaffte mir auch Respekt in der Klasse niemand wagte es, mich offen deswegen zu sekkieren, wie es Kinder nicht ungern tun. Aber zurück zum ersten Schultag, zu dem uns nicht unsere richtige Klassenlehrerin begrüßte. Diese hatte nämlich kurz zuvor ein Kind zur Welt gebracht, einen Buben, und es dauerte ein paar Wochen, bis sie den Unterricht bei uns aufnahm. Sie war mit einem Schweden verheiratet und ich weiß noch genau, welchen Spruch sie mir im ersten Schuljahr ins Stammbuch schrieb: Ein Mensch, der dich nur lobt, nie kritisiert, das ist ein Mensch, der dich negiert Es dauerte viele Jahre, bis ich diese Weisheit begriff.
Unsere Lehrerin war grundsätzlich eine nette Frau, blond, mit dicker Brille. Ich erinnere mich, dass sie mich förderte, weil ich unter den Kollegen hervorstach, auch wenn ich mich schwer dran gewöhnen konnte, immer sorgfältig mit schönster Schrift zu schreiben. Bei einem Mädchen wird das nicht nachgesehen, bei einem Burschen schon eher. Der Schulalltag hatte mich rasch, ich ging lange Zeit gerne zur Schule zumindest in der Volksschule ganz sicher. Es war im Grunde eine schöne Zeit. Man ist dem Leben noch aufgeschlossen gegenüber und spürt die Gemeinheiten und Grausamkeiten der Mitmenschen noch nicht, oder nicht so intensiv. Und man ist noch formbar in jener Zeit wurden die Weichen gelegt für das, was ich heute tue: gern und mit Leidenschaft
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