von Vivienne – Juni 2004
Der untrügliche Blick
In der Arbeit war es ausnahmsweise eher ruhig. Zwickeltag. Niemand zu erreichen, überall nur Anrufbeantworter oder Mailbox: hinterlassen Sie Ihre Nachricht nach dem Piepton! Zu viert hatten wir die Strapazen dieses Tages auf uns genommen, und ich fragte mich ehrlich, warum ich nicht doch mit einer Kollegin nach Passau gefahren war, unsere Chefin hätte sicher nichts dagegen gehabt. Aber jetzt saß ich nun mal in der Arbeit und es war nicht mehr zu ändern. Etwas genervt nahm ich das Headset ab, um mir einen Kaffee zu holen. Isolde hatte eben wieder eine Kanne zugestellt.
Der Kaffee war stark, und da die Chefin für eine halbe Stunde in eine Besprechung gegangen war, fing ich ein Tratscherl mit Isolde an. Sollte noch jemand sagen, dass ich in der Zeit jemanden am Telefon erreichen würde. Isolde dachte ähnlich wie ich, sie wäre auch lieber bei ihrem Mann daheim gewesen, wie sie zugab. Aber wir gehen ja heute Abend ganz groß aus, ins Landestheater. Unser Gespräch drehte sich bald wieder unvermeidlich um die oft so schwer durchschaubare Männerwelt. Wenn ich im Grunde doch keinerlei Grund hatte, mich über Ali zu beklagen oder gar an seiner Liebe zu mir zu zweifeln, ließ sich trotzdem so manches Missverständnis nicht vermeiden, weil er bei Unklarheiten einfach nicht gerade heraus fragte sondern schwieg.
Im Grunde völlig harmlos, rekapitulieret ich Isolde gegenüber eine kleine Episode zwischen mir und meinem Freund. wenn er einfach gefragt hätte! So hatte er kurz den Eindruck, ich würde diesen Bekannten von mir ständig sehen. Dabei sind uns Klaus und ich neulich rein zufällig über den Weg gelaufen, wie es halt oft so ist. Männer sind sehr empfindsam, nicht weniger als wir Frauen, aber sie haben halt bei der Erziehung den Auftrag bekommen, das nicht zu zeigen. Nicht zeigen, wie verletzbar und unsicher sie oft im Grunde ihres Wesens sind. Isolde schmunzelte. Du gehst da meistens einen anderen Weg, du redest manchmal alles über den Haufen, es muss nicht alles ausgeredet werden. Ja ich weiß, wehrte sie meinen Einwand ab, du bist schon betrogen worden, das Misstrauen sitzt, du denkst: lieber zehnmal öfter fragen als einmal zu wenig. Aber das kann auch ins Auge gehen.
Ich schwieg etwas betroffen, so direkt hatte mir noch kein Mensch gesagt, wie über-resolut ich oft beim Gegenüber ankam. Der direkte Weg ist nicht immer der beste, ja, aber wann fragen und wann nicht? Isolde zuckte die Achseln. Gehst du schnell mit mir auf eine Zigarette? Dann erzähl ich dir etwas, das ich vor einiger Zeit erlebt habe Ich kam ihrer Aufforderung gerne nach, im Raucherstübchen war das Fenster offen und die Luft war angenehme kühl, nicht so stickig wie im Büro. Ich muss jetzt ein bissl weiter ausholen Isolde zündet mir meine Zigarette an und legte das Feuerzeug neben den Aschenbecher.
also, weißt du, ich kannte einmal in der Berufsschule ich habe ja Friseurin gelernt einen jungen Burschen. Ich könnte nicht einmal behaupten, dass ich ihm weiß Gott wie verbunden war. Schicksalsgenossen halt, wir schafften beide den Lehrabschluss und verloren uns wieder aus den Augen. Einige Jahre später fing ich dann in einem Geschäft in Leonding zu arbeiten an, du weißt ja, Friseurinnen gibt es wie Sand am Meer. Und als ich einmal an einem der Einkaufssamstage damals war ja noch nicht jeder Samstag verkaufsoffen ein paar Besorgungen machte, stieß ich in einer Trafik mit einem jungen Mann zusammen. Und ob du es glaubst oder nicht, dieser junge Mann war mein Sitzkollege in der Berufsschule.
Wenn ich ehrlich war, berührte mich diese Geschichte gar nicht so sehr. Aber ich mochte Isolde, weil sie so offen war, offen wie selten ein Mensch, und sich immer wieder die Zeit genommen hatte, mir in Phasen von Trübsinn und Unsicherheit gut zuzureden also zündete ich mir eine weitere Zigarette an und ließ mich berieseln wie gesagt, damals, in der Berufsschule hatte der Bursch nicht so auf mich gewirkt, und ich wohl auch nicht auf ihn, aber an diesem Samstag kurz nach Mittag, hatte es gefunkt zwischen uns. Allerdings war ich mir lange nicht sicher, ob ich mir da nicht zu viel erwarten würde. Anscheinend waren wir beide gerade Singles geworden, also ohnedies nicht so erpicht darauf, gleich wieder eine neuen Beziehung an Land zu ziehen.
Isolde lächelte, sie war ganz offensichtlich wieder ganz in der Erinnerung gefangen. Na ja, und so haben wir uns halt öfter gesehen. Mal da in einem Lokal Kaffee getrunken, mal dort miteinander fort gegangen. Und viel telefoniert. Wir hatten immer jede Menge Spaß zusammen, aber ohne irgendeine entscheidende Annäherung. Wenn ich heute daran zurückdenke, waren wir wohl beide übervorsichtig, weil keiner dem anderen ganz abnahm, dass er wirklich allein war. Ängstlich – fast wie Kinder. Einfach aus der Überlegung heraus, plötzlich vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden Du, liebe Vivi, hättest wahrscheinlich wieder gerade heraus gefragt, was Sache ist, aber ich bin auch in diesem Fall überzeugt, der Schuss hätte nach hinten losgehen können.
Und schließlich Isolde steckte ihre Zigaretten wieder ein. Während sie fort fuhr, sah sie mich gar nicht an. und schließlich fragte er mich wir kamen sicher länger als ein halbes Jahr regelmäßig zusammen ob ich nicht am Wochenende einen Ausflug mit ihm machen würde. Irgendwohin ins Mühlviertel. Ich hab natürlich sofort ja gesagt, schließlich wollte ich es schön langsam auch wissen, und wir machten uns aus, dass ich Freitag nach der Arbeit auf den Hauptplatz fahren sollte, mit der Straßenbahn, er würde mich dort abholen. Ehrlich gesagt, ich war ein bissl nervös, als ich mich auf den Weg machte, und ich fragte mich auch, ob ich Klarheit über unser Verhältnis gewinnen würde.
Ich riskierte einen Blick ins Büro, die Chefin ließ sich noch Zeit, und keines der Telefone läutete. Die Bim war ziemlich leer, und als ich mit der Linie 1 am Hauptplatz ankam, sah ich ihn auch gleich. Allerdings hatte ich auch das Gefühl, er stand nicht alleine dort. Ich glaubte neben ihm eine kleinere brünette Frau zu erkennen Ich weiß noch genau, wie ich zu zittern begann. Wollte er mir etwa seine Freundin auch gleich vorstellen? Als ich ausstieg, kam er sofort auf mich zu, küsste mich und ich war ein wenig verdattert. Die brünette Frau, die im Übrigen auch gar nicht mehr so jung auf mich wirkte, stand noch immer dort und sah in meine Richtung. Aber ich hatte keine Zeit, zu überlegen, er ging mit mir zu seinem Auto, wir stiegen ein und verbrachten ein wunderschönes Wochenende miteinander.
Mir war nicht ganz klar, worauf Isolde da hinauswollte. Etwas langatmig schien mir die Geschichte schön langsam schon, also zündete ich mir noch einmal eine Zigarette an. An dem Wochenende ist es auch passiert, wir kamen endlich zusammen, so herzlich wie sein Empfang war, so ging es weiter, und ebenso wie ich, wollte er Klarheit darüber, ob ich mir mehr von ihm erwartete und erhoffte als nur Freundschaft. Und das wollte ich, genau wie er, die ganze Unsicherheit war endlich ausgestanden, und etwa einen Monat später war ich auf ein Familienfest eingeladen, wo er mich als seine Freundin vorstellen wollte.
Blablabla dachte ich und wünschte mir schon, wir würden die Chefin kommen hören, aber die Besprechung dauerte noch und nicht einmal das Telefon läutete, um mich aus dieser misslichen Situation zu befreien. Isolde schien von meinem Desinteresse wenig zu merken, ja, ich war mir nicht einmal sicher, ob sie überhaupt merkte, dass ich noch neben ihr stand. Ich wurde seinen Eltern vorgestellt, seinen beiden Schwestern und dem Onkel. Dabei wurde ich das merkwürdige Gefühl, ich würde seine Mutter von irgendwo her kennen, nicht los. Sie war besonders herzlich zu mir, und ich zermarterte mir den Kopf, ob sie vielleicht einmal in dem Geschäft gewesen war, in dem ich arbeitete. Aber eine Handbewegung die sie machte, öffnete mir die Augen: das war die Frau, die scheinbar neben meinem Freund auf dem Linzer Hauptplatz gestanden hatte! Kein Zufall also
Das erste Mal bei dieser Geschichte war ich nicht nur interessiert sondern höchst aufmerksam. Na, so eine Gemeinheit! Ich war Fleisch gewordenen Empörung! Der hat dich von Mama taxieren lassen, ob du gut genug bist! Ich halts nicht aus. Isolde hob die Augenbrauen und sah mich etwas erstaunt und Kopf schüttelnd an. Komm herunter! Wie ich das sehe, hättest du wieder alles verdorben. Weit gefehlt, liebe Vivienne, alles ganz anders. Kurt wusste schon lange, dass er in mich verliebt ist und als er dieses Wochenende geplant hatte, bei dem wir dann auch wirklich ein Paar geworden sind, wollte seine Mutter gerne einmal einen Blick auf die junge Frau werfen, die ihm so nahe steht. Und weil er nicht wusste, ob es mir Recht sein würde er hatte ja solche Angst, ich würde mir ohnehin nicht so viel aus ihm machen postierte sie sich möglichst unauffällig am Hauptplatz um mich einmal zu sehen
Kurt? Ich unterbrach etwas überrascht. Heißt so nicht dein Mann? Isolde lächelte und es war das Lächeln einer glücklichen Frau. Weißt du, natürlich war ich überrascht, als ich das bemerkt hatte, aber so eine schlechte Fantasie wie du habe ich dann doch nicht. Ich habe ihn nie von mir aus darauf angeredet. Und als wir schon eine Weile verheiratet waren, hat er mir es einmal gestanden, mein Kurt. So harmlos kann alles sein, findest du nicht? Aber jetzt komm, die Chefin wird jetzt wirklich bald wieder da sein. Gehen wir ins Büro
Das Glück deines Lebens hängt von der Beschaffenheit deiner Gedanken ab.
Marc Aurel
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