Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Juni 2004



Fußballfieber

Albert ist ohne Zweifel der beste Freund und Lebensgefährte, den man sich vorstellen kann – für mich jedenfalls. Liebevoll, verständnisvoll und immer mit jenem Hauch Ironie  ausgestattet, durch den man das Leben und seine Macken gelassener betrachtet. Vielleicht meinen Sie, Ali wäre perfekt, fast zu perfekt um wahr zu sein? Nein, das ist er nicht, er hat schon so seine Unebenheiten und Kanten wie jeder andere auch, nur überspielt er die gern, ja, er macht sich teilweise auch über diese lustig. Aber tief drinnen, ich kenne ihn gut, brodelt es manchmal wie in einem Vulkan vor dem Ausbruch…

Ich saß gemütlich in der Badewanne und wusch meine Haare. Ja, man konnte die Zeit vergessen, mit Duftöl, cremigem Badeschaum und sanfter Musik. Ich schloss die Augen und träumte… Im Wohnzimmer war es verdächtig still, zwar hörte ich manchmal das Fernsehgerät, und den Kommentar des Sportreporters, aber seit dem 1:0 der Deutschen gegen die Holländer war es sehr still geblieben. Schließlich hörte ich Ali aufstehen und zum Kühlschrank, wie ich vermutete, gehen. „Albert?“ Nach einer halben Ewigkeit lugte Albert etwas abwesend durch die Badezimmertür.

„Führen die Deutschen noch?“ Ali grinste. „Ja, das tun sie und es sollte mich wundern, wenn die Oranjes daran noch was ändern.“ „Fein!“ antwortete ich. Innerlich schüttelte ich den Kopf, es  war mir rätselhaft, wie man tatsächlich ein Fan der deutschen Fußballnationalmannschaft sein konnte. Als Österreicher, bei all den verbalen und sportlichen Watschen durch die Nachbarn! Aber im Grunde tangierte es mich nicht, nicht im Geringsten. „Wann kommst?“ unterbrach mein Freund meine Überlegungen. „Das Spiel ist toll.“ Auch das noch! „Lass mich doch das Bad genießen!“ flüchtete ich in eine Ausrede und zielte mit einer Schaumkrone nach ihm.

Mein Freund flüchtete lachend. Ich versuchte mich zu erinnern, wie das vor zwei Jahren bei der Weltmeisterschaft gewesen war. Wie war ich damals über diese Wochen gekommen? Nun ja, damals hatten Ali und ich noch nicht so intensiv zusammengewohnt. Jetzt war er fast jeden Tag bei mir, außer es wurde in der Arbeit wirklich spät… Ein Aufschrei! Ali zerriss mir fast das Trommelfell. „Das gibt’s doch nicht!“ Alis Stimme hatte eine Lautstärke erreicht, die ich kaum an ihm kannte. „Mein Gott, Kahn, wo warst du?“ Ich schmunzelte von einem Ohr zum anderen… Da muss irgendjemand ein Tor geschossen haben, folgerte ich messerscharf, aber ganz sicher nicht die Deutschen…

Eine halbe Stunde nach dem Match war Albert schon wieder guter Dinge. „Sie steigen trotzdem auf, ganz sicher. Dazu sind sie einfach zu gut! „Aber sicher!“ stimmte ich ihm leicht desinteressiert zu. Ich feilte meine Fingernägel und cremte die Hände noch einmal ein. „Könnte ich bitte den Nagelclip haben?“ Ich blickte nicht einmal wirklich auf. Ali hob die Augenbrauen und reichte mir das Necessaire. Dann grinste er und schaltete das TV-Gerät ab. „Ich verstehe schon…“ Er legte die Hände auf meine Schultern. „Das lässt dich wohl ziemlich kalt, wie?“ „Richtig!“ antwortete ich und zwickte energisch den großen Daumennagel ab.

Zwei Tage später rief Albert aus der Arbeit an. „Sorry, es wird heute später!“ „Was ist denn los?“ ich konnte meine Enttäuschung kaum verhehlen. „Ich hab uns doch was Gutes gekocht!“ „Ein Geschäftsessen! Ist auf dem Mist vom Rossecker gewachsen! Ich könnte ihm den Kopf ausreißen dafür!“ „Na! Halb so wild“, holte ich Ali wieder herunter. „Könntest du etwas für mich tun, Liebes?“ Ali klang honigsüß, wie selten. „Ja?“ „Könntest du mich so alle halbe Stunde mit einem kurzen Anruf über die Spielstände auf dem Laufenden halten? Bitte!“ Ich dachte, ich hörte nicht richtig.  Aktuelle Spielstände?

Ja, glaubte Ali allen Ernstes ich würde mir die Spiele ansehen? Plötzlich musste ich lachen, ich konnte mich nicht mehr zurückhalten. Konnte so eine Europameisterschaft wirklich so wichtig sein? Ali wirkte leicht irritiert, er sagte zwar kein Wort, aber ich spürte es förmlich durch das Handy durch. „Ja, mein Schatz, ich ruf dich an oder ich schick dir eine SMS!“ Wie ein Bub, wie ein Schulbub, für den das Leben keine anderen Plagen kennt als eine unerwartete Niederlage oder ein Gegentor.

Am Wochenende lief auf einem Radiosender ein Quiz zur Fußballeuropameisterschaft. Ali lag auf der Lauer wie ein Luchs, und als ich zurückkam, nach dem ich den Müll nach unten gebracht hatte, bemerkte ich, wie Ali heftig mit jemandem am Handy redete. Das Radiogerät war abgeschaltet, und ein böser Verdacht stieg in mir auf. Ich lief ins Schlafzimmer und drehte das Radio auf. Dann begann ich zu lachen, leise, aber nicht zu unterdrücken. Ali’s  dunkle Stimme ertönte aus dem Lautsprecher und er glänzte bei dem Quiz mit seinen Kenntnissen über die Ergebnisse, über die Mannschaften und die Aufstellungen.

Als Hauptpreis fungierten zwei Eintrittskarten für das Finale in zwei Wochen. Mein Gott, Ali würde doch nicht etwa glauben, dass ich da mitfahre… womöglich mit den Deutschen im Finale! Eine junge Hausfrau, deren Mann im Hintergrund brav einsagte, warf Ali aber überraschend aus dem Bewerb. Ich hörte meinen Freund im Wohnzimmer schimpfen wie ein Rohrspatz, dann fiel die Wohnungstür ins Schloss und schließlich war es still. Ich öffnete vorsichtig die Schlafzimmertür. Alis Handy lag noch am Tisch, und sein Wohnungsschlüssel steckte innen im Schloss…

Eine gute halbe Stunde später stand meine Freund wieder vor der Tür und läutete. Er musste eine Unmenge geraucht haben, vor lauter Ärger, so umnebelt war er von Zigarettenrauch. Er wirkte verlegen, aber er zitterte noch immer in einer gewissen Anspannung. Ich sah ihn liebevoll an. „Was hältst du davon, wenn wir heute Abend einfach ins Kino gehen, irgendwas ansehen, „Troja“, „The Day After Tomorrow“, vielleicht, was weiß ich…“ Bedächtig  stellte ich den Vorschlag in den Raum. Ali sah mich leicht erstaunt an, es kämpfte einen Moment  in ihm, aber dann grinste er resignierend. „Warum eigentlich nicht…“

 Vivienne

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