Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Juli 2004



Lügen haben kurze Beine…

Kein Tag, ja, keine Stunde vergeht, ohne dass der Mensch lügt, mehr oder weniger jedenfalls. Ob falsches Kompliment oder berechnende Lüge um sich einen faustdicken Vorteil zu verschaffen, ob billige Ausrede oder hinterlistige Intrige um jemandem ernsthaft zu schaden – die Bandbreite ist groß, und auch Ihre Vivienne,  liebe Leser, kann sich da nicht ausnehmen, denn das wäre sicher gelogen. Geschickt bin ich allerdings nicht dabei, das muss ich auch zugeben, wohl weil ich zu feig dazu bin und mich vor den Konsequenzen fürchte. Welch eine Blamage ertappt zu werden! Aber ausreden, das mach ich schon bisweilen, und manchmal fällt es mir auch schwer, direkt „nein“ zu sagen. In diesem Fall erfinde ich ab und an auch gern Geschichten um mich vor etwas zu drücken. Aber auch das nicht immer sehr erfolgreich…

Mittlerweile ist es ein paar Jahre her und Ali und ich hatten noch nicht wieder zusammengefunden, als ich in einem Frauenprojekt ein eher tristes Dasein fristete. Nicht, dass ich grundsätzlich ungern mit den eigenen Geschlechtsgenossinnen zusammenarbeite, aber diese Konstellation war denkbar schlecht. Intrigen über Intrigen, Gruppenbildungen und Neidgefühle gegen alle und jeden. Das Klima wurde immer schlimmer, je länger der „Zirkus“ dauerte und ich fühlte mich ein wenig in der Zwickmühle. Selber angefeindet, weil es manche Kollegin einfach nicht verputzen konnte, dass ich intelligenzmäßig aus dem Haufen deutlich herausragte (was  im Übrigen bei dem teilweise erschreckenden geistigen Niveau keine Kunst war –  man möge mir bitte diese Ansicht nicht gleich als Arroganz auslegen!).

Kurz, ich fühlte mich bald nicht mehr wohl dort und wusste trotzdem, dass sich keine Alternative bot sondern ich vielmehr meine Zeit dort „absitzen“ musste. Es hing für mich zu viel davon ab. Ich hatte teilweise schon Kontakte geknüpft um mir längerfristig eine Zukunft im Medienbereich aufzubauen, das wollte ich nicht aufgeben obwohl später dann wieder alles ganz anders kam. Gegen Ostern im Jahr 19.. war die Situation schon sehr angespannt, und als ein paar nettere Leute versuchten, eine Feier vor Ostern zu organisieren, waren meine Gefühle klar auf „nein“ eingestellt. Ich wollte einfach nicht, im Gegenteil, ich hatte nicht die geringste Lust, einen Abend mit Kolleginnen zu verbringen, die mir großteils einfach auf die Nerven gingen und ohne die mein Leben einfach schöner und ausgeglichener verlief.

Ilse ließ trotzdem nicht locker. „Überleg’s dir noch einmal, wäre schade, wenn du nicht dabei bist… bitte.“ Ja, in der Theorie konnte man so schön nein sagen, in der Praxis stellte es damals ein echtes Problem dar. Ich versprach tatsächlich, am Wochenende darüber nachzudenken, obwohl sich alles in mir dagegen sträubte. Statt in den sauren Apfel zu beißen und den Abend doch noch in der etwas zerstrittenen Gemeinschaft zu verbringen, wälzte ich Möglichkeiten, vor mich her, wie ich doch noch aus dieser Falle herauskommen könnte. Koste es was es wolle… Die Woche vor Ostern hatten wir frei, und Sonntagabend fiel mir schließlich nichts Besseres ein, als Krankheit vorzuschützen. Ich weiß, liebe Leser, diese magere Ausrede ist bei meiner sonst blühenden Fantasie fast nicht vorstellbar, aber Lügner bin ich kein wirklicher…

„Ich habe mir leider eine Erkältung geholt!“ mailte ich Ilse. „…jetzt wird’s erst recht nichts draus. Hat nicht sollen sein…“ setzte ich noch scheinheilig eins drauf, aber ich musste ihr nicht ins Gesicht sehen dabei, das machte es einfacher. Danach ging es mir besser und ich überlegte mir erst so richtig, was ich diese schöne Woche noch anstellen könnte, ohne das Damoklesschwert des gemeinsamen Abends über mir. Ich stieg in den Bus und wollte ein paar Einkäufe tätigen. Eine Jeans kann man immer brauchen, und der nächste Sommer kommt bestimmt… vielleicht ein paar Schuhe? Ich überlegte vor mich hin, als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte. „Da schau her, Vivi! Wie geht’s dir denn?“ Ich erschrak, das war doch Anneliese, eine andere Kollegin. Himmel, die glaubten doch alle, ich bin krank! Erschrocken flüchtete ich mich in einen Huster, der sogar ziemlich echt rüber kam.

„Ich fahr zum Arzt!“ flüsterte ich. „Mein Hausarzt ist leider auf Urlaub!“ „Du Arme!“ wirkte Anneliese ganz fürsorglich. Sie selber war ja trotz allem noch eine gute Haut. „Ilse hat doch was geschrieben, dass du krank geworden bist…. Schau zu, dass du bald wieder gesund wirst!“ Wieder hustete ich, Wort brachte ich nämlich keines hervor. Alles in mir schrie nämlich „Ertappt!“. Aber Anneliese verzog keine Miene. Ganz im Gegenteil. Ich fühlte mich so schuldig, aber noch mehr als das spürte ich die Scham, bei einer Lüge ertappt worden zu sein. Da traf es sich gut, dass ich die Vertretung des Hausarztes schon an der nächsten Haltestelle antreffen konnte. Ich winkte Anneliese kurz und stürmte aus dem Bus. Die Lust auf bummeln und shoppen war mir vergangen. Ich kaufte rasch die nötigsten Dinge ein und fuhr mit dem nächsten Bus schon wieder heim. Kaum saß ich fünf Minuten in meiner Wohnung, läutete auch schon das Handy. Ilse. „Wie geht’s dir denn, na?“

Es ging mir miserabel, aber nicht weil ich krank war sondern weil ich die Konsequenzen meiner Notlüge wie eine immer größer werdende Lawine auf mich zurollen sah. Das hatte ich nicht gewollt oder gar bezweckt. Ich wollte mich nur vor dem ungewollten Treffen drücken, das aber in Summe wohl nicht halb so schlimm gewesen wäre wie die Angst in den folgenden Tagen… Was soll ich sagen. Ich bin kein guter Lügner und vor allem kein glücklicher. Und darum lasse ich auch meistens die Finger davon. Ertappt werden ist nämlich viel schlimmer als jemandem die Wahrheit ins Gesicht zu sagen… Ein Lügner braucht außerdem ein zu gutes Gedächtnis! Nein, danke…

 Vivienne

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