von Vivienne – Mai 2004
Mit der Mitleidsschiene
In Zeiten wie diesen mit Rekordarbeitslosigkeit und immer schlechteren Arbeitskonditionen ist das Leben oftmals kein Honiglecken mehr. Bei der einen Firma werden Überstunden nicht mehr bezahlt, dort wird ein werdender Vater gekündigt, und von all dem bisschen, das bleibt, soll man seine Ausgaben bestreiten: Wohnung, Betriebskosten, Auto, Reparaturen, etc. Auch wenn man im Berufsleben steht und einen einigermaßen gesicherten Job ausübt, würde man des Öfteren einen Geldesel benötigen, um alles in den Griff zu bekommen, was einem das Leben an finanziellen Pflichten offeriert.
Selbst wenn man bescheiden ist, muss man des Öfteren Abstriche machen. Auch ich selber bin damit immer wieder konfrontiert und versuche mir meine Wünsche nach dem Einen oder anderen Luxus (oder wie man das sonst nennen mag) einzuteilen. Langsam aber sicher, und nie auf unsicheren Pump ist meine Devise und ich fahre gut damit. Den Löwenanteil an meinen sagen wir mal sinnlosen Ausgaben nehmen sicher meine Raucherutensilien ein, aber eine Sucht muss man halt auch unter einem anderen Blickwinkel betrachten. Ein Laster braucht der Mensch
Gerade Familien geht es sehr schlecht, Kinder kosten mehr als sich so manche Eltern leisten können. So sehr Nachwuchs auf der einen Seite gefördert wird, so wenig ist er teilweise zu finanzieren und deshalb bewundere ich jede Familie, die das Wagnis der Elternschaft auf sich genommen hat. Kinder sind für mich selber im Moment sicher kein Thema, und auch mein Freund Albert denkt im Grunde nicht an ein weiteres Kind. Dazu sind wir übereingekommen, weil wir halt im Moment zwei Wohnungen zu bezahlen haben, und es passt ja auch so
So weit, so gut. Email ist eine Möglichkeit mit Leuten, die man nicht oft sieht, eine relativ regelmäßige Beziehung aufrecht zu erhalten. Meine Mailingliste ist aus diesem Grunde sehr lang, was meine Freunde wissen, und in dieser Mailingliste befand sich auch Margot Walther. Margot war eine Kollegin von Albert und mir gewesen, aber vor ein paar Jahren, als sie die Firma verließ, hatte ich sie aus den Augen verloren. Ali erwähnte irgendwann, dass sie schwanger geworden war und einen Buben bekommen hatte. Aber erst vor einem Jahr waren wir uns zufällig wieder begegnet, sie war mit dem Kleinen vom Kinderarzt gekommen, Ali und ich wollten ein paar Einkäufe erledigen.
Seither hatten wir wieder losen Kontakt, speziell über Email. Aber nach Weihnachten dieses Jahres hatte ich nichts mehr von ihr gehört. Meine Ostergrüße an alle Freunde und Bekannte waren von ihr unbeantwortet geblieben, aber das beachtete ich weniger. Je zwangloser, je lieber, ist meine Devise, und wenn es im Moment bei ihr nicht passte, dann sollte es einfach nicht sein. Ende April hingegen fand sich etwas überraschend eine Mail von ihr in meinem Posteingang. Sie entschuldigte sich für ihr längeres Schweigen und meinte, sie würde sich freuen, wenn wir uns bald wieder sehen würden, gerne auch mit Ali.
Ali winkte ab, er hätte in den nächsten Wochen unter der Woche keine Möglichkeit, früher Schluss zu machen, da ich es mir aber ganz gut einteilen konnte, meldete ich mich positiv zurück. Nicht einmal eine Stunde später läutete das Handy. Margot war dran und fragte mich, ob wir uns nicht schon am kommenden Abend treffen könnten. Ich war einigermaßen erstaunt. So lange kein Kontakt und plötzlich auf die Minute? Aber obwohl meine Alarmblinker alarmiert waren, fand ich nichts Absonderliches daran, ihrem Wunsch zuzustimmen. Selbst als sie so nebenbei erwähnte, sie würde mir auch zeigen, was sie sonst noch so machen würde, kam kein Misstrauen in mir auf.
Ehrlich gesagt, ich hatte da eher an ihre Arbeiten im Web an verschiedenen Homepages gedacht. Das war ein Hobby von Margot. Wir vereinbarten also einen Treffpunkt und pünktlich holte sie mich ab. Die Wohnung, in der sie mit ihrem Mann wohnte, befand sich wenige Minuten von der Bushaltestelle entfernt in Urfahr. Als ich eintrat, gab es mir einen leichten Stich. Alles sah ein bissl verwahrlost aus, die Polstermöbel waren abgewetzt und überall war es ein wenig unsauber, oder einfach formuliert: ärmlich. Im Wohn- und Esszimmer lag das Spielzeug des Kleinen herum und am Tisch waren Brösel und Kaffeereste vom Morgen
Ich sagte nichts, setzte mich, und Margots Mann, Ernst, brachte den Kaffee und ein paar Kekse. Ein wenig eigenartig fühlte ich mich zu diesem Zeitpunkt dann schon, obwohl mich Margot und Ernst, dem ein paar Zähne im Oberkiefer fehlten, mit aller Höflichkeit und Nettigkeit behandelten. Die Unterhaltung lief etwas schleppend, ich hatte ehrlich gesagt alten Tratsch über unsere Großhandelsfirma erwarte, statt dessen redete Margot fast ausschließlich über das gemeinsame Kind, zeigte Fotos der Kleine schlief gerade und außerdem traktierte mich der Kater der Hauses mit Zärtlichkeitsattacken.
Eigentlich hätte ich mich ganz wohl fühlen können, aber ich tat es nicht, und ich wusste im Grunde nicht warum. Vielleicht weil die beiden Leute fast etwas zu nett zu mir waren für unsere eher lose Bekanntschaft, aber der Gedanke kam mir erst, als ich den Besuch hinter mich gebracht hatte. Nach diesem Vorspiel, als Ernst fast übergangslos gemeint hatte, er würde mir jetzt was Interessantes vorstellen, begann ich zu begreifen. Ehe ich es mich versah, befand ich mich in einer Werbeveranstaltung eines fragwürdigen weltweiten Vertriebsunternehmens (Sie werden verstehen, dass ich den Namen nicht nennen kann, ich könnte mich in die Nesseln setzen!). Und ich verstand, was Margot wirklich gemeint hatte am Vortag am Telefon
Diese Kehrtwende wirkte fast wie eine Ohrfeige auf mich. Im Duett redeten die beiden auf mich ein und es dauerte ein paar Minuten, bis ich mich darauf besann, dass ich mich wehren musste. Zunächst hatte ich also nichts gesagt, aber dann blockte ich mich nach außen ab. Als mir Ernst gerade mit der Holzhammermethode ein Kosmetikprodukt schmackhaft machen wollte, sagte ich ruhig: Mag ja alles sein, aber ich bin mit meiner Creme zufrieden, warum soll ich was anderes probieren?
Ernst war gut geschult, wie auf Kommando zeigte er mir eine Musterschachtel mit verschiedenen Prominentenparfüms. Ich hatte vorhin noch im Gespräch schmunzelnd erwähnt, ich könnte an der Parfümerie Douglas nicht vorbeigehen ohne zu kaufen, was ja auch irgendwie stimmte, und er rechnete mir im Bezug darauf vor, was diese Parfüms billiger kämen als die Parfüms in der Markenparfümerie. Das war der erste Moment, an dem mir fast der Kragen geplatzt wäre. Aber ich bemühte mich um Haltung und beharrte darauf: Ich hätte, was ich bräuchte.
Worauf mir Ernst allen Ernstes einreden wollte, ich möge doch diese Musterschachtel mit den Parfümproben nach Hause nehmen und um sie aufzustellen, wenn meine zahlreichen Freunde zu Besuch wären. Wer hatte ihm wohl geflüstert, dass meine Verteilerliste so lange war? Diesmal wurde ich ziemlich laut: Wenn ich meine Freunde treffe, dann soll das zwanglos passieren und nicht aus dem Grunde, weil ich ihnen etwas verkaufen möchte. Ich werde diese Proben ganz sicher nicht mitnehmen!
Worauf Ernst, wie er es formulierte, zum Hauptprodukt wechselte und mir eine Verkaufstätigkeit bei jener schwindligen Firma schmackhaft machen wollte. Seine Argumente bezüglich probatem Nebenverdienst erstickte ich im Keim: Ich verkaufe die ganze Woche in der Arbeit! belehrte ich ihn ziemlich aufgebracht. ich brauch das nicht auch noch in der Freizeit, da will ich meine Ruhe vom Verkaufen haben! Ernst ließ noch immer nicht locker, legte eine DVD ein, in der der pflanzliche Wirkstoff der Kosmetikprodukte aufs höchste gelobt wurde. Fast hätte ich in diesem Moment schon meine Tasche gepackt um aus der Wohnung zu laufen, aber ich beherrschte mich gerade noch.
Margot und Ernst war mein völliges Desinteresse nicht entgangen, ich hatte während der Vorführung provokativ aus dem Fenster geblickt und so gut wie nie auf den Bildschirm. Margot war leise geworden, sie fragte mich, ob ich noch einen Kaffee haben wollte. Ich verneinte. In diesem Augenblick fühlte ich mich mehr nach Kotzen als nach jenem belanglosen Small Talk, den Margot mit mir beginnen wollte. Ernst brachte das Baby, das fröhlich krähte und wirklich ein hübsches Kind war. Allerdings prallte das alles an mir ab. Ich trug einen Panzer um mich, durch den das Mitleid mit der anscheinend finanziell ziemlich mitgenommen Familie nicht hindurch dringen konnte, wie es hätte sollen nach der Planung von Ernst und Margot.
Ernst hatte noch immer nicht ganz aufgegeben. Er warf einen weiteren Köder aus: ein teures Dienstauto, das alle Stückerl spielte, und als Prämie bei gutem Verkauf angeboten wurde. Mit entwaffnender Ehrlichkeit sah ich Ernst an: Bei den Benzinpreisen bin ich froh, wenn ich kein Auto habe. Margot lachte schrill auf, schrill und resignativ. Der Kater bemühte sich noch einmal um mich, aber sein Schnurren ging mir beim einen Ohr hinein und beim anderen hinaus. Ich hielt es nicht mehr aus. Na, dann mach ich mich auf den Weg. Ich stand auf, und musste feststellen, wie sehr mich die beiden noch an der Tür in Gespräche zu verwickeln versuchten. Als hofften sie noch auf ein Wunder.
Als die Tür hinter mir ins Schloss fiel, fühlte ich mich wieder besser. Ich suchte in der Tasche nach, ob sich meine Geldbörse noch darin befand, und als ich noch feststellte, dass nichts fehlte, ging ich beruhigt zum Bus. Gehirnwäsche! sagte Albert am Abend zu mir. Er war sofort gekommen, nachdem ich ihn angerufen hatte. Du kannst dir vermutlich gar nicht vorstellen, was sich da in der kleinen Wohnung abgespielt hat, nachdem du gegangen warst. Ali streichelte mich sanft. Vielleicht hat er sie sogar geschlagen Es hängt ja anscheinend so viel ab davon. Ich lehnte mich an meinen Freund. Irgendwie hatte ich noch immer einen ekelhaften Geschmack im Mund.
Miese Mitleidstour, das war schon arg. Ich bezweifelte nicht, dass es Margot und ihrer Familie ganz dreckig ging. Aber ich kann nicht jedem helfen, schon gar nicht auf diese Weise. Das ist kein Zeichen von Egoismus, sondern das Maß an Eigenliebe, das jeder nötig hat. Selbstschutz. Und solche schmierigen Vertriebsorganisationen waren wirklich das Letzte, das man dabei in Betracht ziehen durfte. Ein Fass ohne Boden: wer einmal kauft, muss immer kaufen, wer einmal Verkäufer wird, nimmt ein Sklavenleben auf sich. Und wie gesagt: so schlecht kann es einem gar nicht gehen, dass man so einen fragwürdigen Job wirklich nötig hat.
Noch ein Tipp von mir: meiden Sie diese nicht unbekannten Firmen am besten wie den Teufel persönlich!
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