Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  März 2005


Grüße aus der „anderen Welt“

War das eine Party! Zwanzig enge Freunde und Verwandte feierten wir neulich nicht nur Vickys 37. Geburtstag und das freudige Ereignis, dass für Anfang August bevorstand, nein wir alle durften auch einen Blick in das Kinderzimmer werfen, dass Vicky und Bert schon eingerichtet hatten. Und zudem würde Bert selber in ein paar Wochen den 35. Geburtstag begehen. Also jede Menge Gründe zum Feiern und unser Traumpaar ließ sich nicht lumpen: ein leckeres Fondue, herrliche russische Eier, Aufstriche von süß bis sauer oder von fleischlos bis sehr fleischig, resches Gebäck, ein paar herrliche Mehlspeisen, jede Menge Kaffee und flüssige Nahrungsmittel, Chips, Soletti, etc. – Herz, was begehrst du mehr!

Die Party, die schon am frühen Nachmittag die ersten Gäste in die geräumige Wohnung der beiden gelockt hatte, steuerte gegen Mitternacht auf ihren Höhepunkt zu. Wir tranken Sekt und einen selbst gemixten Cocktail und feierten ausgelassen. Danach gingen die ersten Leute heim, gegen ein Uhr früh saß nur mehr der harte Kern im Wohnzimmer von Bert und Vicky auf den bequemen Sitzkissen: neben den beiden und Ali und mir noch Berts Schwester Meli und ihr Mann und eine Kollegin von Vicky, Andrea, und Vickys Cousin Alfons. Nachdem die Geisterstunde noch nicht ganz vorbei war, bewegte sich die Thematik nun mehr auf übersinnliche Erfahrungen zu. Ich weiß nicht mehr genau, wer den Anfang gemacht hatte, da der Abend sehr abwechslungsreich verlaufen war.

Die erste Geschichte, die ich mir merken hatte können, war die von Meli und Bert selber, und da konnte man schon eine Gänsehaut bekommen. „..Onkel Fritz saß immer am liebsten auf seinem Drehsessel im Wohnzimmer, mit der Fernbedienung in der Hand und sah sich Videos an…“, begann Meli ihre Erzählung. „Er war gehbehindert und Spaziergänge konnte er keine mehr machen. So saß er Stunden vor dem Videorekorder, und sein Lieblingsfilm war „Die zwölf Geschorenen“ mit Henry Fonda. Ich glaube fast, den hat er hundert Mal gesehen. Vor ein paar Jahren ist er von einem Tag auf den anderen tot umgefallen. War es nicht ein Herzinfarkt?“ richtete sie eine Frage an ihren Bruder. Bert nickte. „Herz-Kreislaufstillstand. Ein schöner Tod, würde ich sagen, er musste nicht leiden.“ Bert räusperte sich. „Und da erinnere ich mich genau an den Anruf von Tante Herta, ganz nervös und aufgebracht wollte sie unsere Mutter sprechen.“

Bert sah seins Schwester an. „Willst du fertig erzählen?“ Meli schüttelte den Kopf. Mit leichtem Widerwillen fuhr Bert fort. „..also Tante Herta behauptete steif und fest, nach dem Begräbnis wäre sie ins Wohnzimmer gegangen und plötzlich  hätte sich der Drehsessel von Onkel Fritz so bewegt, als würde er sich hinsetzen, der Videorecorder ging an und „Die zwölf Geschorenen“ lief, ganz so, als wäre er noch am Leben.“ Ich zog die Stirne in Falten. Gab es so etwas tatsächlich? Oder waren solche Berichte nicht das Ergebnis einer ausschweifenden oder überreizten Fantasie? Bevor ich mich aber dazu äußern konnte, meldete sich Alfons zu Wort, Vickys Cousin, den ich von einer lange zurückliegenden gemeinsamen Urlaubsreise nach Portugal in Erinnerung hatte.

Alfons stieß ins selbe Horn wie die Geschichte von Bert und seiner Schwester. „Bei uns daheim ist etwas Ähnliches passiert. Der Lebensgefährte meiner Mutter, von dem sie damals schon einige Zeit getrennt lebte, war verstorben. Ich glaube, er war schon länger zuckerkrank gewesen und meine Mutter hatte nach einiger Zeit der Differenzen wieder ein besseres Verhältnis zu entwickelt. Er kam sonntags öfter auf einen Kaffee mit Kuchen zu ihr. Sein Tod kam sehr überraschend, auch für meine Mutter, und ich kann mich noch genau erinnern, wie sie kurze Zeit nach seinem Tod erzählte, wie er sie wieder besucht hatte.“ Wir blickten uns erstaunt an. Wollte uns Alfons da zum Narren halten?

Aber Alfons blieb völlig ernst. „Meiner Mutter ist tatsächlich passiert, dass es zweimal geläutet hat an der Haustür obwohl nicht abgesperrt war. Als sie etwas argwöhnisch nach unten ging um nachzusehen, hörte sie vor der Tür ganz deutlich die Stimme ihres verstorbenen Lebensgefährten. „Ja, willst du mir nicht aufmachen? Du weißt doch ganz genau, dass nur ich zweimal läute!“ Völlig konfus trat sie vor die Tür, aber niemand stand draußen. Ein paar Wochen war sie völlig aufgelöst deswegen, aber der Vorfall wiederholte sich nicht. 

Ich warf Ali einen etwas betreten Blick zu. Gut, ich war nicht ganz nüchtern, aber war das alles nicht etwas weit hergeholt? Gerade wollte ich Ali fragen, was er von diesen Berichten hielte, als sich plötzlich Andrea zu Wort meldete. Andrea war Vickys Arbeitskollegin und sie hatte sich den ganzen Abend eher ruhig verhalten. „…ich weiß dass es solche Dinge gibt. Ich habe nämlich selber schon so etwas erlebt.“ Unwillkürlich bekam ich eine Gänsehaut und atmete geräuschvoll ein und aus. Andrea hob ihre Stimme. „Vor einigen Jahren hatte ich eine unglückliche Liebesbeziehung, die mich sehr mitgenommen hat. Der Mann hat mich hintergangen, er hat mich nur benutzt, um seine wirkliche Flamme, eine sehr spröde Person, eifersüchtig zu machen. Irgendwann kam ich dahinter, dass sie ihn öfter in seiner Wohnung besuchte – wir hatten noch getrennte Wohnungen.“

Andrea presste die Lippen zusammen. „Am schlimmsten war für mich die Szene, wie sie mich beschimpfte und er nur daneben stand und kein Wort sagte sondern nur verlegen grinste. Nach längerem Hick Hack ging die Beziehung schließlich total in die Brüche. Mein damaliger Freund war der Meinung, ich dürfe ihm keine Vorschriften machen, wen er privat sonst noch sieht… Ich habe ihn nie wieder gesehen.“ Erwartungsvoll blickten wir Andrea an. Bisher hatte diese Geschichte noch überhaupt keine Beziehungspunkte zu den beiden anderen. Und Andrea fuhr fort. „Etwa zwei Jahre später, im Sommer ist es mir dann passiert, dass ich morgens wach wurde und das deutliche Gefühl hatte, jemand würde neben mir liegen. Obwohl ich immer allein im Bett lag. Ich registrierte dieses Phänomen einige Male, das letzte Mal im Urlaub in  Hamburg, als ich in einem Zweibettzimmer lag. Ehrlich gesagt… Andrea lächelte leicht wehmütig, „… ich vergaß wieder völlig darauf, bis ich im Spätherbst eine gemeinsame Freundin aus der Zeit mit jenem  Mann traf. Was sie mir über ihn berichtete, hat bei mir im ersten Moment leichte Übelkeit ausgelöst.“

Sie blickte uns alle an. „Dieser Mann ist in jenem Sommer tödlich verunglückt. Er hatte einen schweren Autounfall, lag einige Wochen im Koma und starb genau in der Woche, als ich einen Städteurlaub in Hamburg verbrachte…“ Ich griff nach Alis Hand. Andrea ergänzte, was ich mir selber schon dachte. „Wir haben uns nie versöhnt, nie ausgesprochen, aber ich denke jetzt, dass ihn die Sehnsucht zu mir getrieben hat – die Sehnsucht und die Liebe…“ Vielleicht ein Trost für die liebenswürdige Frau, die mittlerweile verheirat war. Man muss solche Geschichten mit Vorsicht genießen, und trotzdem – kann man mit Sicherheit sagen, was sich außerhalb unseres Vorstellungsvermögens abspielt?

Vivienne

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