Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Februar 2005


Streit um die Wursthaus

War ich hungrig! Ich stürmte geradezu aus der Arbeit und visierte pfeilgerade den nächsten Würstelstand an! Meine Kollegin Margret konnte mir kaum folgen, denn meine Seele lechzte nach einem Leberkässemmerl, kalorienreich und schwer verdaulich, aber unglaublich gut. Fünf Minuten später biss ich freudestrahlend in das Leberkässemmerl. Ja, was ich immer sagte: alles was gut ist, macht dick und schadet der Verdauung. Aber das war mir jetzt egal! Wie oft gönnte ich mir schon etwas Derartiges? Zusammen mit Margret schlenderte ich heftig kauend zur Straßenbahnhaltestelle. Dort traf uns der missbilligende Blick einer jungen Frau, Anfang zwanzig schätzte ich. Eine Studentin wohl, sehr alternativ angehaucht.

Piercings in Lippe und Nase und wohl auch der Zunge. Ausgefranste Jeans und ein Sticker von Green Peace auf der Jacke. Das störte mich auch nicht, es war eher der fast Hass erfüllte Blick, mit dem sie uns beim Essen beobachtete. Sie hatte sich eine Zigarette angezündet und musterte uns mit einer Grimmigkeit, die körperlich spürbar war. Margret und ich  tauschten ein paar halb amüsierte Blicke aus. Und normalerweise hätte ich auch dazu geschwiegen, aber es lag wohl an Margrets Anwesenheit, dass ich meine spitze Zunge nicht im Zaum halten konnte. „Bist du hungrig?“ fing ich an. „..kannst ein Stück haben!“ Das Mädchen warf mir einen angewiderten Blick zu, fast eine Kriegserklärung.

„Danke! Ich esse nichts, was Augen hat!“ Ich unterdrückte ein Schmunzeln. „Dann kannst ruhig zubeißen! Das Semmerl hat garantiert keine Augen, ich habe eben nachgesehen!“ Die Studentin verzog den Mund zu einem schmalen Strich. „Haha, sehr witzig! Ich habe schon besser gelacht!“ Ich warf Margret einen belustigten Blick zu. Irgendwie kitzelte mich heute die Boshaftigkeit, ich konnte mich nicht zurückhalten. „So siehst du aber nicht aus, du wirkst eher verbissen und viel zu mager! Ein paar Kilo mehr würden dir nicht schaden!“ Die junge Frau stieg auf diese gezielte Provokation voll ein. „Ich könnte nie etwas essen, wofür ein armes Tier sterben müsste, auf qualvolle Art. Aber so viel Leute denken sich überhaupt nichts dabei!“

Ich sah mir die junge Frau noch einmal genauer an. Es war unzweifelhaft zu erkennen, aus welchem Lager sie kam, und da störte mich die Kombination Vegetarismus-Rauchen schon gewaltig. Denn Rauchen ist, obwohl ich nun mal selber rauche, um einiges schädlicher als Fleisch zu essen. Und außerdem eine schwere Sucht. „So?“ erwiderte ich betont langsam. „Dafür ernährst du dich betont einseitig und holst dir wohl die Vitamine aus den Zigaretten.“ Das saß und für ein paar Momente wusste die junge Frau nichts zu sagen. Sie rang nach Worten. „Es geht mich nichts an, wie du lebst und wie du dich ernährst…“ fuhr ich fort. „…aber nur Gemüse und Obst ist auch nicht gesund, das ist allgemein bekannt und führt zu Mangelernährung. Der Mensch ist von seiner Art her ein Allesfresser, er braucht tierisches Eiweiß in der Nahrung. Ich gebe dir Recht, dass die Tierhaltung und –schlachtung in der westlichen Welt eine Katastrophe ist, aber auch wenn du und andere kein Fleisch essen – deshalb sterben nicht weniger Tiere auf eben diese Art und Weise.“

Ich fixierte die junge Frau eindringlich. „Um daran etwas zu ändern, muss man etwas im Denken der Menschen verändern, und an deren Verständnis für andere Lebewesen.“ Die Studentin schüttelte den Kopf, als ich ihr meinen Standpunkt verdeutlichte. Diese Einstellung gefiel ihr nicht, nicht im Geringsten. Und genau das war es, was mich an vielen so genannten Alternativen immer schon gestört hat. Die Welt wird nicht von Karottenessern verändert, die nebenbei mit größter Selbstverständlichkeit rauchen und als solche dann natürlich total unglaubwürdig wirken. Aber da prallten wieder Extreme aufeinander und an der abwehrenden Haltung der jungen Frau – sie blickte demonstrativ auf die Seite, als ich meine Worte an sie richtete – merkte ich, dass sie keine Lust hatte, weiter mit mir zu diskutieren.

Ob ihr nun nur die Argumente ausgegangen waren, oder sie mich auch dafür „strafte“, dass ich ihre Ideale in Frage gestellt hatte. Margret stieß mich an. „Du, ich glaube, jetzt ist sie beleidigt.“ Ich zuckte die Achseln. „Soll sie doch. Auf ihre Art und Weise verbessert man nicht die Welt!“ Dieser Satz weckte aber wieder die Lebensgeister der jungen Frau. „Ja, aber Reaktionäre wie ihr verbessert die Welt! Wer heute Tiere tötet, mordet morgen Menschen!“ Beinahe hätten Margret und ich losgelacht. Aber ich hielt mich zurück. „Pass auf Mädel: keiner von uns tötet Tiere! Und der einzige Mörder, den ich je persönlich kannte, hatte drei Hunde, die er abgöttisch verzogen hat!“ Margret prustete lauthals los und wäre nicht endlich die Straßenbahn gekommen, wer weiß, ob die junge Frau nicht noch auf uns losgegangen wäre, mit Händen und Füßen. So aber stiegen wir ein und die Gefahr war gebannt.

Margret dreht sich zu mir. In ihren Augen blitzte noch das Vergnügen. „Der hast du es aber gegeben. Ob uns die jetzt hasst?“ Ich schüttelte den Kopf. „Das ist doch völlig egal, wir werden sie kaum wieder sehen. Aber es gibt leider recht viele wie sie, die da glauben, das Monopol auf die absolute Wahrheit zu besitzen.“ Ich blickte aus dem Fenster der Straßenbahn. Die junge Frau war ganz klein geworden und verschwand aus meinem Sichtfeld. „Außerdem ist so eine Wurstsemmel etwas vergleichsweise Köstliches im Vergleich zu einer Zigarette, ich weiß das, gerade weil ich selber rauche. Es ist aber ein Unterschied, ob ich ein Tier mit Würde sterben lasse oder am Fließband abschlachte. Letzteres muss wirklich nicht sein.“ Ich stieß Margret an. „Und das sag ich jedem noch so Alternativem, damit du es weißt!“

Vivienne

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