Onkel Joe und die Frauen

„Ali ist tanken gefahren!“ erklärte ich dem unbekannten Anrufer. „Kann ich ihm etwas ausrichten?“ Dieser schwieg. Mein Mann war vor zehn Minuten erst auf die Tankstelle gefahren, hatte aber sein Handy auf dem Wohnzimmertisch liegen lassen. An sich kein Malheur, aber der Typ am anderen Ende der Leitung überlegte nun, wie wir verbleiben würden. „Wissen Sie…“ fuhr er schließlich fort. „Wir sind alte Bekannte, Albert und ich, wir haben uns jetzt lange nicht gesehen. Sagen Sie ihm am besten, Max hat angerufen. Dann kennt er sich aus. Meine Handynummer haben Sie ja.“ Ich nickte und versprach ihm seiner Bitte nachzukommen. Ich war auf seltsame Weise gut gelaunt, denn als die unbekannte Nummer am Handy-Display aufgeleuchtet war, hatte ich zuerst an eine mögliche Geliebte von Albert denken müssen. Aber wie konnte ich nur, ein alter Freund hatte sich wieder gemeldet…

„Nein!“ Albert grinste breit, als ich ihm die Geschichte erzählt hatte. „Max hat angerufen? Das ist ja fast zehn Jahre her, dass wir uns gesehen haben. Meine Handynummer muss er wohl aus dem Telefonbuch haben, die hier habe ich noch gar nicht so lange – das ist ja das Firmenhandy.“ Ich war neugierig geworden und Ali begann mir dann zu erzählen, warum er sich noch so gut an Max erinnern konnte, obwohl – wie er gleich einräumte – er und Max gar nicht so lange befreundet gewesen waren, weil sie beruflich schnell wieder getrennte Wege gingen. Aber Max hatte einen Onkel, Onkel Joe. Und dessen Geschichte war Albert im Gedächtnis geblieben, so kurios war sie gewesen. „Onkel Joe, nun, der war ein gestandenes Mannsbild, etwa Mitte Fünfzig gewesen seinerzeit. Vier Kinder, ein paar Enkel, und stell dir vor, dann lernt seine Frau über das Internet einen anderen Mann kennen. Ein halbes Jahr später verließ sie Joe und zog zu ihrem neuen Freund.“ Albert lachte in sich hinein. „Der Mann bekam damit wenige Jahre vor der Pension einen ordentlichen Dämpfer. Achtundzwanzig gemeinsame Jahre und plötzlich stand er vor den Scherben seiner Ehe.“

Ich servierte Albert ein Stück Apfelkuchen und stellte ihm die Kaffeekanne hin. Die Augen meines Mannes leuchteten. „Ganz frisch…hmm das duftet. Was ich von Max so über seinen Onkel erfahren habe, spricht nicht gerade für ihn. Er hatte sich immer ein wenig für unwiderstehlich gehalten und in seiner Jugend manchem Mädel nach kurzer Beziehung eine Abfuhr erteilt. Gut genug war nicht schnell eine gewesen, aber seine Ex hatte das offenbar nicht zu schätzen gewusst. Ihr neuer Freund stillte ihre lange unerfüllte Sehnsucht nach Auslandsreisen während Joe mit ihr bestenfalls an den Wörtersee gefahren war, und das mit dem Fahrrad oder im Wohnwagen. Nein, das hatte Joe nicht verstanden, und er sehnte sich nach einer neuen Frau. Einer, die für ihn kochte und ihn umsorgte – und seine Launen ertrug, wie Max selber ironisch immer anmerkte.“ Albert schaufelte ein Stück Kuchen in den Mund. „Aber weißt du was, Vivi? Plötzlich waren die Damen gar nicht mehr so heiß nach ihm! Warum wohl?“

Ich schenkte Ali noch eine Tasse Kaffee ein. „Und, Ali?“ Ali sprach mit halb vollem Mund weiter. „Die Geschichte ist wirklich amüsant! Also pass auf!“ Ali schluckte und erzählte weiter. „Joe tat sich außerordentlich selber Leid. Er konnte das nicht verstehen, denn er war ja so ein toller Kerl. Als er den Wagen einmal von der Werkstatt abholte, fiel ihm eine Frau um die Vierzig auf, die aus dem Büro kam. Eigentlich war sie nicht ganz sein Typ, aber sie wirkte so frisch und fast jugendlich auf ihn, der nun schon ein paar Monate alleine war. Stell dir vor, Vivi, er ging zurück und fragte den Mechaniker wer die Frau wäre. Und der wusste es sogar, sie war nämlich die Schwägerin des Chefs. Joe war sich tatsächlich nicht zu blöd und fragte beim Besitzer der Werkstatt nach und siehe da: die Frau war selber geschieden und anscheinend schon ein paar Jahre alleine.“ Albert kicherte leicht schadenfroh. „Und Joe meinte nun, da passe alles zusammen und das wäre seine Chance…“

Der Besitzer der Werkstatt versprach Joe, dass er ein wenig in der Sache vorfühlen würde. Die Sache zog sich über Wochen, und Joe wurde schön langsam ungehalten. Er sah natürlich keinen logischen Grund, warum sich die hübsche Frau einem Date mit ihm widersetzen sollte. Im Gegenteil: er war ein paar Mal schon so weit selber die Sache anzugehen, sprich, mit der Tür ins Haus zu fallen. Was allerdings Joe nicht wissen konnte, war, dass es gar nicht an ihm lag, dass sich die Frau so spröde gab, nicht vorrangig. Als sie schließlich doch einem Date zustimmte und Joe etwas unbeholfen gleich mit einem gemeinsamen Urlaub anfing, bei dem man sich näher kennen lernen könnte, holte ihn diese wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Der Grund, warum sie schon so lange offiziell allein war, war ein äußerst pikanter: Sie lebte nämlich schon fast zwei Jahre in einer geheimen Lebensgemeinschaft – mit einer Frau.“

Albert lachte schadenfroh. Dann sah er mich ernst an und meinte mit erhobenem Zeigefinger. „Dass du nicht auch einmal auf die Idee kommst! Untersteh dich!“ Ali breitete die Arme aus. „Künstlerpech, das muss man schon sagen. Den guten, alten Joe traf fast der Schlag. Die Tickets für den gemeinsamen Liebesurlaub hatte er fast schon gebucht gehabt. Damals war das mit gleichgeschlechtlicher Liebe auf dem Land etwas heikel und darum hatten die beiden Frauen auch dafür gesorgt, dass niemand etwas auch nur ahnte. Joe war ein kreuzbraver ÖVP-Wähler seit seiner Jugend, für ihn war diese Liaison völlig unmoralisch, eine unsittliche und sündige Bindung, die Gott keinesfalls gutheißen würde. Er stand nach dem Geständnis auf und verließ den Tisch. An der Schlappe kaute er Wochen…“ Ali stand auf. „So, und jetzt werde ich Max anrufen, vielleicht gib es ja Neues von Onkel Joe!“

© Vivienne

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